| # taz.de -- Debatte Antisemitismusbeauftragter: Viel hilft nicht immer viel | |
| > Die Bundesregierung will Judenfeindlichkeit stärker bekämpfen. Das kann | |
| > nur mit einer umfassenderen Antidiskriminierungspolitik gelingen. | |
| Bild: Felix Klein wird erster Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung | |
| BERLIN taz | Der Diplomat Felix Klein wird Antisemitismusbeauftragter der | |
| Regierung. Das neu geschaffene Amt soll zeigen, dass die Regierung auf | |
| Judenfeindlichkeit empfindsam und verantwortungsbewusst reagiert. Und es | |
| gibt viel zu tun. Die Zahl antisemitischer Delikte, von denen 90 Prozent | |
| auf das Konto von Rechtsextremisten gehen, ist unverändert hoch. Neu sind | |
| erschreckende Fälle von Alltagsantisemitismus. So wurden in Berlin zwei | |
| Schüler von muslimischen Jugendlichen rüde bis zur Handgreiflichkeit | |
| gemobbt – weil sie Juden waren. | |
| Die Etablierung eines Antisemitismusbeauftragten klingt da nach einer guten | |
| Nachricht. Allerdings hat das Ganze auch etwas von „Viel hilft viel“. Man | |
| kann dieses Amt, auch wenn es aus unstrittig lauteren Gründen installiert | |
| wird, auch skeptischer sehen. Zum einen fragt sich, ob Klein – ein Mann der | |
| Verwaltung, nicht der Zivilgesellschaft – der Richtige dafür ist. In einem | |
| [1][Interview] mit der Jüdischen Allgemeinen hat er seine Ideen skizziert: | |
| Außer auf rechtsextreme und muslimische Judenfeindschaft will er auf „den | |
| israelbezogenen Antisemitismus der Linken“ besonderes Augenmerk richten. | |
| Das ist eine Sackgasse. Es gibt seit 50 Jahren hierzulande einen linken | |
| Antizionismus, der blind für deutsche Geschichte ist. Er existiert in | |
| Nischen, ist immun gegen Selbstaufklärung, moralisch und intellektuell | |
| trostlos. Was wir nicht brauchen, ist ein Regierungsbeauftragter für | |
| Diskursethik, der Kritik an der israelischen Politik von Amts wegen in | |
| legitim und illegitim sortiert. Regierungen als Debattenschiedsrichter sind | |
| ein Relikt aus obrigkeitsstaatlichen Zeiten. | |
| Es gibt noch einen Grund für zwiespältige Gefühle. Der | |
| Antisemitismusbeauftragte wird im Innenministerium andocken. Der Kampf | |
| gegen Antisemitismus ist Regierungssache, während der Islam, so | |
| CSU-Innenminister Seehofer, nicht zu Deutschland gehört. Diese | |
| Doppelbotschaft verweist auf ein grundlegendes Problem: Ist die Bekämpfung | |
| von Antisemitismus etwas Besonderes, Einzigartiges? Oder verstehen wir sie | |
| als Teil des Ringens um eine Gesellschaft mit möglichst wenig | |
| Diskriminierung? Dies mag spitzfindig klingen. Aber das ist es nicht. | |
| Kann man mit ähnlichem Recht nicht auch einen Antiziganismusbeauftragten | |
| fordern? Oder einen gegen Homophobie, Gewalt gegen Flüchtlinge, | |
| rassistische Diskriminierung? All das gibt es bereits – in der | |
| unscheinbaren Form der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die beim | |
| Familienministerium angesiedelt ist. 2006 eher aus Pflicht denn aus | |
| Überzeugung installiert, macht sie solide, kleinteilige Arbeit und fristet | |
| weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit ein Schattendasein. Die | |
| Merkel-Union hat sich für Antidiskriminierung nie sonderlich interessiert. | |
| Es ist kein Wunder, dass Deutschland in Sachen Antidiskriminierung schlecht | |
| aussieht: Formalrechtlich, so eine EU-Studie, sei in Deutschland | |
