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# taz.de -- Bremer Landesrabbiner über Konvertiten: „Wir lehnen viele ab“
> Der Bremer Landesrabbiner Netanel Teitelbaum hat ein Programm entwickelt,
> das es Konversionskandidat*innen erleichtert, zum Judentum überzutreten.
Bild: Beschäftigt sich mit Konversion: Shimon Netanel Teitelbaum (Mitte)
taz: Herr Teitelbaum, wie schwierig ist es, Jude zu werden?
In meiner Zeit als Vorsitzender der orthodoxen Rabbinerkonferenz habe ich
im Jahr durchschnittlich 600 bis 900 Briefe bekommen von Menschen, die
konvertieren wollten. 80 Prozent davon wurden abgelehnt, beziehungsweise:
Die meisten haben dann selbst entschieden, dass sie es doch nicht machen.
Warum?
Manche denken, es sei eine einfache Entscheidung, ein Jude zu sein. Ein
Jude zu sein, das bedeutet auch, als Jude zu leben. Wenn jemand die
Entscheidung getroffen hat, ich möchte Jude sein, dann muss er verstehen,
was auf ihn zukommt: Und das bedeutet, er muss sein Leben umstellen. Das
ist nicht so einfach. Nicht nur, was den Glauben betrifft, sondern auch,
was das Essen betrifft, was die Kleidung betrifft, was das Wochenende
betrifft. Nicht jeder kann das machen. Und ich frage zuerst: Warum willst
du Jude sein?
Was sind denn die häufigsten Gründe für den Wunsch zu konvertieren?
Die häufigste Antwort, die ich kriege, ist: Wegen des Schicksals des
jüdischen Volkes hier in Deutschland. Da sage ich: Das ist kein Grund, Jude
zu sein. Du musst nicht deswegen Jude werden. Ich schätze das sehr, aber
ich sage: Du kannst das jüdische Volk und die jüdische Gemeinde auch so
unterstützen. Andere sagen: Weil die Juden besser sind. Das ist auch keine
Antwort. Niemand fängt den langen Weg der Konversion wegen dieser Antwort
an. Viele sagen auch: Wir sehen, was aktuell mit Minderheiten geschieht –
aber das ist auch kein Grund: Du kannst auch Muslim sein, oder Christ,
warum jetzt Jude? Und was hat das überhaupt mit Religion zu tun? Deswegen
wird man viele solcher Antworten ablehnen.
Und wann sagen Sie ja?
Wenn jemand sagt: Ich beobachte das Judentum schon viele Jahre und ich
denke, das ist für mich die richtige Religion und ich möchte das so leben,
dann sage ich: Du kannst als Jude leben, ohne Jude zu sein. Du kannst alle
613 Gebote halten. Wenn er dann weiter sagt, ich möchte aber Teil davon
sein, dann kann er damit anfangen. Das Judentum ist gegen Missionierung.
Von den 600 bis 900 Anfragen haben wir schließlich nur mit 50 oder 60
anfangen können. Und zwar nicht, weil wir gegen Konversion sind, aber man
muss es schon richtig wollen.
Wie geht der Weg dann weiter?
Der Kandidat ist normalerweise ziemlich alleine in diesem Prozess. Er hat
mit einem Rabbiner geredet und der hat vielleicht gesagt: „Hör mal, ich bin
kein Lehrer, aber du kannst gerne in die Synagoge kommen und ich rede mit
dir über alles.“ So kann man es machen. Aber dann, nach drei, vier Jahren,
kommt er vor das Beth Din, also das zuständige rabbinische Gericht, und ist
nicht wirklich vorbereitet. Er ist eine fromme Person, aber was bedeutet
fromm: Er hält den Schabbat, wie er es kennt. Er hält das Gebet, wie er es
kennt. Aber dann fängt man im Beth Din an, ihm verschiedene Fragen zu
stellen, die er einfach nicht gelernt hat. Er weiß nicht genau, was man
studieren muss, und dann muss er wieder ein halbes Jahr warten, weil das
Beth Din nicht vor Ort ist. Das ist sehr unbefriedigend.
Sie haben stattdessen ein neues Programm entwickelt.
Ja. Was wir jetzt anbieten, ist ein Lehrgang, in dem wir die Kandidaten für
das Beth Din vorbereiten. Dieses Programm haben wir gemeinsam mit der
israelischen Organisation „Ami“ gegründet. Erst durch die Zustimmung des
Präsidiums der Jüdischen Gemeinde im Lande Bremen sind wir dazu gekommen,
all das zu entwickeln. Dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken.
„Ami“ ist in Israel zuständig für die Vorbereitung aufs Beth Din. Was ist
das für ein Lehrgang?
Das ist ein Programm aus insgesamt neun Kursen mit verschiedenen Themen:
Der Alltag einer jüdischen Familie, die Feiertage, die mündliche Lehre, die
Thora und so weiter. Dieses Programm bietet die Jüdische Gemeinde Bremen
offiziell an.
Wie funktioniert das praktisch?
