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# taz.de -- Pro und Contra Paragraf 219a: Ist die Koalition das wert?
> Das „Werben“ für Schwangerschaftsabbrüche ist verboten. Für den
> Koalitionsfrieden mit der Union will die SPD daran nichts ändern.
Bild: „§ 219a muss weg“: Wenigstens die Demo-Teilnehmer*innen sind sich ei…
Laut Paragraf 219a ist das „Werben“ für Schwangerschaftsabbrüche verboten.
[1][Die SPD wollte das ändern.] Jetzt aber lässt sie doch nicht über ihren
Antrag zu Paragraf 219 a abstimmen – um den Koalitionsfrieden zu wahren.
Ist es das wert?
## Ja
Natürlich wäre es schön, wenn die SPD einfach schnell zusammen mit FDP,
Grünen und Linken den [2][frauenfeindlichen Paragrafen 219a] streichen
könnte. Es wäre schön, wenn ÄrztInnen nicht mehr bestraft würden, weil sie
(straffreie) Abtreibungen öffentlich anbieten.
Trotzdem ist es gut, dass die SPD jetzt darauf verzichtet, diese
Gesetzesänderung gegen den Willen ihrer Koalitionspartnerinnen CDU und CSU
im Bundestag durchzudrücken. Der Schaden wäre zu groß. Ein Pakt der SPD mit
der Opposition zur Abschaffung eines Paragrafen könnte zur Abschaffung der
Regierung führen, noch bevor sie richtig anfängt.
Gerade weil die Kampagne [3][„§ 219 a muss weg“] so erfolgreich läuft und
viel Resonanz findet, ist auch die Gegenseite auf den Bäumen. Die
verbliebenen konservativen Christen in- und außerhalb der Union sind so
aufgeregt, dass sogar Angela Merkel vielleicht tatsächlich lieber Neuwahlen
riskieren würde, als einen Koalitionsbruch der SPD bei diesem Thema
hinzunehmen. Das kann man stur oder verrückt nennen, aber auch versuchen zu
verstehen. Vielleicht ist es sogar gut für die Gesellschaft. Eine Union,
die noch mehr linksliberale Wünsche klaglos erfüllen würde als bisher unter
Merkel, ließe rechts noch mehr Platz für wirklich gefährliche Gestalten.
Und es wäre extrem optimistisch, zu erwarten, dass bei Neuwahlen eine
Mehrheit herauskäme, die liberaler tickt. Zumal die SPD bei einer schnellen
Scheidung die schlechteren Karten hätte. Denn Koalitionsvertrag ist
Koalitionsvertrag. Wer ihn bricht, ist am Zerwürfnis schuld. Anders kann
eine Koalition schlicht nicht funktionieren. Die SPD will ja auch nicht,
dass die Union den Familiennachzug für Flüchtlinge zusammen mit AfD und FDP
komplett aussetzt.
Der Fehler der SPD ist deshalb nicht ihr jetziger Rückzieher. Der Fehler
war, dass sie noch vor einer Woche einen anderen Eindruck erweckt und die
Abschaffung des Paragrafen 219a in Aussicht gestellt hat. Mag sein, dass
zwischendurch auch die Union ein Okay signalisiert hatte. Aber das ist
Schnee von gestern. Seit Mittwoch ist die neue Regierung im Amt. Und die
muss sich darauf verlassen können, dass niemand Alleingänge macht.
Statt auf die SPD zu schimpfen – was immer leicht ist –, sollten die
GegnerInnen des Paragrafen 219a ihre schwungvolle Kampagne weiterführen.
Dass solche Kampagnen keineswegs chancenlos sind, wurde bei der Ehe für
alle bewiesen. Ist der Druck groß genug, gibt Merkel nach. Oder die
Mehrheiten ändern sich. Und hoffentlich auch Koalitionen.
Lukas Wallraff
## Nein
Was die SPD da veranstaltet, ist, gelinde gesagt: Mist. Es ist Mist für die
Ärzt*innen, [4][die den Schikanen selbsternannter Lebensschützer*innen
ausgesetzt sind]. Es ist Mist für ungewollt schwangere Frauen, die auf der
Suche nach Information sind. Und es ist Mist für die SPD, falls diese noch
mal irgendwem erzählen will, man könne sich auf sie verlassen.
[5][Die Mehrheit für eine Streichung des Paragrafen 219a war zum Greifen
nah.] SPD, Grüne und Linke wollen ihn abschaffen, [6][auch die FDP war
schon beinahe mit an Bord]. Zu diesem Sinneswandel hatten wochenlange
Gespräche zwischen den Fraktionen geführt, in denen nicht zuletzt die SPD
auf die Liberalen eingeredet hatte. Und kaum ist es so weit, erklären die
Sozialdemokrat*innen: Hups, also wir sind dann doch raus. Ein Rückzieher
sei das keineswegs, betont man nun fleißig, immerhin werde die schwarz-rote
Regierung einen eigenen Vorschlag erarbeiten.
Was dabei aber herauskommen soll, ist fraglich. Es ist wohl nicht zu
pessimistisch geschätzt, wenn man sagt: nichts. Man habe immer noch die
„feste Absicht, Rechtssicherheit zu schaffen“, erklärt SPD-Fraktionschefin
Andrea Nahles. Aber wie soll das möglich sein mit einem Koalitionspartner,
der schon mehrfach betont hat, die jetzige Situation sei genau richtig, so
wie sie ist? Die Union will nicht nur keine Werbung für Abtreibungen – was
übrigens niemand will; sie will auch partout an der Strafe für Ärzt*innen
festhalten, die darüber informieren, dass sie diese durchführen.
Seit November hat die SPD immer wieder beteuert, wie wichtig eine Änderung
der aktuellen Gesetzeslage sei. Wie sehr man für die Rechte der Frauen
einstehe – und die der Ärzt*innen. Die Sozialdemokrat*innen hatten mit der
Union abgemacht, ihren Gesetzentwurf doch noch einzubringen.
Die Union aber verhält sich plötzlich frei nach dem Motto: Gestern haben
wir es euch erlaubt, liebe SPD, aber jetzt wollen wir das lieber doch nicht
mehr. Klar, denn der Fraktion von CDU und CSU steigen die eigenen
Abgeordneten aufs Dach.
Das Skandalöse ist aber, dass die SPD sich den Stimmungsschwankungen ihrer
Koalitionspartner unterordnet – und damit pünktlich zur Wiederwahl der
Kanzlerin ziemlich deutlich zeigt, wie wenig Gewicht sie in der neuen
Koalition haben wird.
Wenn die SPD sich nicht mal bei bereits getroffenen Abmachungen mit der
Union durchsetzen kann – wer soll ihr dann glauben, dass mit ihr die
nächsten Jahre irgendwelche fortschrittliche Politik zu machen ist? Eine
solche Koalition ist, wie gesagt: Mist.
Dinah Riese
14 Mar 2018
## LINKS
[1] /Verbot-der-Werbung-fuer-Abtreibungen/!5478290
[2] /Frauenaerztin-ueber-Abtreibungen/!5471998
[3] /Kommentar-Paragraf-219a/!5483855
[4] /Lebensschuetzer-zeigen-Aerztin-an/!5460708
[5] /Kommentar-Paragraf-219a/!5483855
[6] /Abschaffung-von-219a/!5463558
## AUTOREN
Lukas Wallraff
Dinah Riese
## TAGS
Kristina Hänel
Schwerpunkt Paragraf 219a
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