| # taz.de -- Dokumentarfilmerin über „Uma und wir“: „Unwissen kann sehr h… | |
| > Der Dokumentarfilm „Uma und wir“ beschäftigt sich mit Pränataldiagnosti… | |
| > Tabea Hosche geht der Frage nach: Wie viel Wissen tut uns gut? | |
| Bild: Seit der Geburt ihrer Tochter filmt Tabea Hosche den Alltag mit ihr | |
| taz: Frau Hosche, mit Ihrem ersten Film „Uma und ich“ wollten Sie Eltern | |
| von Kindern mit Behinderung nicht als Heldinnen feiern. Hat das geklappt? | |
| Tabea Hosche: Eltern werden häufig auf einen Sockel gestellt, weil man | |
| dafür bewundert wird, wie man alles meistert. „Ich könnte das ja nicht!“, | |
| höre ich oft. Nach der Ausstrahlung des Films bekam ich viele Nachrichten | |
| von Zuschauer*innen und habe gemerkt, dass ich für manche eine Art | |
| Identifikationsfigur geworden war. Die meisten fanden die Normalität gut. | |
| Weder Beschönigen noch Dauerjammern. Überforderung gehört dazu. Ich habe | |
| keine Heldinnengeschichte erzählt. | |
| Wie würde die aussehen? | |
| Elternpaare, die – nach dem ersten Schock – alles bestens auf die Reihe | |
| kriegen. Und das Lächeln des Kindes genügt, um alles andere zu vergessen. | |
| Es ist gesellschaftlicher Konsens, dass das Leben mit behinderten Kindern | |
| ein schweres Schicksal ist. Wollen mediale Geschichten dem etwas | |
| entgegensetzen und sind deshalb oft so positiv? | |
| Das kann sein. Ein Gegenbild zeigen: Wie toll und stark die Familien und | |
| die Kinder selbst sind. Ich frage mich allerdings, ob es reicht, wenn wir | |
| uns gegenseitig erzählen, wie prima alles klappt. Menschen hilft doch viel | |
| mehr, ehrlich und möglichst offen für alles Ambivalente zu sein. Gerade | |
| wenn Leute noch ganz am Anfang sind, zum Beispiel in einer Schwangerschaft | |
| mit einem Kind mit Behinderung. Diesen Menschen möchte ich ein ehrliches | |
| Bild zeigen. | |
| In „Uma und wir“ zeigen Sie sehr private Szenen wie den Moment des | |
| positiven Schwangerschaftstests. In Ihrem Fall ist er mit vielen Fragen und | |
| Entscheidungen verbunden. | |
| Wir finden nicht mehr zu dem vertrauensseligen „Ach, wir kriegen jetzt | |
| einfach ein drittes Kind“. Wir hatten Schiss, dass wieder etwas passiert. | |
| Umas Defekt ist extrem selten und auch nicht vererbbar. Aber ich bin jetzt | |
| 39 Jahre alt, da besteht ein erhöhtes Risiko für ein Kind mit Downsyndrom. | |
| Können wir unseren beiden anderen Kindern gerecht werden, wenn noch ein | |
| Kind dazukommt, das viel Aufmerksamkeit braucht und gesundheitlich | |
| eventuell schwer beeinträchtigt ist? | |
| Mit Ihrem Mann sind sie sich nicht sofort einig – und zeigen das auch im | |
| Film. | |
| Ich wollte erzählen, wie so ein Entscheidungsprozess aussehen kann. Man hat | |
| all die medizinischen Möglichkeiten und man muss sich entscheiden. Immer | |
| wieder. Es ist ja nicht eine Entscheidung, sondern es sind viele | |
| Untersuchungen, zu denen man Ja oder Nein sagen muss. | |
| Ihr Mann möchte die größtmögliche Sicherheit – alle medizinischen | |
| Möglichkeiten ausschöpfen. Was bedeutet Sicherheit im Kontext von | |
| Schwangerschaft und Pränataldiagnostik? | |
| Die gibt es natürlich nicht und das ist auch das Fatale. Das wissen wir | |
