# taz.de -- Religiöse Architektur: Lebendiger Abschiedsort | |
> Die jüdische Gemeinde hat nun eine Trauerkapelle - und damit erstmals | |
> seit der Shoa wieder die Möglichkeit, ihre Toten allen Riten gemäß zu | |
> bestatten | |
Bild: Frische Gräber, frischer Bau: Der neue jüdische Friedhof in Riensberg. | |
Die Architektur ist großartig. Eine elliptische Schale schirmt die jüdische | |
Trauerkapelle zur Beckfeldstraße hin ab. Doch aus dem Versammlungsraum | |
heraus ermöglichen große Fenster den ungehinderten Blick auf die | |
Friedhofsflächen. Strahlend weiße Wände und roter Teppich geben dem | |
Gebäudekomplex eine fast heitere Festlichkeit, die von der kühlen Klarheit | |
der Konturen angemessen gefasst wird. | |
Dieses Gebäude ist nicht nur schön, es wird dringend gebraucht. „Ein neuer | |
Friedhof ist ein Zeichen für Leben“, sagte zur Einweihung am vergangenen | |
Donnerstag Bürgermeister Jens Böhrnsen, der sich damit im Einklang mit der | |
jüdischen Theologie befindet. Doch wo der Bürgermeister, der auch als | |
Kirchensenator amtiert, einen schlichten Umkehrschluss im Sinn hat – | |
gestorben wird, wo gelebt wurde – werten orthodoxe Rabbiner wie der eigens | |
aus Jerusalem angereiste Moshe Nidam das Sterben sogar höher als das Leben. | |
Mit grauem Vollbart und hohem Hut steht Nidam vor der Festgemeinde. Sein | |
Hebräisch klingt ehrfurchtgebietend-direktiv. In Jerusalem ist er auch als | |
religiöser Oberrichter tätig. „Respekt vor den Toten“ sei noch wichtiger | |
als der vor den Lebenden, lässt Nidam sich übersetzen. Elvira Noa, die | |
hiesige Gemeindevorsitzende, drückt es so aus: „Dieses Haus wird viele | |
Tränen sehen. Dennoch ist seine Einweihung ein Grund zur Freude.“ | |
In der Tat hat der Frankfurter Architekt Alfred Jacobi, der bereits | |
zahlreiche jüdische Sakralbauten entwarf, in der Gesamtgestaltung ein | |
kleines Meisterwerk abgeliefert, das nur durch die Lichtarmut sekundärer | |
Innenräume gemindert wird. Aus der Vogelperspektive gesehen folgen Friedhof | |
und Kapelle der Form des kabbalistischen, elliptisch angelegten | |
Lebensbaumes. Allerdings hat der schwierige Baugrund, der schon bei der | |
Anlage des neuen jüdischen Friedhofs die Aufschüttung unendlicher | |
Sandmengen erforderte, zu mancher Verzögerung und Kostensteigerung geführt. | |
Riensberg ist eben eine nasse Gegend. | |
Eine Million Euro kostete der Bau schließlich, bezahlt zu zwei Dritteln aus | |
dem Bremer Haushalt, das Übrige von der Gemeinde und Sponsoren. Die | |
Einsparungen, die die nicht eingeplanten Mehrkosten kompensieren mussten, | |
haben zum Teil zu durchaus guten Ausführungsänderungen geführt. So wurde | |
der vorgesehene Sarg-Aufzug weggelassen und das Gebäude dafür mit einem | |
spiralförmigen, stufenlosen Gang in die untere Etage versehen – ein | |
wesentlich würdigerer Weg für einen Toten, den Kapellenraum zu verlassen | |
als mit Hilfe technischer Einbauten. Landesrabbiner Natanel Teitelbaum | |
hatte ohnehin Sorge, dass so ein Aufzug im Ernstfall auch mal stecken | |
bleiben könne. | |
In Hastedt, auf dem wunderschönen alten jüdischen Friedhof, finden nach wie | |
vor Beerdigungen statt, aber nur vereinzelt – in für Ehepartner | |
reservierten Gräbern beispielsweise. Dort existiert kein fester Raum für | |
die rituellen Totenwaschungen. „Erstmals seit der Shoa haben wir in Bremen | |
wieder die Einrichtungen, die wir brauchen, um unsere Toten nach allen | |
Regeln zu begraben“, sagt Noa. Zwei Räume gibt es nun für die Waschungen, | |
geschlechtergetrennt. Daneben liegt ein Raum der Stille zum Abschiednehmen. | |
Die eher konservative Bremer Gemeinde, deren Rabbiner Teitelbaum Initiator | |
und Gründungsmitglied der orthodoxen Rabbinerkonferenz ist, erlebt im | |
Moment zwar einen Rückgang im Mitgliederstand – von 1.200 sank er auf | |
derzeit rund 1.000. Trotzdem ist das dank der Zuwanderung nach dem | |
Zusammenbruch der Sowjetunion eine sehr stabile Zahl. | |
Jakob Manneberg erinnert sich noch gut an die Zeiten, als die Gemeinde so | |
klein war, dass manchmal der Gottesdienst ausfallen musste. Mindestens zehn | |
Männer müssen für ihn zusammenkommen, sagt die Vorschrift. „Damit haben wir | |
heute keine Probleme mehr“, sagt Manneberg, der Deutschland 1938 mit seinen | |
Eltern verließ und Ende der 50er aus Israel zurückkehrte. | |
Jüdische Gräber können nicht aufgelöst werden, ein großer Gegensatz zur | |
Kurzfristigkeit der christlichen Totenruhe. Böhrnsen findet auch hierfür, | |
mit Blick auf den Friedhof, passende Worte: „Sie leben mit uns und sie | |
wollen bleiben. Dafür danke ich Ihnen.“ | |
8 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
## TAGS | |
Jüdischer Friedhof | |
Judentum | |
Dissertation | |
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