| # taz.de -- Ungarische Flüchtlingspolitik: Straßburg prüft Transitzonen | |
| > Die Transitzonen zwischen Ungarn und Serbien sind umstritten. Zwei Männer | |
| > aus Bangladesch klagen am EGMR – Ungarn gibt sich angriffslustig. | |
| Bild: Verstoßen die ungarischen Transitzonen gegen Freiheitsrechte? Darüber v… | |
| STRAßBURG taz | Verstößt die ungarische Flüchtlingspolitik gegen Schutz- | |
| und Freiheitsrechte? Darüber hat jetzt der Europäische Gerichtshof für | |
| Menschenrechte (EGMR) in Straßburg verhandelt. Umstritten sind vor allem | |
| die Transitzonen an der ungarisch-serbischen Grenze. Kläger sind zwei | |
| Männer aus Bangladesch, die im September 2015 aus Serbien nach Ungarn | |
| einreisten. Sie mussten dreieinhalb Wochen in der Transitzone am | |
| Grenzübergang Röszke bleiben, bevor ihr Asylantrag ohne inhaltliche Prüfung | |
| abgelehnt wurde. Sie sollten in Serbien Asyl beantragen, das Ungarn damals | |
| als „sicheren Drittstaat“ eingestuft hatte. | |
| Die beiden Bangladescher wurden von der Menschenrechtsorganisation | |
| Helsinki-Komitee vertreten, die den Fall auch nach Straßburg brachte. Die | |
| Transitzonen stellten einen Freiheitsentzug dar, so die Kritik. Zwar | |
| könnten Flüchtlinge jederzeit nach Serbien zurückkehren, doch verlören sie | |
| dann ihren Anspruch auf ein Asylverfahren in Ungarn. Auch die Einstufung | |
| Serbiens als sicherer Drittstaat sei nicht gerechtfertigt, denn Serbien | |
| schicke Flüchtlinge nach Mazedonien zurück, das in Serbien als „sicherer | |
| Drittstaat“ gelte. Letztlich drohe eine Kettenabschiebung, ohne dass der | |
| Asylantrag irgendwo geprüft wurde. | |
| Eine siebenköpfige Kammer des EGMR sprach den Bangladeschern im März 2017 | |
| je 10.000 Euro Schadenersatz zu. Der Aufenthalt in der Transitzone sei ein | |
| „De-facto-Freiheitsentzug“. Da es keine formelle Entscheidung darüber gebe, | |
| könne sie auch nicht gerichtlich überprüft werden. Die schematische | |
| Anwendung der Drittstaatenregelung schütze nicht ausreichend gegen | |
| unmenschliche Behandlung, so die Straßburger Richter. | |
| Ungarn hat gegen dieses erste Urteil Rechtsmittel eingelegt und verlangte | |
| wegen der grundsätzlichen Bedeutung eine Entscheidung der Großen Kammer mit | |
| 17 Richtern. Vermutlich hat Ungarn wenig Chancen auf Korrektur. Doch | |
| verblüffte die Angriffslust, mit der die Vertreter des Landes vor Gericht | |
| das europäische Asylsystem infrage stellten. | |
| ## Verfahrensrechte dürfen nicht missachtet werden | |
| Dass Flüchtlinge in der Transitzone an der Grenze festgehalten werden, sei | |
| „kein Eingriff“, erklärte jetzt Zoltán Tallódi, der Vertreter Ungarns, | |
| „schließlich haben Ausländer kein Recht auf Einreise nach Ungarn“. Die | |
| Gefahr einer Kettenabschiebung sei nur dann relevant, wenn der Ausländer in | |
| der Heimat tatsächlich verfolgt werde. | |
| Barbara Poharnok vom Helsinki-Komitee kritisierte die ungarische Haltung | |
| als „völlig falsch“. Ungarn müsse sicherstellen, dass ein Asylantrag | |
| zumindest geprüft werde, und könne nicht einfach unterstellen, dass er | |
| unberechtigt sei. Jeder Asylantragsteller habe Verfahrensrechte und den | |
| Anspruch, nicht willkürlich inhaftiert zu werden. „Es geht hier nicht um | |
| das Recht auf Asyl, sondern um den Rechtsstaat“, sagte ihre Kollegin Gruša | |
| Matevžič. | |
| Seit Mitte 2017 betrachtet auch Ungarn den Nachbarstaat Serbien nicht mehr | |
| als sicheren Drittstaat. „Das Verfahren ist aber noch von großer | |
| praktischer Bedeutung, so weit es um die Transitzonen geht“, erläuterte ein | |
| Vertreter des Helsinki-Komitees. Inzwischen werden fast alle ungarischen | |
| Asylverfahren in Transitzonen an der Grenze durchgeführt. Selbst Familien | |
| mit Kindern würden dort monatelang „im Niemandsland“ festgehalten. | |
| Auch in Deutschland gab es ab 2015 eine Diskussion um haftähnliche | |
| Transitzonen an der Grenze zu Österreich. Die CSU konnte sich mit dem | |
| Vorschlag bisher aber nicht durchsetzen. | |
| Das Urteil wird in einigen Monaten verkündet. Die beiden Bangladescher | |
| leben inzwischen in Spanien und Deutschland, wo sie jeweils neue | |
| Asylanträge gestellt haben, bisher erfolglos. | |
| 19 Apr 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
| ## TAGS | |
| EuGH | |
| Ungarn | |
| Flüchtlingspolitik | |
| Ungarn | |
| Polen | |
| Europäische Union | |
| Viktor Orbán | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Umstrittene „Transitzonen“ in Ungarn: EU verklagt Budapest | |
| Die EU zieht gegen Ungarn vor den Europäischen Gerichtshof. Die | |
| Asylregelung der rechtskonservativen Regierung verstoße gegen EU-Recht. | |
| Abholzung verstößt gegen EU-Recht: Der polnische Urwald bleibt stehen | |
| Aktivisten kämpfen seit Monaten um den Erhalt des Urwalds in Polen. Nun | |
| entschied der EuGH: Die Abholzung war illegal. | |
| Orbáns Wahlerfolg in Ungarn: Stärkung für die Visegrád-Staaten | |
| Auf die EU kommen neue Probleme zu: etwa bei der Asyl- und | |
| Flüchtlingspolitik, die wegen des Widerstands aus Osteuropa kaum | |
| vorankommt. | |
| Kommentar Wahl in Ungarn: Urängste erfolgreich mobilisiert | |
| Viktor Orbán ist mit seinem ausländerfeindlichen Kurs zum dritten Mal | |
| Wahlsieger geworden. Was wird er mit seiner Machtfülle jetzt anfangen? |