| besonders, weil wir in der ersten Schwangerschaft mit Uma mit Diagnosen | |
| konfrontiert waren, die nicht zutrafen, und mit Ärzt*innen mit | |
| unterschiedlichen Meinungen. | |
| Und trotzdem beschreibt der Film die Suche danach. | |
| Unsere vielleicht konkreteste Sorge war ein Kind mit Downsyndrom. In meinem | |
| Alter liegt die Chance dafür bei circa eins zu hundert. Und selbst wenn das | |
| Downsyndrom ausgeschlossen ist, gibt es noch viele andere genetische | |
| Defekte. Nicht alle können in der Schwangerschaft festgestellt werden. Wir | |
| kennen mittlerweile so viele Familien mit behinderten Kindern, bei denen in | |
| der Schwangerschaft alles untersucht wurde und alles schien unauffällig. | |
| Menschen, die diese Erfahrungen noch nicht gemacht haben, können da | |
| vielleicht einfacher sagen: Komm, wir hoffen jetzt einfach mal, dass alles | |
| hinhaut. Unwissen kann sehr hilfreich sein. Wir dagegen haben vorab | |
| diskutiert, ob wir uns überhaupt unter diesen Vorzeichen auf eine | |
| Schwangerschaft einlassen können. Solche Diskussionen führt man nur, wenn | |
| man sich völlig bewusst darüber ist, dass es keine Sicherheit gibt. | |
| Ist das dann auch eine Diskussion gegen das eigene behinderte Kind, das | |
| schon da ist? | |
| Das klingt wahrscheinlich extrem moralisch, aber ich hatte schon das | |
| Gefühl, als wäre das ein nachträgliches „Nein“ zu meiner Tochter Uma. So | |
| nach dem Motto: Eine von denen reicht (lacht). Meinem Mann waren diese | |
| Überlegungen zu moralisch. Er meinte, jede solche Lebensentscheidung sei | |
| individuell und aus der konkreten Situation heraus zu treffen. | |
| Kam ein Schwangerschaftsabbruch bei einem auffälligen Ergebnis für Sie in | |
| Frage? | |
| Das war der Knackpunkt: Nein. Ich konnte mir nicht vorstellen, daraus | |
| unbeschadet hervorzugehen. Bei aller Angst vor einem weiteren Kind mit | |
| Behinderung, war da immer auch ein Gedanke: Bei Uma konnten wir uns anfangs | |
| nicht vorstellen, wie das Leben mit ihr werden wird. Sie hat so viel Gutes | |
| in unsere Familie gebracht, hat uns bereichert und geprägt. Ich hatte die | |
| Hoffnung, wir würden es auch mit noch einem behinderten Kind schaffen – und | |
| vielleicht würde es wieder Gutes mitbringen, von dem wir noch gar nichts | |
| ahnen können. | |
| Letztendlich haben Sie die Entscheidung für die pränatalen Tests für Ihren | |
| Mann getroffen. Warum? | |
| Ich hatte große Angst davor, mitten in der Schwangerschaft wieder vor so | |
| eine Entscheidung gestellt zu werden, ob ich das Kind austragen will oder | |
| nicht. Das war bei Uma der Fall und ich empfand das als eine fast | |
| unmenschlich schwere Situation. Ich hätte mir dieses Mal vorstellen können: | |
| Augen zu und durch. Wir machen nichts und schauen, was dabei rauskommt. | |
| Mein Mann meinte, das Nichtwissen kommt für ihn nicht in Frage. Nun habe | |
| ich ja das Kind in meinem Bauch, also hatte ich schon das Gefühl, ich muss | |
| es letztlich entscheiden. Aber das kam mir so wenig partnerschaftlich vor. | |
| Eltern behinderter Kinder trennen sich überproportional häufig, meistens | |
| bleiben die Mütter allein mit den Kindern. Spielte das eine Rolle bei der | |