Zuerst treffen wir diese Menschen, um zu sehen, ob sie auch wirklich dazu
bereit sind. Denn Jude zu werden, das ist eine Veränderung des gesamten
Lebens. Es bedeutet nicht nur, eine Religion anzunehmen, sondern es auch
richtig zu praktizieren. Wenn wir dann wissen, welche Kandidaten wir haben,
dann läuft das über die Gemeinde. Der Kandidat muss sich anmelden für jeden
Kurs, das läuft über die Verwaltung, und es gibt auch einen symbolischen
Beitrag. Wir haben uns dabei an den Kosten der Volkshochschule orientiert.
Das Programm wird finanziell durch die zionistische Organisation „Over the
rainbow“ unterstützt.
Wie betreuen Sie die Kandidaten?
Die Kandidaten müssen an diesen neun Kursen teilnehmen. Wir bieten Bücher
für den Lehrer, die Schüler und eine Lernplattform im Internet an. Parallel
dazu treffen sie sich mit mir oder auch mit Rabbiner David Ben-Nissan aus
Israel und Rabbiner Menahem Klein, mit denen ich das Projekt entwickelt
habe. Und am Ende dieser neun Kurse bringen wir die Kandidaten vor ein Beth
Din in Jerusalem. Bis jetzt haben alle unsere Kandidaten bestanden.
Steht das Programm nur BremerInnen offen?
Wir bekommen zunehmend auch Anfragen aus anderen Gemeinden und sind
natürlich bereit zu helfen – auf der Basis, dass der lokale Rabbiner oder
der religiöse Beauftragte in jener Gemeinde einverstanden ist und das
unterstützt.
Ein großes Problem bei Konversionen ist es, dass sie oft in Israel nicht
anerkannt werden. Ihre aber schon. Wie haben Sie das geschafft?
Das Lehrprogramm anerkennen zu lassen, war sehr einfach. Ich komme aus
Israel, ich komme vom Oberrabbinat, und das Oberrabbinat kann es nur
begrüßen, dass so ein Lehrprogramm zustande kommt. In Israel läuft es genau
so, aber hier in Europa gab es bislang leider kein festes Programm. Sie
können es also nur begrüßen, dass die Kandidaten gut vorbereitet zum Beth
Din kommen. Dort mischen wir uns dann nicht ein, wir sind spezialisiert für
das Lehrprogramm.
Wie lange dauert das alles?
Es ist immer die Frage, wer was braucht. Unser Lehrgang dauert ungefähr ein
Jahr netto. Dazwischen sind Feiertage und Schulferien, also zwischen 13 und
15 Monate dauert es, bis jemand für das Beth Din vorbereitet ist. Manche
kommen auch zu uns und wissen schon sehr viel. Die brauchen dann auch nicht
das ganze Programm zu absolvieren.
Warum gehen Sie mit Ihren Kandidaten vor ein Beth Din in Israel?
Ich mache das, um auch eine nationale Identität zu stiften. Ich sehe in
diesem Bereich leider in den letzten Jahren hier in Deutschland eine große
Lücke. Aber wir suchen für jeden Kandidaten eine passende Lösung, auch vor
Ort.
Auf der European Rabbis Conference in Bukarest vor wenigen Wochen wurde
Bremen als die Zentrale für Gijur-Prozesse in ganz Europa genannt.
Ja, da war ich auch überrascht! Es muss zwar keiner unbedingt aus England
nach Deutschland kommen, um diesen Prozess zu Ende zu führen, sondern nur,
wenn er Hilfe braucht. Aber was er bestimmt braucht, ist dieses
Lehrprogramm, um sich sicher als Kandidat vorzubereiten.
Sie haben damit etwas völlig Neues geschaffen.
Ja, dieses Produkt, also das Lehrmaterial und der ganze Prozess, ist etwas
Neues. Und das gute an dem Programm ist: Jeder kann es aufnehmen. Die Idee
ist, dass das Programm jedem Ortsrabbiner zur Verfügung steht, unabhängig
davon, ob er Mitglied in einer bestimmten Konferenz ist oder nicht. Es
steht auch Gemeinden zur Verfügung, die nicht unbedingt Mitglied in einer
bestimmten Organisation sind, sie müssen nur den orthodoxen Weg gehen. Wir
gehen weg von der Instanz der Behörde, der Konferenz, hin zu den Gemeinden.
Was ist der größte Vorteil an Ihrem Programm?
Wir haben das Konvertieren nicht neu erfunden, das gibt es schon
jahrtausendelang. Ich muss aber auch ehrlich sagen, wir suchen keine neuen
„Kunden“, wenn ich das so ausdrücken darf. Wenn aber jemand wirklich tief
davon überzeugt ist, dann gibt es jetzt einen bestimmten Prozess, wie so
eine Konversion ablaufen muss. Ich denke, das ist das erste Mal, dass die
jüdischen „Behörden“ in Deutschland sagen können: Wenn jemand den Wunsch
hat, so einen Gijur-Prozess zu durchlaufen, dann gibt es eine Ordnung
dafür. Man weiß, was zu tun ist. Wir sagen: Du möchtest Jude sein? Dann ist
das Lehrprogramm das, was du dafür tun musst.
6 Apr 2018
## AUTOREN
Karolina Meyer-Schilf
## TAGS
Judentum
Konversion
Bremen
Juden
Synagoge
Vaterschaft
Bremen
Jüdischer Friedhof
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