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# taz.de -- Die Wahrheit: Benzinrebellen am Steuer
> Trotz Fahrverboten und Tempolimit kämpft die Autolobby für das
> unbeschränkte Recht auf KFZ-Besitz. Zu Besuch bei einer Aktivistin.
Bild: Hochgerüstete Automobilisten konkurrieren oft mit Helikopter-Eltern um d…
Emily von Schwartz lässt den Motor aufheulen und bläst eine fulminante
Feinstaubwolke durch ihr Münchner Büro. „Ich liebe den Geruch von Diesel am
Morgen“, brüllt die frisch frisierte Sprecherin des ADAC in den
infernalischen Lärm des ebenso frisch frisierten Verbrennungsmotors. Denn
dass von Schwartz auch an ihrem Arbeitsplatz nicht auf den fahrbaren
Untersatz verzichtet, ist für die fanatische Automobilistin Ehrensache.
Statt eines Sessels steht vor ihrem Schreibtisch deshalb ein aufgebockter
Geländewagen, in den jedoch ein noch weitaus emissionsfreudigerer
Schiffsdiesel eingebaut wurde. „Der unvergleichlichen Röstaromen wegen“,
erklärt von Schwartz genießerisch und tritt das Gaspedal noch einmal bis
zum Anschlag durch.
Die bekennende Raserin gehört zu jenen Hardlinern des altehrwürdigen
deutschen Automobilclubs, die den Traditionsverein zu einer kompromisslosen
politischen Kampforganisation umbauen wollen. „Aus meinen kalten toten
Händen werden sie das Lenkrad brechen müssen“, deklamiert die Speedqueen
noch einmal die Zeile, die sie berühmt und berüchtigt gemacht hat.
Mit ihrer unversöhnlichen Strategie weiß die hochtourige Lobbyistin jedoch
einen großen Teil der Mitglieder hinter sich. Dünkten sich Autofahrer
traditionell bloß als Melkkühe der Nation, fühlen sie sich heute durch
drohende Diesel-Fahrverbote und Tempolimits in ihrer schieren Existenz
bedroht.
Seit auch noch das Schreckensbild autonom lenkender Kraftwagen das
international geachtete deutsche Kulturgut „Fahrvergnügen“ zu vergällen
droht, haben sich viele Lenkradfreunde noch weiter radikalisiert und bis an
die Zähne motorisierte Milizen gegründet. Viele dieser Benzinrebellen geben
sich nicht einmal mehr mit schnittigen Boliden oder PS-starken SUVs
zufrieden, immer häufiger sieht man auch Leopard-Panzer in den Carports der
Vororte stehen oder Schwerlastzüge mit rußiger Rauchfahne zum Bioladen
tuckern.
## Krätze, Impotenz und Kommunismus
Die Aufrüstung auf deutschen Straßen hält von Schwartz für absolut
unbedenklich. „Ich bringe meine Kinder selbst jeden Morgen mit dem
Sechzehntonner in die Kita“, erklärt die dreifache Mutter, die seinerzeit
von ihren leidenschaftlichen Rennfahrereltern nach der Kühlerfigur des
Rolls-Royce benannt wurde. „Alles andere wäre viel zu gefährlich. Immerhin
könnte man jederzeit von einem Fußgänger gerammt werden.“
Von Passanten und Radfahrern, die nach Erkenntnissen einer umstrittenen
neuen ADAC-Studie Krätze, Impotenz und Kommunismus übertragen, geht nach
Meinung der Verbandsfrau die größte Gefahr im Straßenverkehr aus. Abhilfe
könnte nur eine vollständige Automobilisierung der Gesellschaft schaffen –
gerade ihrer schwächsten Mitglieder.
„Natürlich werden Kinder oft Opfer von Unfällen“, gibt von Schwartz Gas.
„Aber doch nur, weil man ihnen die schützende Stahlhülle eines Autos
vorenthält. Wenn man alle Grundschulkinder wenigstens mit Kleinwagen
ausstattete, sähe die Statistik doch ganz anders aus.“
## Führerschein ist Faschismus
Dazu müsste freilich erst einmal die Führerscheinpflicht abgeschafft
werden, die von Schwartz ohnehin vehement ablehnt: „Darin zeigt sich wieder
einmal unser totalitärer Überwachungsstaat. Genau wie in der lächerlichen
Bevormundung durch Vorfahrtsregeln und Gurtpflicht. Auf der Überholspur des
Lebens herrscht allein das Recht des PS-Stärkeren.“
Ihren eigenen Lappen hat die autokratische Aktivistin unlängst aus Protest
gegen ein Gerichtsurteil verbrannt, in dem zwei Autofahrer nach einem
Unfall bei einem illegalen Straßenrennen wegen Mordes belangt wurden. „Ein
unschuldiges Gefährt wurde darin als Mordwerkzeug diffamiert“, empört sich
die Sprecherin. „Dabei sind es nicht Autos, die töten, sondern Menschen.“
Wieder bekräftigt sie ihren Grundsatz, dass nur gottesfürchtige Fahrer in
möglichst aufgemotzten Schüsseln solche Rennen verhindern können. „Wenn die
good guys die schnelleren Autos haben, fahren die bad guys gar nicht erst
los.“
Auch ganz persönlich fühlt sich die Vorsitzende der Kita „Motorbiene“
bedroht – nicht nur von verblendeten Ideologen des öffentlichen Nahverkehrs
und Maschinenstürmern. „Ich schlafe nur noch mit gelockerter Handbremse und
laufendem Wankelmotor unter dem Kopfkissen“, verrät sie, aber einen Gang
herunterzuschalten kommt für die hochoktanige Kraftmaschinenführerin nicht
in Frage.
## Motorisierung des Abendlandes
„Autofahren ist ein unveräußerliches Freiheitsrecht, das steht so im
zweiten Zusatz zum Grundgesetz“, behauptet die junge Verbandsfrau, die seit
einer misslungenen Reparatur in Kindertagen Benzin im Blut hat. Auf die
Frage nach dem ersten Verfassungszusatz muss von Schwartz dann aber erst
einmal passen. „Blei?“, rät sie dann.
Doch mit Logik ist der mythischen Verklärung, die das Automobil hierzulande
genießt, ohnehin nicht beizukommen. Vielen Deutschen ist der vierreifige
Freund Kindesersatz, Tempel und Wohnung zugleich. Für die streng gläubige
Kraftfahrerin von Schwartz ist die Motorisierung des Abendlandes ohnehin
kein verkehrspolitisches Anliegen, sondern ein religiöses Gebot. Auf den
rechten Unterarm trägt sie nicht nur eine Reifenspur („Pirelli Formula 1
Slick Superhard Orange“) tätowiert, sondern auch den Verweis auf eine
Bibelstelle. „12. Zylinder Mose“ steht da. Angeblich befiehlt der Herr
darin seinem auserwählten Volk den Bau von Autobahnen.
3 Mar 2018
## AUTOREN
Christian Bartel
## TAGS
Diesel
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Kulturgeschichte
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