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# taz.de -- Parteikonvent der Grünen: Viele, viele bunte Fragen
> Mit einem „Startkonvent“ beginnen die Grünen die Arbeit am neuen
> Grundsatzprogramm. Ärgerlich, dass er von zwei Marketingprofis geleitet
> wird.
Bild: Neue Zeiten im Blick? Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 9…
Berlin taz | Zum Auftakt der Debatte über ein neues Grundsatzprogramm haben
die Grünen an diesem Wochenende in eine schnieke umgebaute ehemalige
Lagerhalle im Berliner Westhafen geladen. Gut gelaunt begrüßen Annalena
Baerbock und Robert Habeck die mehr als 600 TeilnehmerInnen [1][des
„Startkonvents“].
Ausgestattet mit Headsets haben sich die beiden Bundesvorsitzenden in der
Mitte des Saales um einen kleinen Stehtisch gestellt. Von dort aus starten
sie tänzelnde Ausflüge in den Raum, um ihre „Impulse“ an das um sie
gruppierte Auditorium zu bringen. Dabei sagen sie mehr oder weniger
gewichtige Sätze. „Es war noch nie so dringend wie jetzt, die Welt zu
retten“, lautet so einer aus dem Mund von Baerbock. „Lasst uns wieder
unsere Welt retten.“
Eigentlich keine schlechte Idee. Dumm nur, dass Baerbock und Habeck so
unernst erscheinen. Mit ihrem locker-flockigen Auftritt konterkarieren sie
die eigenen politischen Aussagen. Es ist eine merkwürdige Inszenierung, die
wohl Modernität demonstrieren soll. Die beiden wollen „unkonventionell“
rüberkommen. Doch sie wirken wie eine Conférencière und ein Conférencier,
deren Ziel es ist, ihr Publikum zu bespaßen.
[2][„Neue Zeiten. Neue Antworten.“] Unter diesem Motto ruft der grüne
Bundesvorstand zur Grundsatzdiskussion auf. Rund zwei Jahre hat er für die
Erarbeitung eines neuen Programms geplant. 2018 soll „das Jahr der Fragen“
sein, 2019 „das Jahr der ersten Vorschläge“. Im Frühjahr 2020 soll es
pünktlich zum 40. Jubiläum der Grünen auf einem Parteitag verabschiedet
werden. „Wir wollen uns Streit zumuten und wir glauben, dass dieser Streit
stellvertretend für die Debatten in der Gesellschaft geführt werden muss“,
verkündete Habeck am Freitag. „Wir müssen radikale Antworten geben“, sagte
Baerbock. „Die Zukunft braucht uns, lassen wir sie nicht im Stich.“
## Das dritte Grundsatzprogramm
Viele „neue Fragen“ wollen sich die Grünen stellen: „neue Fragen“ der
Ökologie, in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, in der Digitalisierung, in
der Wissenschaftsgesellschaft und Bioethik. Ebenso gebe es „neue Fragen“
einer vielfältigen Gesellschaft und für Europa, die Außen-, Sicherheits-,
Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik. Das sind die Themenbereiche, an
denen entlang die Debatte um das Grundsatzprogramm geführt werden soll. So
hat es der grüne Länderrat, der am Samstagvormittag eingeblockt wurde,
beschlossen – wobei das Parteigremium übrigens ganz klassisch tagte: mit
Präsidiumstisch und den üblichen Ansprachen vom RednerInnenpult.
Aber geht es wirklich um „neue“ Fragen? Auf dem Startkonvent hegten manche
Zweifel. „Mir kommt das Wort ‚neu‘ zu oft vor“, sagte ein Teilnehmer.
„Viele der Fragen sind auch ganz alt.“ Auf jeden Fall sollen die Antworten
besser verpackt werden. Schon jetzt klingen die beiden Vorsitzenden wie
zwei Marketingprofis. „Wir haben Bock auf besser“, dichtete Baerbock. Es
gehe darum, Politik „auf Ballhöhe der Gegenwart“ zu gestalten, fabulierte
Habeck.
Es ist das dritte Grundsatzprogramm in der Geschichte der Grünen, das die
Partei nun erarbeiten will. Das erste entstand wenige Wochen nach der
Gründung. Die 46 Seiten, die nach heftigen Diskussionen auf der zweiten
grünen Bundesversammlung im März 1980 in Saarbrücken beschlossen wurden,
sind entsprechend durchdrungen von der systemoppositionellen Radikalität
der Anfangszeit. Sie lesen sich wie eine Mischung aus der Angst vor der
Apokalypse und dem damaligen Aufbruchsgeist der sozialen Bewegungen, aus
denen die Partei entstanden ist.
