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# taz.de -- Polyglotte Zwillinge im Interview: „Im Grunde ist es wie ein Puzz…
> Matthew und Michael Youlden (34) haben in kurzer Zeit mehr als 20
> Sprachen gelernt. Das kann eigentlich jedeR, sagen die beiden Engländer.
> Inklusive Video.
Bild: „Das Geheimnis ist, dass man jeden Tag Kontakt mit den Sprachen haben s…
taz: Liebe Youlden-Brüder, wer ist jetzt noch mal wer?
Michael Youlden: Matthew ist der ohne Brille …
Matthew Youlden: … und Michael der mit Brille.
Dann fange ich gleich mit einer großen Frage an: Seid Ihr Sprachgenies?
Matthew: Und da kommt eine große Antwort:
Beide im Chor: Nein!
Matthew: Überhaupt nicht. Für uns ist das ganz wichtig, das zu betonen. Das
Max-Planck-Institut und eine TV-Sendung haben tatsächlich mal ein paar
Tests gemacht, um herauszufinden, ob wir irgendwie besonders begabt sind.
Wir waren dann sehr froh darüber, dass es nicht so ist. Was herauskam, war,
dass wir uns durch das jahrelange und regelmäßige Training besondere
Fähigkeiten angeeignet haben.
Also kann jeder zehn Sprachen lernen?
Matthew: Wir sind der tiefen Überzeugung, dass jeder eine weitere Sprache
oder weitere Sprachen lernen kann.
Aber Ihr sprecht zusammen über 20!
Michael: Genau, und ungefähr die Hälfte davon fließend.
Matthew: Unser Ziel ist es, alle Sprachen, die wir halbwegs können,
irgendwann einmal fließend zu sprechen. Plus weitere. Leider fehlt etwas
die Zeit.
Also los, zählt mal fix auf.
Matthew: Wir sprechen beide fließend Englisch, Gälisch, Deutsch,
Französisch, Italienisch, Spanisch, Katalanisch, Hebräisch und
Portugiesisch. Und dann können wir auf unterschiedlichem Level Dänisch,
Maltesisch, Türkisch, Plattdeutsch, Rumänisch und Griechisch. Ich spreche
außerdem noch Niederländisch, Afrikaans, Kroatisch, Galicisch und
Papiamentu.
Michael: Und ich noch Ungarisch, Albanisch und Kornisch.
Matthew: Ich hoffe, wir haben jetzt keine Sprache vergessen.
Wie hat das denn angefangen mit Euch und den Sprachen?
Michael: Da waren wir acht, und unsere Eltern hatten einen
Griechenlandurlaub gebucht. Wir waren sehr aufgeregt und haben uns gedacht,
wir müssten schon mal ein bisschen Griechisch lernen.
Wie seid Ihr auf die Idee gekommen?
Matthew: Für uns war das einfach eine große Selbstverständlichkeit. Wir
wollten mit den anderen Kindern spielen, Eis kaufen und solche Sachen. Wir
haben uns genau vorgestellt, was wir dort machen wollten und was wir dafür
auf Griechisch sagen können müssen. Das hört sich vielleicht etwas naiv an.
Aber dieses Kindliche ist etwas, mit dem wir bis heute arbeiten.
Und dann habt Ihr Euch aus der Bibliothek Griechischkurse ausgeliehen?
Michael: Tatsächlich haben wir uns mit Geld aus unserer Piggy Bank
[Sparschwein; Anm. d. Red.] einen Sprachführer mit einem kleinen Wörterbuch
gekauft.
Matthew: Da waren nicht mal Kassetten dabei. Wir haben aber gedacht: Wenn
wir das alles lernen, dann können wir Griechisch. Jedenfalls haben wir uns
daraus die Sätze gebaut, die wir brauchen würden.
Sozusagen eine imaginäre Reise durch Griechenland?
Michael: Ja. Dabei blieb es auch. Wir sind dann gar nicht gefahren, weil
der Reiseveranstalter bankrottgegangen ist.
Matthew: Erst 10 Jahren später haben wir es dann in den
griechischsprachigen Teil Zyperns geschafft.
Da konntet Ihr doch aber kein Griechisch mehr, oder?
Matthew: Ein bisschen doch.
Es ist doch aber eines der größten Probleme beim Sprachenlernen, dass man
einfach alles wieder vergisst. Fünf Jahre Schulfranzösisch – und Jahre
später kann man gerade noch „Bonjour“ sagen.
