# taz.de -- Andreas Maiers Roman „Die Universität“: Verklemmtheit und Semi… | |
> Immer hat man zu wenig gelesen, und immer haben die anderen die besseren | |
> Klamotten. Andreas Maier zeigt, wie die Uniwelt der 80er Jahre tickt. | |
Bild: Überfüllter Hörsaal in Frankfurt im Jahr 1988 | |
Ein Autor resümiert die Entwicklung des Beziehungslebens seit den 1980er | |
Jahren: „Und dann diversifizierte es sich.“ Ohne ein Studium (genauer: ohne | |
geisteswissenschaftliches Studium) redet vermutlich kein Mensch so. Der | |
Autor Andreas Maier hat also studiert, ob man ihm dazu gratulieren soll, | |
lässt sich so leicht nicht sagen, ohne sein Studium gäbe es aber den sehr | |
feinen Roman „Die Universität“ nicht. Es handelt sich um den sechsten Teil | |
seiner autobiografischen Romanreihe, in dem er zwar seine Zeit als Student | |
an der Universität beschreibt, aber nicht „die“ Universität. Das Buch | |
handelt also von einem jungen Mann, der in sich noch undeutlich das | |
Begehren spürt, ein Schriftsteller zu werden, und dazu zunächst eine nicht | |
unübliche Verlegenheitsrichtung einschlägt und Literatur in Frankfurt | |
studiert. | |
Da „die Universität“ immer schon vor allem eine Lebensform bezeichnet, gibt | |
es im Nachhinein immerhin etwas zu erzählen. Und so geht es in diesem Roman | |
gleichermaßen um das unspektakuläre Leben (beispielsweise: eine | |
Italienreise machen wollen, sie aber schon am Bahnhof verzagt abbrechen; | |
schweigend im Seminar/in einer Studentenkneipe rumsitzen) und die | |
einschneidenden Erlebnisse (beispielsweise: Seminare bei dem Philosophen | |
Karl-Otto Apel besuchen; durch Zufall Pfleger von Adornos Witwe Gretel | |
werden). | |
Der Campusroman, der die Lehrjahre und Persönlichkeitsentwicklung eines | |
angehenden Elektrotechnikers beschreibt, ist leider noch nicht geschrieben, | |
das Genre ist fest in der Hand von Geisteswissenschaftlern. Für sie hat die | |
Universität eine Funktion, die irgendwo zwischen Stahlbad und | |
intellektuellem Fitnessstudio liegt. Auch Andreas Maier lässt dies in | |
„Die Universität“ besonders plastisch werden. | |
Er erzählt, wie er ebenda zur Beobachtung zweiter Ordnung ausgebildet wird, | |
dazu, seine eigene Beobachtung wahrzunehmen, zu kritisieren und vor allem: | |
sie auf andere Beobachter anzuwenden. Während einer Seminarsitzung, die ihn | |
inhaltlich nicht sehr zu fesseln vermag, hat er alle anderen Studierenden | |
genau im Blick, beschäftigt sich mit ihrem Verhalten und Aussehen, als er | |
bemerkt, wie ein anderer Mann im Raum ihn ebenso intensiv studiert, wie er | |
selbst die anderen zu betrachten meint. Abgesehen davon, dass ihm dabei | |
„Ich bin jetzt eine weitere Meta-Ebene“ in den Kopf schießt, fühlt er sich | |
ertappt und schämt sich für sein schamloses Beglotzen des | |
Seminargeschehens. | |
Geisteswissenschaftliche Seminare haben über Jahrhunderte eine besondere | |
Kompetenz in der Beschämung ihrer Mitglieder entwickelt, immer hat man zu | |
wenig gelesen (siehe: „über die Jahrhunderte“), immer hat jemand eine | |
bessere Formulierung, und außerdem haben die anderen die besseren Klamotten | |
an. Diese Seminar-Scham und die daraus folgenden Verklemmtheiten werden bei | |
Andreas Maier eindrücklich geschildert; hohen Wiedererkennungswert haben | |
auch Figuren wie „der Hegel-Japaner“, ein recht stiller Austauschstudent, | |
von dem in erster Linie sein Lieblingsphilosoph bekannt ist, oder aber der | |
Kommilitone James, den stets eine „außergewöhnliche Traurigkeit umweht“ u… | |
der an einem Lebensstil arbeitet, der dem von Rick Blaines aus „Casablanca“ | |
gleicht. | |
## Die überragende Figur ist Gretel Adorno | |
James’ Hauptaufenthaltsort ist das TAT-Café. Dass mit dem „TAT“ das Thea… | |
am Turm gemeint ist, in dem seit den 1960er Jahren in dem am Eschenheimer | |
Tor gelegenen Gebäude einige der wichtigsten Inszenierungen der BRD liefen, | |
kann man wissen, oder aber man muss es googlen, Maier verrät es einem | |
nicht. Die Entscheidung dafür, wenig zu erklären, dafür viel zu erzählen, | |
tönt das Buch in die gut abgehangenen Farben, die mittlerweile auch die | |
Fotografien von Szenen aus dem Universitätsleben angenommen haben, die in | |
der Frankfurter U-Bahn-Station Bockenheimer Warte hängen, bei der zu Maiers | |
Studienzeit aussteigen musste, wer die geisteswissenschaftlichen Seminare | |
besuchen wollte. Mittlerweile sind große Teile der Universität umgezogen, | |
und man könnte sagen, dass auch die Institution an sich eine ganz andere | |
geworden ist. | |
Das zu betrauern ist aber nicht das Anliegen von Maiers Buch, dem nichts | |
Nostalgisches anhängt und das sich vor allem der Universität nicht als Ort | |
großer Männer widmet. Die überragende Figur ist vielmehr die gebrechliche | |
Gretel Adorno, die Maier als Hilfspfleger gemeinsam mit seiner Freundin | |
betreut hat. Das Kapitel, das von dieser Episode aus Maiers | |
Universitätsleben handelt, wendet sich von der ansehnlichen Schauseite | |
eines Philosophenlebens ab und zeigt das Drama, das seine ihn um viele | |
Jahre überlebende Frau auf seine, vor allem aber ihre eigenen Kosten | |
erlebte. | |
Gretel Adorno, die ohne ihren Mann nicht leben wollte, scheiterte an einem | |
Suizidversuch und lebte danach als Pflegefall. Maier zollt ihr Respekt | |
durch eine Beschreibung dieses Lebens, die sich nicht scheinbar pietätvoll, | |
eigentlich aber hilflos und peinlich berührt abwendet. | |
Dieser Teil des Buchs bietet gegenüber seinen anderen Kapiteln eine | |
wirkliche Überraschung, trumpft aber nicht auf. Sensation und | |
Gewöhnlichkeit eines Studentenlebens werden mit gleichbleibender Ruhe | |
erzählt und fügen sich so in die Reihe der „Ortsumgehungen“ an, die Maier | |
im vierten Band seiner Romanreihe angekündigt hatte: „ein Werk, das du so | |
lange weiterschreibst, bis du tot bist“. Es ist berückend, dass mit „Werk�… | |
hier unaufdringlich-schmale Bücher gemeint sind, von denen hoffentlich | |
noch viele weitere erscheinen werden. | |
3 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Hanna Engelmeier | |
## TAGS | |
Universität | |
Roman | |
80er Jahre | |
Theodor W. Adorno | |
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2022 | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
Breslau | |
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