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# taz.de -- „Feminist Zinefest“ in New York: Print is not dead
> Gefaltet, zusammengetackert und queerfeministisch: Am Wochenende
> präsentierten mehr als 50 Künstler*innen ihre selbst produzierten Hefte.
Bild: „La Horchata“ thematisiert Lebenswelten von zentralamerikanischen Mig…
New York taz | Heeey, hooo, Donald Trump it’s time to go!“ hallt es am
Wochenende lautstark durch halb Manhattan. Über 170.000 New Yorker*innen
versammelten sich am westlichen Ende des Central Park, um für striktere
Waffengesetze und gegen Polizeigewalt zu demonstrieren. Ein paar Blocks
weiter, bei einer deutlich kleineren, aber nicht weniger politischen
Veranstaltung, gibt es am folgenden Mittag Illustrationen zu sehen, die den
bei Feminist*innen nicht gerade sehr populären US-Präsidenten aufgespießt
und mit Fäkalien am Mundwinkel zeigen.
Auf dem Campus der Columbia University findet das „Feminist Zinefest“
statt, wo über 50 Künstler*innen ihre Stände aufbauen, um eigens designte
Anstecknadeln, Postkarten, Sticker und Zines zu verkaufen und zu tauschen.
Gut gelaunte Besucher*innen tanzen zu laut aufgedrehter Funkmusik von Tisch
zu Tisch. Die eher schüchternen Aussteller*innen verstecken sich hinter
ihren Zeichenblocks, wo sie Ideen für ihre nächsten Zines entwerfen.
Zines sind selbstproduzierte und selbstpublizierte Hefte, die in der
Tradition von Flugblättern und Pamphleten alternative Perspektiven von
meist marginalisierten Gruppen in Umlauf bringen möchten. Die ersten
erschienen Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem Umfeld von
Science-Fiction-Fans in den USA; in den 70er Jahren erlebten Zines dann mit
der Punk-Bewegung ein Revival. Passend zum rauen Sound von Garagenbands,
waren auch die durch Fotokopierer vervielfältigten Hefte von einer
DIY-Ästhetik geprägt, die bis heute – trotz veränderter technischer
Voraussetzungen – Merkmal vieler Zines geblieben ist.
So imitiert etwa Christina Long aus Harlem in ihrem Gratis-Heft
„Suffragette City“ zusammenklebte Textschnipsel, wie sie die alten Zines
prägten – gewollt offensichtlich aber ist das Ganze mit Photoshop erstellt.
„Ich habe traditionellen Buchdruck studiert und kann prinzipiell alles auch
ohne Strom und Elektronik machen“, erzählt die 30-Jährige. „Was ich mit
diesem Stil zeigen will, ist, dass für mich Print und digitales Design Hand
in Hand gehen. Alles, was wir heute im Internet sehen, ahmt ja im Prinzip
all das nach, was es im Print schon gegeben hat – vom Klicken auf Links bis
hin zur Erstellung neuer Typografien.“
Long hat vor über zehn Jahren gemeinsam mit ihrer Schwester angefangen,
Zines zu machen. Die beiden sind Metal-Fans und fahren oft zu
Underground-Konzerten im Mittleren Westen. „Ich liebe die Szene. Aber wir
wurden immer komisch angeschaut, weil wir die einzigen beiden Schwarzen
Frauen auf diesen Konzerten waren“, sagt Long. „Mit den Zines haben wir
dann angefangen, von unserem Zugang zu Metal zu erzählen, von unseren
Lieblingsbands und all den Orten, an denen wir schon gewesen sind – um ein
Bewusstsein dafür zu schaffen, dass auch wir Metal feiern.“
Explizit feministische Zines entstanden in den 90er Jahren vor allem im
Umfeld der Riotgrrrl-Bewegung. Die Punkfeminist*innen nutzten ihre Songs,
aber auch Zeichnungen und Texte, um sich über Themen wie Körperlichkeit,
Gewalt, Sexismus und Empowerment auszutauschen.
Diese Schwerpunkte dominieren die Hefte auch heute noch, wie sich beim
Feminist Zinefest zeigt. Hinzu kommen Publikationen, die sich vor allem mit
Rassismus, queeren Biografien und mentaler Gesundheit auseinandersetzen.