Michael: Das ist aber alles noch da, es muss nur aktiviert werden …
Matthew: Das Geheimnis ist, dass man jeden Tag Kontakt mit den Sprachen
haben sollte, die man gern gut sprechen würde. Und wenn es nur 15 bis 30
Minuten sind, über den Tag verteilt. So viel Zeit hat jeder: auf dem Weg
zur Arbeit, in der U-Bahn, auf dem Klo.
Auf dem Klo?!
Matthew: Als ich noch studiert habe, hatten wir in meiner WG auf dem Klo so
einen Kitschroman. Sie küssten sich und so … Und jedes Mal, wenn wir auf
dem Klo waren, haben wir einen Satz übersetzt. Man kann aber auch jeden Tag
die Radionachrichten in der Sprache hören. Oder eine Serie im Originalton
mit Untertitel schauen. Am Anfang wird man vielleicht sehr wenig verstehen,
aber das wird jeden Tag etwas normaler.
Und Ihr habt tatsächlich alle Sprachen, die Ihr sprecht, auch in Eurem
Alltag?
Matthew: Wir versuchen es zumindest. Der Mailserver ist dann zum Beispiel
auf Galicisch, das Handy auf Katalanisch, die Nachrichten schauen wir uns
auf Dänisch an, den Radiosender höre ich gern in Quebec-Französisch, ein
Wortspiel spiele ich auf Deutsch.
Und das reicht, um eine Sprache zu lernen?
Matthew: Nicht um sie neu zu lernen. Da unterscheiden wir zwischen aktivem
und passivem Lernen. 15 bis 30 Minuten aktives Lernen mit einem
Sprachlehrer oder Lernprogramm und im Laufe des Tages immer wieder passives
Lernen am Tag sind perfekt.
In der Schule lernen wir Sprachen, weil das auf dem Stundenplan steht und
die Erwachsenen sagen, das braucht man später. Reicht das als Motivation?
Matthew: Nein. Um wirklich gut zu lernen, braucht jeder für sich eine
eigene Motivation. Wenn ein Schüler sagt, ich muss Französisch lernen,
sonst bekomme ich schlechte Noten, dann ist das nichts anderes als Zwang.
Wenn er aber sagt, ich lerne Französisch, damit ich die Sportsendungen
verstehe, dann ist das für uns ein richtiger Beweggrund. Und die Chance ist
deutlich höher, dass die Motivation länger erhalten bleibt.
Ich muss noch mal auf einem Klischee rumreiten: Ihr als Engländer müsstet
doch eigentlich gar keine andere Sprache lernen. Gerade hier in Berlin
kommt Ihr doch prima zurecht.
Michael: Wir kennen tatsächlich einige Engländer, die leben schon viele
Jahre hier und sprechen trotzdem nur Englisch. Die sagen aber auch, dass
sie immer irgendwie am Rand bleiben.
Matthew: Dazu fällt mir ein: Es gibt einige Begriffe, die ich als
Sprachwissenschaftler nicht mag. Einer davon ist „Fremdsprache“. Es ist
doch gerade die Sprache, die dafür sorgt, dass man sich nicht mehr fremd
fühlt. Dass man drin ist und nicht am Rand.
Sich verstehen beginnt nun einmal mit Sprache. Und davon gibt es so
unglaublich viele. Selbst Ihr seid in einem nicht unerheblichen Teil der
Welt aufgeschmissen.
Matthew: Klar, wir sprechen nicht einmal ein Prozent aller Sprachen. Rund
7.000 werden weltweit noch gesprochen. Allerdings muss man davon ausgehen,
dass 90 Prozent davon innerhalb der nächsten 100 Jahre aussterben könnten.
Vor allem wegen der Globalisierung.
Tatsächlich?!
Matthew: Das Gute ist allerdings, dass eben durch die Globalisierung die
Menschen sich dessen bewusst geworden sind und gefährdete Sprachen
intensiver fördern. Für uns gehört dazu auch, dass es für Menschen ganz
normal sein sollte, mehrere Sprachen neben der Muttersprache zu lernen und
zu sprechen. Und das am besten schon im Schulalter. In vielen Regionen der
Welt ist das ja schon längst Realität.
Michael: Das macht auch einfach Spaß und fördert die eigene Kreativität.
Für uns ist es immer ein bisschen seltsam, dass zum Beispiel die Deutschen
in den Niederlanden Englisch sprechen. Wenn man Englisch spricht und
Deutsch, dann kann man doch auch Niederländisch lernen. Das ist doch
supernah.