## Das erste und das zweite Grundsatzprogramm
„Wir sind die Alternative zu den herkömmlichen Parteien“, lautet der erste
Satz in der Präambel von 1980. Der damalige Anspruch war groß: „Die
Zerstörung der Lebens- und Arbeitsgrundlagen und der Abbau demokratischer
Rechte haben ein so bedrohliches Ausmaß erreicht, dass es einer
grundlegenden Alternative für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bedarf.“
Die Politik der Grünen orientiere sich „an vier Grundsätzen: sie ist
ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei“.
Wie grundsätzlich die Partei in ihrem ersten Grundsatzprogramm war, zeigen
anschaulich die Ausführungen zum letztgenannten „Grundsatz“: Das Prinzip
der Gewaltfreiheit gelte „uneingeschränkt und ohne Ausnahme“. Oberste
Maxime sei: „Humane Ziele können nicht mit inhumanen Mitteln erreicht
werden.“ Die Grünen definierten sich also kompromisslos als pazifistische
Partei.
Im März 2002 beschlossen die Grünen im Berliner Tempodrom ihr zweites
Grundsatzprogramm. 22 Jahre zuvor noch völlig außerhalb der
Vorstellungswelt, waren sie inzwischen Regierungspartei geworden. Nun galt
es, mit geschliffenen Worten den utopischen Überschuss von einst den
„realpolitischen“ Gegebenheiten anzupassen und so den offenkundigen
Widerspruch zwischen hehrem Anspruch und tristem Regierungsalltag
ideologisch aufzulösen. In den Worten Robert Habecks: „Die idealistischen
Grundsätze von 1980 sind einem krassen Wirklichkeitscheck unterzogen
worden.“
Auch im Grundsatzprogramm von 2002 wird immer noch die Gewaltfreiheit
verbal hochgehalten, aber nicht mehr „uneingeschränkt und ohne Ausnahme“ �…
was ja auch nach der grünen Zustimmung erst zur deutschen Beteiligung am
Jugoslawienkrieg, dann zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan wenig
glaubwürdig gewesen wäre. Deswegen heißt es nun einschränkend: „Wir wissen
aber auch, dass sich die Anwendung rechtsstaatlich und völkerrechtlich
legitimierter Gewalt nicht immer ausschließen lässt.“
## Grundsatzprogramme und Tagespolitik
Die inhaltliche Radikalität der Anfangsjahre wurde ersetzt von der Eleganz
der Formulierung. So beginnt nun das stolze 171 Seiten lange Programm mit
dem hübschen Satz: „Im Mittelpunkt unserer Politik steht der Mensch mit
seiner Würde und seiner Freiheit.“ Dass das wenig mit der Realität zu tun
hatte, zeigte sich nur ein Jahr später, als die Grünen der „Agenda 2010“
Gerhard Schröders ihr Plazet gaben.
Nun erfährt der alte Präambelanfangssatz eine Renaissance. Nach den
Vorstellungen des aktuellen grünen Bundesvorstands soll er der
Ausgangspunkt für die Arbeit am neuen Grundsatzprogramm sein. „Das ist ein
Satz wie ein Ausrufezeichen“, sagte Habeck auf dem Startkonvent. „Wenn man
ihn liest und zulässt in seiner Kraft, dann fragt man sich: Wo haben wir
den eigentlich die ganze Zeit versteckt gehabt?“
Aber so ist das stets mit Grundsatzprogrammen. In der Tagespolitik geraten
sie schnell aus dem Blick. Das gilt nicht nur für die Grünen, sondern für
alle Parteien. Bei der SPD ließe sich schließlich auch fragen, wo sie den
„demokratischen Sozialismus“ aus ihrem immer noch gültigen „Hamburger
Programm“ von 2007 verborgen hält.
14 Apr 2018
## LINKS
[1] /!5498238
[2] https://www.gruene.de/ueber-uns/2018/neue-zeiten-neue-antworten.html
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
Bündnis 90/Die Grünen
Parteikonvent
Feminismus
Katrin Göring-Eckardt
Anton Hofreiter
Annalena Baerbock
Grüne
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