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# taz.de -- Die Wahrheit: Der Kopf, der aus der Kälte kam
> Merkel, Seehofer, Putin, Russland, Spione und dann auch noch das
> Bibberwetter. Ein Bericht aus dem Inneren eines Weltverstehers.
Die Heimat friert, und Horst lacht. Die Kälte gehört nicht zum Islam. Das
Klimaphänomen Jens macht die Sache auch nicht besser. Da hilft auch kein
Arztbesuch, und sei er noch so wohlüberlegt. Wer sich Armut leisten kann,
dem fehlt gewiss nichts zum guten Leben – da kann es noch so frostig sein.
Gut, dass Flugtaxis beheizbar sind. Kann man die über Uber ordern?
Väterchen Frost darf in Russland weiterregieren. Und auf der Insel rasselt
man mit den Säbeln, weil ein russischer Spion, der für die Krone gearbeitet
hat, mit einer sowjetischen Substanz vergiftet worden ist. Wenigstens der
Kalte Krieg wird wärmer.
Der Arzt, den Julian Herwig dann doch noch aufgesucht hat, konnte nichts
Ungewöhnliches entdecken. Die Gehirnströme seien in Ordnung. Julian solle
einfach mal rausgehen, eine Stunde spazieren gehen, das Gehirn auslüften.
Rausgehen? Bei der Kälte! Dass dieser Quacksalber wahrscheinlich sein
Budget schon aufgebraucht hat und jetzt nur noch rezeptfreie Sachen
verschreibt, dachte sich Julian Herwig.
Ob er denn wirklich normal finde, was sich so in seinem Kopf abspiele,
wollte Julian von Dr. Kummerhofe wissen. Nun ja, normal, meinte der
erfahrene Arzt, was sei schon normal. Extrem, das vielleicht, meinte Dr.
Kummerhofe, extrem sei schon, was sich in Julians Kopf abspiele, aber
nichts, worüber man sich verstärkt Sorgen machen müsse. Und ja, es habe
schon etwas mit den Temperaturen zu tun. Wenn es bis in den April hinein so
frostig sei, dann spielten sich in den Köpfen der Menschen Dinge ab, von
denen mache sich ein Normalsterblicher, wie Julian Herwig eben einer sei,
keine Vorstellung.
Dann sei es also normal, fragte Julian Herwig nach, dass er glaubt, ein
SPD-Finanzminister habe einen Investment-Banker zum Staatssekretär gemacht.
Das glaubten viele in diesen Tagen, meinte Dr. Kummerhofe. Wenn er sich
nicht täusche, habe er sogar neulich in der Zeitung darüber gelesen. So sei
das eben in den Zeiten des Frosts. Auch Journalisten seien vor den
Auswirkungen der Kälte nicht gefeit. Er, der seit nunmehr dreißig Jahren in
der Therapie von Erfrierungen des Gehirnapparats arbeite, wundere sich
jedenfalls schon lange nicht mehr über derartige Denkvorgänge.
## Der Einfluss der Kälte aufs Gehirn sei nicht therapierbar
Ob er ihm nicht doch etwas verschreiben könne, wollte Julian dann noch
wissen. Dr. Kummerhofe wollte nicht. Inzwischen halte er die Einbildungen
der Menschen, die sich unter dem Einfluss der Kälte im Gehirn entwickelten,
für nicht therapierbar. Er erinnere sich noch gut, meinte er, an einen
Patienten, der im Kältewinter 1998 zu ihm gekommen sei. Was in dem Gehirn
des Patienten vorging, war mit das Extremste, was ihm in seiner Laufbahn
begegnet war. Der Mann fantasierte jedenfalls von einer oral-genitalen
Affäre des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika mit einer im
Weißen Haus angestellten Praktikantin. Dr. Kummerhofe wählte als Medikation
eine hochdosierte Kombination aus den besten Neuroleptika und
Antipsychotika, die ihm zur Verfügung standen. Außerdem schickte er den
Mann in die Sauna.