Überlagern sich bei Euch denn nicht die vielen Sprachen?
Michael: Eigentlich hilft das eher. Wer Französisch spricht, wird auch im
Italienischen oder Katalanischen einiges verstehen.
Matthew: Im Grunde ist es wie ein Puzzle. Ganz viele Sprachen haben
gemeinsame Ursprünge. Uns macht das totalen Spaß, die zu finden.
Ihr sagt ganz oft „Wir“. Inwiefern ist das Gemeinsame wichtig für Eure Art,
mit Sprachen zu leben?
Matthew: Wir pushen uns gegenseitig, wecken beim anderen die Neugier. Das
fördert die Motivation ungemein. Aber auch wenn man das ohne einen
eineiigen Zwilling macht, kann man andere anstecken. Es ist immer gut,
Menschen zu haben, mit denen man sprechen und lernen kann.
Reist Ihr viel in die Länder, deren Sprachen Ihr sprecht?
Matthew: Fürs Sprachenlernen ist es nicht nur ganz wichtig, sich eigene
Ziele zu setzen, sondern auch, sich zu belohnen. Wenn wir zum Beispiel
innerhalb eines Monats eine neue Sprache lernen, dann gönnen wir uns danach
einen Kurztrip in das jeweilige Land. Aber es muss nicht gleich eine Reise
sein. Man kann zum Beispiel auch in ein italienisches Restaurant gehen und
auf Italienisch bestellen.
Wenn der Kellner Italiener ist.
Matthew: Ich bin hier in Berlin mal in ein argentinisches Steakhouse
gegangen und habe auf Spanisch bestellt. Der Kellner hat kein Wort
verstanden und ich habe auf Deutsch gesagt: Ja, ich habe gerade auf
Spanisch bestellt. Und er hat gesagt: Und ich bin Türke.
Inwiefern ist Berlin eine gute Stadt, um Sprachen zu lernen?
Michael: Berlin ist eine hervorragende Stadt, um ein vielsprachiges Leben
zu führen. Es gibt so viele Sprachgemeinschaften, Konzerte und Lesungen in
vielen Sprachen, internationale Presse und Radiosender. So kann man quasi
jede Sprache direkt anwenden. Als wir damals in Manchester angefangen
haben, gab es einen einzigen Kiosk, an dem man El País [größte Tageszeitung
Spaniens; Anm. d. Red.] kaufen konnte.
Ihr seid bekannt dafür, eine neue Sprache binnen kürzester Zeit, oft nur in
einer Woche, zu lernen.
Michael: Wir lieben solche Challenges.
Sagen wir mal, ich fahre in einer Woche an die Algarve und will mich dort
verständigen können. Was tun?
Matthew: Als Allererstes nimmst du dir mal frei, dein Arbeitgeber wird das
sicher verstehen.
Michael: Und dann machst du in der Woche nichts anderes, als dich mit der
Sprache zu beschäftigen, mit einem Mischmasch aus aktivem und passivem
Lernen. Also intensiv Grammatik und Dialoge üben, aber auch alles, was du
tust, mit Portugiesisch verbinden. Radio hören, Sendungen schauen, Bücher
lesen, portugiesisch kochen. Wir kleben immer Hunderte Klebezettel in
unsere Wohnung. Nicht nur frigorífico auf den Kühlschrank. Sondern auch
Sätze mit dem, was du gern vor Ort machen möchtest.
Matthew: Und dann fährst du nach Friedrichshain und bestellst im
portugiesischen Restaurant auf Portugiesisch. Und dann wird der Kellner
dich fragen: Seit wann lernst du Portugiesisch? Und dann sagst du: „Seit
heute.“ Und dann sagt der: „Kann nicht sein, warum?“ Und du erzählst, da…
du in einer Woche hinfliegst und was du dort alles machen willst. Und schon
hast du einen neuen portugiesischen Freund.
Das muss man sich aber erst mal alles trauen!
Michael: Ich habe vormittags immer eine Zwergentruppe, mit der ich Englisch
spreche. Die machen Fehler ohne Ende, und es ist ihnen einfach egal. Für
Kinder ist es so normal, dass sie nicht gleich perfekt sprechen. Die sagen
auch im Deutschen erst einmal: „Das habe ich heute gegesst.“ Und dann
werden sie kurz von Mama, Papa oder einem Erzieher korrigiert, und weiter
geht es. Die Kinder hören nicht auf, weil sie mal was falsch gesagt haben.
Da können wir Erwachsene so viel von lernen.
