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# taz.de -- Feiern in Berlin zur Staatsgründung Israels: Lieber ein säkulares…
> Berlin hat die zweitgrößte jüdische Gemeinde Deutschlands. Doch nur ein
> Viertel der jüdischen Berliner sind darin organisiert. Eine
> Bestandsaufnahme.
Bild: Außenansicht der Synagoge am Fraenkelufer in Berlin-Kreuzberg
Genau 9.526. So viele Mitglieder waren zum Stichtag 31. Dezember 2017 in
der Jüdischen Gemeinde zu Berlin registriert. Dies geht aus der Statistik
der Zentralen Wohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland hervor, die am
Dienstag veröffentlicht wurde. Damit hat Berlin deutschlandweit die
zweitgrößte Gemeinde. So weit, so gut.
Auf den zweiten Blick offenbart sich jedoch ein Problem. Um mehr als 200
Mitglieder ist die jüdische Vertretung in der Stadt ärmer geworden. Neben
den Todesfällen in einer strukturell alten Gemeinde ist die Zahl der
Austritte mit 125 deutschlandweit trauriger Spitzenwert.
Nur etwa ein Viertel der jüdischen Bürger der Stadt sind in der Berliner
Gemeinde organisiert. Dennoch gilt sie als politisches und mediales
Repräsentationsorgan jüdischen Lebens, wie etwa am Schoah-Gedenktag am
Donnerstag deutlich wurde. Woran liegt das?
Fragt man Mike Delberg, dann vor allem an den Versäumnissen der
Vergangenheit. Delberg, 28, ist eines der jüngsten Mitglieder des
Gemeindeparlaments. Einige der Gemeindevertreter repräsentierten schon
lange nicht mehr die „Mitte der Gemeinde“, sagt er. Nach internen Disputen
und den öffentlichen Skandalen rund um die Gemeindewahlen ist der Frust
groß. Vor allem die Jüngeren bevorzugten es daher, sich in den vielfältigen
anderen jüdischen Initiativen der Stadt, beispielsweise in der von ihm
mitgeleiteten Jüdischen Studierendenunion Deutschland, zu engagieren.
## Eine Mitgliedschaft kein Thema
Und die Tausenden jüdischen Israelis, die seit den 2000er Jahren nach
Berlin gezogen sind? Bloß ein kleiner Bruchteil ist in der Gemeinde
organisiert, für die meisten sind Gemeindeveranstaltungen oder gar eine
Mitgliedschaft kein Thema. „In den 1990er Jahren wurde ein ganzes Dezernat
für die Integration der Tausenden Neuankömmlinge aus der Sowjetunion
gegründet. Für die Israelis in der Stadt wurde nichts dergleichen getan“,
führt Delberg aus, schränkt aber ein: „Auf der anderen Seite sind viele der
Israelis nach Berlin gekommen, um ein säkulares Leben zu führen.“
In der Tat, die überwiegende Mehrheit der in Berlin lebenden jüdischen
Israelis wurde in einem dezidiert säkularen Milieu sozialisiert. Einer
aktuellen Studie der Soziologin Dani Kranz zufolge stehen sie der
zunehmenden Vereinnahmung der israelischen Politik durch das Jüdische
kritisch gegenüber, verließen unter anderem deshalb ihr Geburtsland. Wieso
sollten sie also ausgerechnet in der kreativen Metropole Berlin, die
Freiheit und Entfaltung verheißt, in die eher provinziell anmutende
Gemeinde eintreten, gar Kirchensteuer zahlen?
Einer, der sich der Gemeinde angeschlossen hat, ist Ido Alterowitz. Der
27-Jährige ist – für Israelis in Berlin sicherlich untypisch – in einer
streng religiösen Familie aufgewachsen. Er lebt seit einem halben Jahr in
Neukölln, vor allem, um die Sprache seiner Großeltern zu lernen, die aus
Deutschland kamen. Obwohl er sich, so sagt er, von der religiösen
Orthodoxie seiner Familie distanziert hat, lässt er am Schabbat die Arbeit
ruhen und besucht die Synagoge am Kreuzberger Fraenkelufer.
Was er dort antraf, habe ihn überrascht. „Eine lebendige Gemeinde junger
Juden aus allen möglichen Ländern, die auf Englisch kommuniziert“, erzählt
er beeindruckt. Es seien kaum Israelis dabei, dafür treffe er Kanadier,
Australier oder Südamerikaner, die alle ihren individuellen Bezug zur
jüdischen Gemeinschaft ausleben. Dies habe ihm eine neue Perspektive auf
die Vielfalt jüdischen Lebens ermöglicht. Von den Querelen auf der
Führungsebene habe er indes nichts mitbekommen.
## Wichtig für die Dynamisierung
Dmitrij Belkin wundert diese Vielfalt nicht. Der Historiker und
Mitorganisator des jüdischen Zukunftskongresses bei der
Leo-Baeck-Foundation will die Gemeinde als ein Zentrum jüdischen Lebens
nicht abschreiben. „Natürlich muss sie sich weiter pluralisieren und
Konflikte endlich intern austragen lernen.“ Doch sei die Gemeinde wie ein
Brennglas der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, in der jüdische
Menschen mit und ohne Migrationsbiografien aufeinanderträfen. Dass dort
Reibungen entstünden, sei ganz normal und wichtig für ihre Dynamisierung.
Jenseits der politischen Auseinandersetzungen gebe es zudem grundsätzliche
Fragen, in denen die Gemeinde weiter eine Rolle spiele. Etwa wenn es um
einen Grabplatz auf einem der größten jüdischen Friedhöfe Europas in
Weißensee gehe oder wenn jüdische Eltern vor der Schulfrage stehen. „Wenn
die jung angekommenen Migranten irgendwann Kinder kriegen, ist die Frage
nach der jüdischen Schule auf einmal relevant“, weiß Belkin aus eigener
Erfahrung. Hier könne die Gemeinde, die vorher unwichtig schien, auf einmal
wieder eine Anlaufstelle werden.
Was könnte also eine Zukunftsvision für die Jüdische Gemeinde zu Berlin
sein in Zeiten von virulenter werdendem Antisemitismus, aber auch von
stetig wachsendem Zuzug jüdischer Menschen in die Stadt? Mike Delberg
stellt sich eine Umstrukturierung zu einer Dachorganisation vor, die die
verschiedenen jüdischen Initiativen der Stadt vereint, ohne ihre Vielfalt
zu beschneiden. „Eine Gemeinde lebt von ihrer Gemeinschaft. Diese
Gemeinschaft benötigt mehr Mitspracherecht. So könnten wir die notwendige
Demokratisierung der Strukturen vorantreiben.“
Das Büro des Gemeindevorsitzenden hat übrigens auf eine Anfrage der taz vom
Wochenanfang bis Redaktionsschluss (14. April 2018) nicht reagiert.
19 Apr 2018
## AUTOREN
Gil Shohat
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