„La Horchata“ etwa thematisiert Lebenswelten von zentralamerikanischen
Migrant*innen in den USA. Die Macherinnen Kimberly Benavides und Veronika
Melendez, beide 28 Jahre alt, sind extra aus Washington, D. C., angereist,
um die zweite Ausgabe ihres Zines unter die Leute zu bringen. Ihr Heft ist
deutlich nüchterner gestaltet als die übrigen. Einfach gefaltet und in der
Mitte zusammengetackert, finden sich auf den 22 weißen Seiten
Illustrationen von geflochtenen Zöpfen, Fotoserien von queeren Paaren und
Gedichte über Deportation und Rassismus innerhalb der Community.
## Nicht alle haben Zugang zum Internet
„Wir hatten das Gefühl, es fehlt eine Plattform für Künstler*innen mit
zentralamerikanischem Background“, sagt Melendez. „Wir wollten mit dem Heft
eine Art Community schaffen.“ Ein bestimmtes Thema geben die beiden nicht
vor, alle Künstler*innen können einreichen, was sie wollen. Dass die Angst
vor Deportation ein großes Thema im Heft werde, hätten sie erwartet. „Sie
macht nun mal einen Großteil unserer Realität aus.“
Auf die Frage, warum sie im Print statt digital publizieren, sagt
Benavides, die Künstler*innen freuten sich sehr darüber, endlich einmal im
Print zu erscheinen: „Das ist etwas Besonderes für unsere Generation.
Außerdem ist es nicht so, dass alle Menschen auf der Welt Zugang zum
Internet haben. Ich komme aus El Salvador und meine Familie dort besitzt
keinen Computer. Ich kann ihnen aber dieses Heft per Post schicken und sie
sind sehr stolz darauf.“
Tatsächlich ist es überraschend, dass sich die Zine-Szene im
Instagram-Zeitalter immer noch am Leben hält. Viele Cartoonist*innen und
Illustrator*innen machen sich mit täglichen Posts in sozialen Netzwerken
international einen Namen – und erreichen innerhalb von Sekunden sicherlich
ein deutlich größeres Publikum als jenes, das an diesem Nachmittag sechs
Stunden lang auf den Columbia-Campus strömt.
## Online und analog
Und nicht nur das: Auch politischer Aktivismus, vor allem jener der
jüngeren Generation, erreicht mit der Onlinekommunikation eine neue
Dimension. So ist es nicht zuletzt auch Netzfeminist*innen zu verdanken,
dass Body Positivity und Intersektionalität für viele junge Frauen keine
Fremdbegriffe mehr sind. Aber während im Netz auf jede sichtbare
feministische oder rassismuskritische Äußerung unmittelbar eine Welle aus
Hasskommentaren folgt, bilden die Zineszene und Zinefests, die übrigens
auch in Berlin und Toronto stattfinden, Safe Spaces für die Macher*innen.
Ein Team aus Freiwilligen sitzt auch an diesem Nachmittag am Eingang und
hat ein Auge auf potenzielle Trolle.
Meistens aber arbeiten die jungen Zine-Macher*innen sowohl online als auch
analog. P-Glitchee aus Brooklyn lädt ihre Arbeit teilweise auf einem Blog
hoch. Zum Beispiel die Illustrationen ihres Maskottchens „Jubilee“, das die
24-Jährige als ihre ultimative Liebeserklärung an „soft brown girls“
bezeichnet. „Ich habe so viele Freundinnen, die Übergröße tragen. Ich finde
es schrecklich, dass sie mit so vielen Selbstzweifeln zu kämpfen haben.
Denn für mich sind sie wunderschön.“
Ihre Comics veröffentlicht P-Glitchee dagegen nur als Zines. „Das sind
sehr persönliche Geschichten, wie Tagebucheinträge. Das ist mir zu intim
für einen Tumblr-Blog.“ Year 22 heißt einer ihrer Tagebuch-Comics. Die
erste Hälfte ist witzig und dreht sich um ein Mädchen, das ausflippt, weil
es einen Seidenstrumpf im Zimmer ihrer Mutter für ein benutztes Kondom
hält. In der zweiten Hälfte schlägt die Stimmung komplett um. Es ist ein
sehr düster gezeichneter Comic über Suizidgedanken. „Viele junge Leute
denken, sie seien allein mit ihren Problemen“, sagt P-Glitchee leise.
„Deshalb geht es mir mit den Comics auch darum, zu zeigen, dass wir alle
mit ähnlichen Dingen kämpfen. Und dass das okay ist.“
28 Mar 2018
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
USA
Feminismus
New York
DIY
fat shaming
Print
Deutscher Comic
Lesestück Recherche und Reportage
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