Versaut uns da der Schulunterricht, oder warum haben wir solche Angst?
Matthew: Viele haben vielleicht tatsächlich in der Schule schlechte
Erfahrungen gesammelt. Wenn wir korrigieren, sagen wir nie: „Stopp, das
musst du jetzt noch mal richtig sagen.“ Das würde man ja bei einem kleinem
Kind auch nicht machen. Wir fragen: „Meintest du vielleicht das und das?“
Oder wir bauen das richtige Wort in der Antwort ein. Außerdem muss man sich
einfach klarmachen: Was kann denn passieren? Die Wahrscheinlichkeit, dass
ich jemanden beleidige, ist sehr, sehr gering. Na gut, in den Tonsprachen
wie Chinesisch muss man etwas aufpassen. Mama und Pferd liegen schon mal
nah beieinander.
Michael: Das gehört zu den wichtigsten Sachen, die wir unseren Schülern
vermitteln können: Dass es ihnen egal wird, wenn sie Fehler machen.
Dann passiert es einem doch aber oft, dass man von den Muttersprachlern
unterbrochen wird und die dann in gebrochenem Englisch mit einem
weiterreden …
Michael: Man sollte das niemals negativ sehen. Derjenige will vielleicht
selbst gern mal wieder Englisch sprechen oder einfach nur nett sein. Wir
reden dann einfach in der Sprache weiter. Das funktioniert meistens. Für
mich ist es aber auch ein besonderer Impuls, wenn ich merke, wie sehr sich
Menschen freuen, dass man ihre Sprache spricht.
Lernen denn nun Kinder leichter Sprachen als andere?
Matthew: Es gibt diesen Mythos, und deshalb denken viele Erwachsene, es ist
zu spät, zu schwierig für sie. Tatsächlich ist es so: Kinder nehmen Sprache
bis zu einem bestimmten Lebensjahr aufgrund ihrer Hirnstruktur schneller
auf. Aber nicht unbedingt effektiver.
Das heißt?
Matthew: Das Schöne als Erwachsener ist, dass man schon gelernt hat, wie
man lernt. Leider gibt es einige Lernmethoden, die nicht besonders
motivieren – Regeln pauken, Vokabeln auswendig lernen … Wir wollen in
unserem Unterricht zeigen, dass das auch anders geht, mit ganz viel Spaß am
Lernen. Sprachen lernen kann man mit allem verbinden, worauf man im Alltag
Bock hat: Sport, Musik. Dazu noch eine Anekdote: Wir haben damals, als wir
mit acht mit dem kleinen Wörterbuch Griechisch gelernt haben, gleich
angefangen, Lieder auf Griechisch zu schreiben und aufzunehmen. Wir
dachten, wir schreiben gleich mal die nächsten griechischen Popsongs.
Michael: Die Kassetten gibt es zum Glück nicht mehr.
Da sind wir aber wieder in der Verwertungsgesellschaft. Als Kind mag ich
für so etwas ja Zeit haben. Aber als Erwachsener?! Das ist doch
Zeitverschwendung.
Matthew: Da gab es doch aber in den letzten Jahren hoffentlich ein
Rückbesinnung. Was ist für mich wichtig? Nicht für meine Firma, sondern für
mich, meine Familie und Freunde. Was für ein Leben möchte ich führen? Eine
Sprache lernen bedeutet, sich etwas Gutes zu tun. Zum einen für das Gehirn
und das Erinnerungsvermögen. Es gibt Untersuchungen darüber, dass Menschen,
die sich jeden Tag mit mehreren Sprachen beschäftigen, seltener an
Alzheimer erkranken.
Michael: Und dazu kommen dann noch die neuen Chancen im Leben: Vielleicht
lernst du jetzt Portugiesisch, fährst dann nach Portugal und lernst dort
die Liebe deines Lebens kennen.
Was für ein Leben hat Euch das Leben mit vielen Sprachen gebracht?
Matthew: Das beste, das man überhaupt haben kann. Wir haben Freunde aus
aller Welt, die wir nur durch unsere Sprachen kennengelernt haben. Und
selbst wenn wir sie auch mit Englisch kennengelernt hätten, würden wir sie
anders kennen.
Michael: Auf keinen Fall so intensiv und so intim. Die Sprache ist einfach
Teil eines Menschen. Und wenn du ihn wirklich kennen willst, dann musst du
auch seine Sprache sprechen.
6 Apr 2018
## AUTOREN
Manuela Heim
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Schwerpunkt Deniz Yücel
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