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# taz.de -- Ein halbes Jahr #MeToo: Es hat sich etwas bewegt
> Sechs Monate läuft die durch Harvey Weinstein ausgelöste Debatte um
> Sexismus nun schon. Und sie hat Dinge bewirkt. Ein Überblick.
Bild: Im Zuge von #MeToo gab es in vielen Ländern Proteste – wie hier in Neu…
Es gibt Meldungen, bei denen einem der Kopf vornüber auf die Tastatur
kippt. Dass die Produktionsfirma Bavaria-Film nach eigenen Angaben in einer
internen Prüfung keine Belege für mögliche sexuelle Übergriffe von Dieter
Wedel gefunden hat, zum Beispiel. Es sei festgestellt worden, „dass die in
der Presse erhobenen Anschuldigungen des sexuellen Missbrauchs durch Dieter
Wedel bei den genannten Produktionen nicht belegt werden können“, teilte
die Bavaria-Film am Donnerstag in München mit.
Das Zeit Magazin hatte im Januar [1][einen großen Artikel] über den
Regisseur veröffentlicht, in dem mehrere Schauspielerinnen ausführlich von
ihren Erfahrungen mit Wedel berichteten.
Nicht nur Bavaria-Film kommt zu diesem Ergebnis. Auch das ZDF war vor rund
sechs Wochen zu dem Schluss gekommen, dass nach dem Sichten der Unterlagen
und Gesprächen mit Mitarbeiter*innen keine Hinweise auf sexuelle Übergriffe
gefunden worden seien. Das mutet extrem merkwürdig an, zumal eine
betroffene Schauspielerin sich im Zuge der Berichterstattung direkt an das
ZDF gewandt hatte, wie der Sender erklärte.
Ein weiteres Beispiel: Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat die Frauen als
„Prostituierte“ bezeichnet, die Missbrauchsvorwürfe gegen
Hollywood-Produzent Harvey Weinstein erhoben haben. So berichtet es die
französische Nachrichtenagentur afp und beruft sich auf den Radiosender
Moskauer Echo. „Vielleicht ist er ein Schuft, aber keine von ihnen ist zur
Polizei gegangen. Nein, sie wollten zehn Millionen Dollar verdienen“, sagte
Putins Sprecher demnach vor Studenten. Und weiter: „Wie nennt man eine
Frau, die für zehn Millionen Dollar mit einem Mann geschlafen hat? Eine
Prostituierte“, sagte Peskow.
Es war dieser Fall Weinstein, der vor einem halben Jahr eine breite Debatte
über Sexismus und sexualisierte Gewalt auslöste: #MeToo. Im Oktober letzten
Jahres hatten die ersten Frauen gemeldet, dass der Produzent sie sexuell
belästigt oder vergewaltigt habe. Mittlerweile sind es mehr als 80 Frauen.
Der Fall offenbarte, wie ein Geflecht aus Macht zu systematischer
Unterdrückung führt. Tausende Frauen berichteten in Sozialen Netzwerken von
ihren Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen – und zeigten, dass jenes
Machtgeflecht keine Sache Hollywoods, sondern allumfassend und alltäglich
ist.
## Wir sind noch nicht fertig
Die Debatte läuft nun ein halbes Jahr. Und sie ist noch nicht beendet.
Natürlich nicht. Das ist sie erst, wenn sexualisierte Gewalt aufhört. Wenn
zugehört wird, statt Opfer zu Schuldigen zu machen. Wenn nicht nur das
Verhältnis von Frauen und Männern in den Blick genommen wird, sondern auch
[2][alle anderen geschlechtlichen Identitäten] toleriert werden. Wenn die
Machtstrukturen, die Gewalt gegen marginalisierte Gruppen begünstigen,
aufgebrochen sind. Das wird, da kann man ehrlich sein, noch eine Weile
dauern. Es wird Kraft kosten.
Ein Grund, um kurz innezuhalten und zu sehen, was die Debatte schon bewirkt
hat. Wie sie sich ausgeweitet hat. Denn auch, wenn die Meldungen um Wedel
und Peskow anders anmuten, hat sie das durchaus.
Fangen wir bei Weinstein und den USA an. Er wurde von seiner
Produktionsfirma gefeuert, das Unternehmen hat inzwischen Konkurs
angemeldet. Der Produzent soll sich derzeit in Therapie befinden. Seine
Frau ließ sich scheiden, die von ihm gegründete Filmfirma, die inzwischen
Insolvenz anmelden musste, entließ ihn. Von der Filmindustrie drang die
Debatte in viele weitere Branchen vor, neue Anschuldigungen von Frauen und
Männern wurden laut und viele verloren ihre Jobs.