| Entscheidungsfindung? | |
| Ja, klar, es steht wirklich was auf dem Spiel. Wir haben schon vieles | |
| zusammen erlebt und auch durchlebt. Ich habe aber das Vertrauen, dass wir | |
| schon irgendwie einen gemeinsamen Weg gefunden hätten. Letztlich sitze ich | |
| sozusagen am längeren Hebel, weil das Baby in meinem Bauch ist. Aber habe | |
| ich deshalb das Recht, alleine zu entscheiden? Das ist total knifflig. | |
| Andererseits wäre ich es, die das alles körperlich durchleiden müsste. Und | |
| trotzdem würde es mir immer darum gehen, eine gemeinsame Entscheidung zu | |
| treffen. Damit es dann auch gemeinsam weitergeht. | |
| Was hätte Ihnen in dieser schwierigen Zeit bei der Entscheidungen geholfen? | |
| Wenn man einmal in dem medizinischen Untersuchungskarussell drin ist, ist | |
| es total schwer, noch ein tiefes emotionales Verhältnis zum Kind im Bauch | |
| zu erhalten. Alles dreht sich um die Auffälligkeiten und möglichen | |
| Komplikationen. In der Schwangerschaft mit Uma hat mir eine Begegnung mit | |
| einem Arzt sehr geholfen. Damals ging es um eine Prognose für Uma, wie sie | |
| sich geistig und körperlich entwickeln würde, wenn sie erst mal auf der | |
| Welt ist. Wir waren bei einem renommierten Arzt, der die Ultraschall- und | |
| MRT-Bilder beurteilen sollte. Er sagte, er könne nichts Genaues | |
| voraussagen. | |
| Er könne nur sagen, dass die meisten Eltern mit behinderten Kindern | |
| glücklicher geworden sind, als sie am Anfang dachten, dass sie werden | |
| würden. Er sprach als einer der Ersten nicht über medizinische Diagnosen | |
| und Prognosen, sondern er redete auf einer ganz anderen Ebene darüber, was | |
| uns mit unserer behinderten Tochter erwartet. Das hat mir geholfen, ich | |
| hatte nicht mehr den Eindruck, dass mein Leben zu Ende ist. | |
| Gibt es etwas, das Sie sich für die Debatte um Pränataldiagnostik wünschen? | |
| Es gibt diese eine allgemeine Vorstellung: „Die Ärzte können sehen, ob das | |
| Baby im Bauch gesund ist. Falls etwas Schwerwiegendes vorliegt, lässt man | |
| es wegmachen.“ Aber daran stimmt fast gar nichts. Ärzt*innen haben meist | |
| Messwerte, Normwerte, Verdachtsmomente, graduelle Abweichungen und | |
| prozentuale Wahrscheinlichkeiten. Wenn es überhaupt eine zuverlässige | |
| Diagnose gibt, dann oft so spät, dass das Baby außerhalb des Mutterleibs | |
| schon fast lebensfähig wäre. Dann kann man es nicht mehr einfach | |
| „wegmachen“, dann muss man es im Bauch mit einer Spritze töten und die | |
| Mutter muss es tot gebären. | |
| Sicher und einfach ist hier fast gar nichts. Meiner Meinung nach muss mehr | |
| darüber aufgeklärt werden, in welche Konflikte solche pränatalen | |
| Untersuchungen Familien stürzen können. Und es muss ein Recht auf | |
| Nichtwissen geben, und zwar in aller Selbstverständlichkeit. Mir wird | |
| tatsächlich oft die Frage gestellt, ob wir von Umas Behinderung schon vor | |
| der Geburt gewusst haben. Das klingt in meinen Ohren oft so, als ob ich | |
| rechtfertigen müsste, dass dieses Kind auf die Welt gekommen ist. | |
| 8 Mar 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Mareice Kaiser | |
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