Der Erfolg schien Dr. Kummerhofe zunächst Recht zu geben. Der Patient habe
sich schnell an überhaupt nichts mehr erinnert. Später seien dem
leidenschaftlichen Mediziner dann aber immer mehr Menschen begegnet, die
über eben jene von jenem Mann halluzinierte Beziehung von Bill Clinton, so
der Name des damaligen US-Präsidenten, zu seiner Praktikantin sprachen.
Ihn, Dr. Kummerhofe, habe das zu der Annahme gebracht, dass Gedanken, die
kältebedingt in menschlichen Gehirnen entstehen, sich auch bei wärmeren
Temperaturen auf die Gehirne anderer Menschen übertragen. Flapsig
ausgedrückt: Kältegedanken seien ansteckend.
Das hieße ja, wagte sich Julian Herwig einzuwerfen, dass es noch andere
Menschen geben könnte, die der Meinung seien, in Deutschland gebe es seit
Neuestem ein von einem Bayern namens Seehofer geführtes Heimatministerium.
Dr. Kummerhofe schüttelte energisch den Kopf. Das sei zwar in der Tat eine
absurde Vorstellung, aber natürlich sei es nicht unwahrscheinlich, dass
sich der Gedanke in Deutschland bereits breitgemacht habe.
## An einem kalten Tag soll eine rechte Partei entstanden sein
Vor Kurzem habe ihm ein Patient erzählt, es gebe in Deutschland
mittlerweile eine Partei, die rechts von der CSU stehe. Dass das jemand
glauben könnte, dazu habe sein, Dr. Kummerhofes, Vorstellungsvermögen beim
besten Willen nicht ausgereicht. Mittlerweile aber gebe es sogar einen
Wikipedia-Eintrag, der sich mit einer Partei namens Alternative für
Deutschland befasse. Dr. Kummerhofe forderte Julian Herwig auf, das
Gründungsdatum der vermeintlichen Partei zu googeln. Es handelte sich um
den 6. Februar 2013. Es sei ein frostiger Tag gewesen, einer, wie es ihn in
den vergangenen Wochen so viele gegeben habe.
Julian traute seinen Ohren nicht. Das hieße ja, die AfD sei gar nicht
existent. Dr. Kummerhofe schüttelte auf eine resigniert wirkende Weise den
Kopf. Er kannte diese Art Patienten, die nicht wahrhaben wollten, was für
ihn offensichtlich war. Ob Julian denn wisse, wie kalt es im November 1989
in Berlin gewesen sei. Ob auch er damals geglaubt habe, dass DDR-Bürger ihr
Land hätten verlassen dürfen. Ob er glaube, dass Markus Wasmeier im kalten
Lillehammer 1994 wirklich zwei olympische Goldmedaillen geholt habe. Und ob
er wirklich nie in Zweifel gezogen habe, dass der damalige bayerische
Ministerpräsident Franz Josef Strauß am 28. Dezember 1987 ein von ihm
persönlich gesteuertes Flugzeug auf einer verschneiten Piste des Moskauer
Flughafens Scheremetjewo 1 gelandet habe. All das seien typische
Kältehalluzinationen gewesen.
Julian Herwig musste tief durchatmen. Zunächst fragte er sich und dann Dr.
Kummerhofe, wie es angesichts dieser Erkenntnisse sein könnte, dass er im
vergangenen Jahr von Bonn aus nach Leipzig gereist sei, ohne an der
innerdeutschen Grenze kontrolliert worden zu sein. Dr. Kummerhofe wurde
sehr, sehr nachdenklich. So sei das eben mit diesen sich pandemisch in der
Welt verbreitenden Kältegedanken. Wenn es niemanden mehr gebe, der in
Zweifel ziehe, dass tatsächlich ein Mann Verkehrsminister geworden sei,
dessen Gehirn mit Diesel betrieben werde, dann werde irgendwann für wahr
gehalten, was in einem kranken Hirn entstanden sei.
Julian Herwig war ratlos. Konnte stimmen, was er da gerade gehört hatte?
Oder war seine Begegnung mit Dr. Kummerhofe auch nichts anderes als eine
Kältegeburt seines Gehirns? Würde sein Arztbesuch wahr werden, wenn sich
andere an dem Gedanken anstecken würden? Er schaute auf seine Wetter-App.
Es sollte frostig bleiben bis weit nach Ostern.
24 Mar 2018
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
Winter
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