# taz.de -- Literatur aus Rumänien: Lakonisch in Bukarest | |
> Lavinia Braniște erzählt von Weihnachtsfeiern, Anpassung und einem Leben | |
> im ständigen Hader in Rumänien: „Null Komma Irgendwas“. | |
Bild: Bukarest im Jahr 2018 | |
Es komme einem Lotteriegewinn gleich, wenn ein rumänisches Buch im Ausland | |
übersetzt werde, so formulierte es Lavinia Braniște in einem Gespräch mit | |
einem Schriftstellerkollegen vergangenes Jahr. Zeitgenössische rumänische | |
Literatur habe es außerhalb des eigenen Landes sehr schwer. Ob die | |
34-Jährige da schon von ihrem Glückslos wusste? Soeben ist ihr Debütroman | |
„Null Komma Irgendwas“ im kleinen mikrotext Verlag erschienen. | |
Glücksfördernd war sicher die Tatsache, dass Rumänien Schwerpunktland der | |
Leipziger Buchmesse ist. | |
Lavinia Braniște ist in ihrem Heimatland eine angesehene Autorin. Die | |
Anerkennung, die sie sich mit zwei Erzählungsbänden, ihrem Roman – der 2016 | |
als bester rumänischer Roman ausgezeichnet wurde – und drei eigenwilligen | |
Kinderbüchern erschrieben hat, ist kein Ergebnis willkürlicher glücklicher | |
Fügungen. | |
Cristina heißt die Icherzählerin in „Nulla Komma Irgendwas“, die nur wenig | |
jünger als die Autorin ist. Und wie sie in einer der ersten Szenen des | |
Romans ums Gleichgewicht ringend fast im Schlamm einer Baustelle versinkt, | |
sich dabei beobachtet fühlt und daher am liebsten unsichtbar sein möchte, | |
offenbart viel über ihr Hadern mit sich und ihren Mitmenschen: „Ich rutsche | |
durch den weichen Schlamm – mittlerweile habe ich ihn auch auf meiner Jeans | |
– schaue, wo ich hintreten kann, und merke, wie mir der Helm von meiner | |
Kopfmitte ins Gesicht rutscht. Die Mütze folgt. (…) Plötzlich habe ich die | |
Gewissheit, dass irgendwo, sehr nahe, ein Weg sein wird. Aufgrund meiner | |
unermesslichen Naivität, die Welt und die Wahrscheinlichkeitstheorien | |
betreffend, habe ich sicherlich nicht ausreichend danach geguckt. Ich bin | |
von meiner Einsamkeit auf diesem schlammigen Planeten, dieser Baustelle, | |
überwältigt.“ | |
Cristina, studierte Übersetzerin, hat bei einer Baufirma angeheuert, denn | |
im Kulturbereich sind die Honorare so miserabel, dass sie sich nicht mal | |
ihre bescheidene, im Badezimmer schimmelige Einzimmerwohnung in einer | |
Hochhaussiedlung am Rande des Bukarester Stadtzentrums leisten könnte. Sie | |
verabscheut ihre Arbeit, die sie als sinnentleert wahrnimmt. | |
## Entfremdung von der Arbeit | |
In einer nüchternen, lakonischen Sprache, die sich scheinbar gerade nicht | |
um Literarizität bemüht, tatsächlich aber genau gearbeitet ist, schildert | |
Braniște das berufliche Milieu ihrer Protagonistin: die um Anerkennung | |
buhlende, machtbewusste Chefin, die sich mal freundlich gibt, nur um dann | |
umso schärfer die Hierarchie in der Firma auszuspielen. Die Rituale auf | |
Weihnachtsfeiern und an Geburtstagen, das krampfige Suchen nach | |
Gesprächsthemen am Buffet, das peinliche Schweigen. | |
Doch während alle anderen gut damit klarzukommen scheinen, empfindet | |
Cristina die Entfremdung von der Arbeit und den Kolleg*innen stark. | |
Obgleich sie sich für die Vernunft, die Anpassung entschieden hat, bleibt | |
sie empfindsam, mit sich und ihrem Leben im ständigen Kampf. | |
Schön eigensinnig ist der Ton, den die Autorin dafür gefunden hat. Ohne die | |
Selbstzweifel und die Traurigkeit ihrer Figur zu verflachen, stattet sie | |
sie mit einem lakonischen, selbstironischen Humor aus und vermeidet so die | |
Gefahr einer ermüdenden Selbstumkreisung. Zudem erhält Cristina durch die | |
besondere Beziehung zu ihrer Mutter eine weitere Facette. Diese ist schon | |
früh zum Arbeiten nach Spanien gegangen. Einmal im Jahr kommt sie zu | |
Besuch, so aufgestaute wie hilflose Gefühle im Gepäck, die zwischen beiden | |
zu Missverständnissen führen und sie doch aneinander binden. | |
Angesichts ihrer langjährigen lauen Fernbeziehung mit Mihai möchte man | |
Cristina manchmal schütteln. Trotz besseren Wissens schürft sie darin zu | |
lange nach den Essenzen wahrhaftiger Gefühle. Doch ist das Verhalten beider | |
Beteiligter sehr genau beobachtet. | |
## Weit verbreitete Korruption | |
In vielerlei Hinsicht schreibt Braniște hier über ihre Generation, vieles | |
lässt sich auf andere europäische Länder übertragen. Doch zugleich werden | |
durch den miterzählten rumänischen Alltag auch die Besonderheiten | |
kenntlich. | |
Die weit verbreitete Korruption etwa wird nur angedeutet, wenn in der Firma | |
die Geldflüsse als intransparent erscheinen. Die Roma werden ganz | |
selbstverständlich als Zigeuner bezeichnet, von denen sich eine Kollegin | |
das Auto nicht voll„stinken“ lassen will. Auf das Wort arm reagiert man | |
allergisch. Und über ehemalige Mitglieder der Securitate spricht man schon | |
mal „mit diesem Funkeln in den Augen, das Bewunderung für Personen, die es | |
im Leben zu etwas bringen, zum Ausdruck bringt“. | |
Braniște legt den Fokus nicht auf die Politik ihres Landes, sondern auf den | |
Alltag ihrer Figuren – durch den das Politische aufscheint. | |
18 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Carola Ebeling | |
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