| Diskriminierung zwar verboten, doch in der Praxis hätten „potenzielle Opfer | |
| angesichts schwacher Gleichstellungsgremien und eines geringen staatlichen | |
| Engagements“ nicht viel davon. Im EU-Vergleich lag Deutschland, was | |
| Antidiskriminierung angeht, 2015 auf Platz 22, hinter Bulgarien, Rumänien | |
| und Ungarn. So viel zum „Gendermainstreaming-Wahn“, unter dem die | |
| AfD-Klientel so schlimm leidet. | |
| Zudem fällt hierzulande ein Kriterium für Ausgrenzungen glatt durch das | |
| Raster: soziale Herkunft. Klassismus, so der sperrige Name, existiert | |
| offiziell nicht. Wenn Hartz-IV-Kinder, obwohl begabt, den Aufstieg in | |
| Schule und Job nicht schaffen, ist das ihr Problem und keine strukturelle | |
| Benachteiligung. Der Soziologe Andreas Kemper hat dazu treffend bemerkt, | |
| dass man sich nicht wundern muss, wenn „weiße, heterosexuelle Schüler ohne | |
| Migrationshintergrund, die ständig aufgrund ihrer sozialen Herkunft | |
| diskriminiert werden“, gereizt reagieren, „wenn sie aufgefordert werden, | |
| nicht rassistisch, homophob, sexistisch zu sein.“ | |
| Schlägt man also den ganzen Katalog auf, erkennt man, wie problematisch | |
| Hierarchisierungen von Opfern sein können. Der Eindruck, dass Juden | |
| Diskriminierungsopfer erster Klasse sind, Muslime irgendwie zweiter Rang | |
| und wegen sozialer Herkunft Benachteiligte nicht existieren, schadet der | |
| Gleichstellung und Chancengleichheit. „Wann wird es selbstverständlich | |
| sein, dass jemand mit den gleichen Noten die gleichen Aussichten bei einer | |
| Bewerbung hat, egal ob er Yilmaz oder Krause oder anders heißt?“ Das fragte | |
| der damalige CDU-Bundespräsident Christian Wulff bei seiner Antrittsrede. | |
| Diese Frage ist noch immer so aktuell wie 2010 – nur scheint sie in der | |
| Union keinen mehr zu interessieren. | |
| ## Vorsicht vor „Mobbingranking“ | |
| Aber was konkret tun, wenn jüdische SchülerInnen gemobbt werden? Offenbar | |
| sind Schulleitungen, wie ein Fall in Berlin zeigt, davon schnell | |
| überfordert und neigen dazu, lieber alles unter den Teppich zu kehren, weil | |
| sie ein mieses Image fürchten. Unionsfraktionchef Volker Kauder fordert | |
| daher eine generelle Meldepflicht für antisemitische Vorfälle an Schulen. | |
| Das klingt resolut. Doch wenn man genau hinschaut, erkennt man, dass dies | |
| eher gut gemeint als gut gemacht wäre. Denn damit würde – als | |
| unbeabsichtigter Nebeneffekt – eine Art Mobbingranking etabliert: Wenn ein | |
| Jude auf dem Schulhof drangsaliert wird, ist das wichtig – wenn Schwule, | |
| Behinderte, Muslime, Mädchen gedisst werden, nicht so sehr. Weniger markig, | |
| dafür klüger ist der Vorschlag von Familienministerin Franziska Giffey. | |
| Statt mit Meldepflicht zu drohen, ermutigt sie Schulleitungen, sich in | |
| solchen Fällen nicht wegzuducken. Und verweist auf Antimobbingteams, die | |
| helfen können. Egal, welche Religion das Mobbingopfer hat. | |
| Auch der Kampf gegen Antisemitismus wird langfristig nur erfolgreich sein, | |
| wenn man ihn als Teil des Streitens für eine Gesellschaft ohne | |
| Diskrimierung begreift. Die Berufung des Antisemitismusbeauftragten wäre | |
| überzeugender, wenn andere Herabwürdigungen nicht so nonchalant übergangen | |
| würden. | |
| 12 Apr 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/30845 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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