## Rücktritte und Ermittlungen
In Großbritannien hat die Debatte besonders Politiker getroffen.
Belästigungsvorwürfe führten zu Rücktritten von Regierungsmitgliedern,
sowohl Verteidigungsminister Michael Fallon als auch Kabinettschef Damian
Green verloren ihre Posten. Ähnliche Vorwürfe wurden in der Film-, Musik-
und Modebranche bekannt. So ermittelt im Fall Weinstein auch Scotland Yard.
Fast 200 britische und irische Schauspieler*innen gründeten eine
Initiative, um Frauen in ihrer Branche zu unterstützen. Ihr Appell: „Lasst
uns 2018 zu dem Jahr machen, in dem die Zeit für sexuelle Belästigung und
Missbrauch um ist.“
In Österreich ermittelt die Staatsanwaltschaft Innsbruck wegen Vorwürfen zu
systematischen Machtmissbrauch im Skisport. In Schweden sammelten
zehntausende Betroffene verschiedener Sparten Berichte und Unterschriften
und stellten konkrete Forderungen nach Arbeitsplätzen frei von
Diskriminierung, Untertönen und Belästigung. Mehrere Politiker und
Fernsehmoderatoren verloren ihre Jobs. Außerdem führte die schwedische
Regierung ein Gesetz ein, nach dem jeder Sex, bei dem nicht alle
Beteiligten ausdrücklich und erkennbar einverstanden sind, als
Vergewaltigung gewertet wird.
Schon kurz nach nach dem ersten Gebrauch des Hashtags #MeToo in sozialen
Netzwerken schlossen sich Frauen in Indien der Kampagne an. Im Libanon
zeigte die „Es ist nicht okay“-Kampagne, die das neu geschaffene
Frauenministerium zusammen mit der Amerikanischen Universität Beirut
durchführte, Wirkung. Dort wurde auch ein Gesetz vorgestellt, das
Belästigung strafbar machen soll. Muslima schlossen sich #MeToo an, indem
sie unter dem [3][Hashtag #MosqueMeToo] über sexuelle Belästigungen auf
Pilgerfahrten nach Mekka twitterten.
## Deutschland? Mau.
Und Deutschland? Bisher leider ziemlich mau, wie schon der Umgang mit
Dieter Wedel zeigt. Zwar gab es [4][viele Debatten], die – denkt man sich
die „Man wird ja wohl noch flirten dürfen“-Anteile weg – auch [5][Prozes…
des Verstehens] und Verstehen-Wollens, hier und da auch ein Umdenken
zeigen. Doch die Ergebnisse einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts
YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sind ernüchternd:
Auf die Frage, ob sie von der MeToo-Debatte schon mal gehört haben,
antworteten 53 Prozent mit Ja. Von denen, die sie mitbekommen haben, meinen
44 Prozent, die Diskussion habe keine Veränderung gebracht und 43 Prozent
gaben an, die Auseinandersetzung sei [6][„übertrieben“ geführt] worden.
Genau richtig im Umfang findet sie ein Drittel. Zwei Drittel der
Erwachsenen in Deutschland (65 Prozent), die die MeToo-Debatte kennen,
sagten außerdem, diese Debatte habe bisher keinen Einfluss auf ihr
persönliches Leben gehabt.
Das lässt sich ändern – in Deutschland und [7][allen anderen Ländern], die
sich von #MeToo bisher kaum bewegen ließen. Es ist ein guter Vorsatz für
das nächste halbe Jahr, um weiter zuzuhören, sich weiter zu solidarisieren,
weiter zu kämpfen. (mit dpa/afp)
1 Apr 2018
## LINKS
[1] http://www.zeit.de/zeit-magazin/2018/02/dieter-wedel-regisseur-sexuelle-ueb…
[2] /LGBTI/!t5008319/
[3] /Muslima-schliessen-sich-MeToo-an/!5485209
[4] /Debatte-Sexuelle-Belaestigung/!5477913
[5] http://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2017-10/sexuelle-uebergriffe-maenner-…
[6] /Essay-metoo-Debatte/!5481091
[7] /Debatte-Sexualisierte-Gewalt/!5475042
## AUTOREN
Maike Brülls
## TAGS
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