| # taz.de -- Die Wahrheit: Finsternis über halbleeren Gläsern | |
| > Angesichts der Weltlage lässt der unverwüstliche Bund Deutscher | |
| > Optimisten alle Hoffnung fahren. Nach 66 Jahren verkündet er seine | |
| > Auflösung. | |
| Bild: Wer vom Optimismus zum Pessimismus konvertiert, nimmt seinen neuen Glaube… | |
| Wer Ohren hatte, es zu hören, konnte es schon seit Längerem vernehmen: das | |
| melancholische Pfeifen der Spatzen von den Dächern. Doch nun, da die | |
| possierlichen Pfeifvögel ohrenscheinlich verstummt sind – nämlich offenbar | |
| von den Dächern der Vereinszentrale gerutscht, von Katzen erlegt oder ins | |
| Ausland geflohen –, wird die unheilschwangere Ahnung zur traurigen | |
| Gewissheit: Der traditionsreiche Bund Deutscher Optimisten (BDO) mit Sitz | |
| in München, über viele Jahrzehnte hinweg eine stolze Bastion der | |
| unbedingten Zuversicht und Daseinsbejahung im bundesdeutschen Geistesleben, | |
| steht kurz vor seiner Auflösung. | |
| Bereits bei der nächsten ordentlichen Mitgliederversammlung im April will | |
| der Vorstand über ein Papier abstimmen lassen, das das Schicksal des früher | |
| so hoffnungsfrohen Bundes endgültig besiegelt. Nach dem tragischen | |
| Unfalltod von Vereinspräsident Dr. Bernhard Schaffer wird den Teilnehmern | |
| empfohlen, „resigniert den Bettel hinzuschmeißen“, die Beitragszahlungen | |
| unverzüglich einzustellen und die Organisation klammheimlich zu verlassen. | |
| Statt mit einem großen Knall soll der einstmals enorm einflussreiche BDO | |
| also mit einem leisen Wimmern von der nationalen Bühne abtreten, so | |
| wenigstens der zaghafte Plan des übriggebliebenen Vorstands, der aber nach | |
| eigenem Bekunden „gewiss in die Hose gehen“ wird. | |
| ## Myriaden von Abreißkalendern | |
| Bei allem Respekt und trotz aller Unkenrufe – mit einem derart traurigen | |
| und würdelosen Abgang hatten selbst wohlinformierte Beobachter nicht | |
| gerechnet. Zu seinen besten Zeiten hatte der 1952 gegründete Optimistenbund | |
| knapp eine Million Mitglieder, die sich und ihre weiteren Lebenskreise zu | |
| immer neuen Höchstleistungen anspornten. Mit regen Freizeitaktivitäten und | |
| einer engagierten Lobbyarbeit sorgten der Verein und seine angegliederten | |
| Stiftungen dafür, Deutschlands Zukunft in den rosigsten Farben auszumalen | |
| und die Wangen seiner Bewohner ebenso verheißungsvoll zu tönen. | |
| Im Rahmen seiner Bildungsarbeit brachte der Bund den Deutschen auf vielen | |
| tausend Tagungen und Seminaren das Ärmelhochkrempeln, Nachvorneschauen und | |
| Gutelauneverbreiten bei. In seinen myriadenfach verbreiteten | |
| Abreißkalendern setzte er beflügelnde Weisheiten in die Welt wie „Morgen | |
| ist auch noch ein Tag zum Wirken und Gestalten“, „Ein Fremder ist nur ein | |
| Freund, mit dem du noch kein Bier getrunken hast“ und „Aufgeben gilt nicht, | |
| es sei denn, am Paketschalter der Bundespost“. Kurz: Weltweit bewunderte | |
| Leistungen wie Wirtschaftswunder, Ostpolitik und Wiedervereinigung wären | |
| ohne den Bund Deutscher Optimisten schlicht nicht denkbar gewesen. | |
| ## Vollständig mutlos | |
| Interne Mailwechsel, die der Redaktion vorliegen, lassen darauf schließen, | |
| dass der Bund selbst bei optimistischster Betrachtung zuletzt von objektiv | |
| gravierenden Problemlagen gequält wurde. Auf der einen Seite machten sich | |
| bei ihm Nachwuchsmangel, Überalterung und finanzielle Auszehrung auf so | |
| schmerzhafte Weise bemerkbar, dass zu harten Sparmaßnahmen gegriffen werden | |
| musste. Selbst die Berufsoptimisten im Vorstand sahen ihre Gläser bei den | |
| wöchentlichen Sitzungen stets nur noch halbleer oder leer. Immer häufiger | |
| machten düstere Wolken am Horizont eine zufriedenstellende Verbandsarbeit | |
| bei Tageslicht unmöglich. | |
| Auf der anderen Seite schienen die ohnehin nicht mehr sonderlich | |
| zahlreichen Vereinsmitglieder, wie es in einem Schreiben aus dem Januar | |
| heißt, „angesichts der vielfältigen, zusehends drängenderen und letztlich | |
| eigentlich unzumutbaren Katastrophen im Land und auf der Welt“ jeden | |
| Glauben daran verloren zu haben, „dem Optimismus künftig wieder Geltung | |
| verschaffen zu können“. Viele hätten es satt, ständig ausgelacht zu werden; | |
| etliche seien vollständig mutlos geworden und darüber zum Pessimismus | |
| konvertiert. | |
| ## Extrem trübsinnig | |
| Insbesondere Verbandspräsident Schaffer hatte offenbar großes Verständnis | |
| für die Abweichler. Er soll deshalb auf einige baldige Satzungsänderung und | |
| eine Umbenennung der Organisation in „Bund Deutscher Realisten“ gedrungen | |
| haben. Auch sonst habe er sich merkwürdig benommen. Auf den Vereinsgruß | |
| „Die Hoffnung stirbt zuletzt!“ habe er in den vergangenen Wochen nur noch | |
| mit einem resigniert gemurmelten „Ist schon begraben …“ geantwortet und | |
| sich dann nach Hause ins Bett verfügt – teils schon mittags um zwölf. | |
| Als Schaffer vor vierzehn Tagen schließlich von einem | |
| Bergsteiger-Wochenende nicht mehr zurückkehrte und sich auf seinem | |
| Schreibtisch ein vielsagender Kalenderspruch fand („Gestern standen wir | |
| kurz vor dem Abgrund, heute sind wir einen Sprung weiter“), zog der | |
| verbliebene Vorstand schockiert die Reißleine. Nach einer von Teilnehmern | |
| als „extrem trübsinnig“ und „geradezu klinisch depressiv“ beschriebenen | |
| Sitzung in der unbeheizten Zentrale wurden die bundesweit dreizehn übrigen | |
| Mitglieder über die Auflösungsbestrebungen in Kenntnis gesetzt und ein | |
| Entrümpelungsunternehmen zur Räumung der Vereinsräume engagiert. Wenn alles | |
| so finster läuft wie vom Vorstand zu Recht erwartet, ist der Bund Deutscher | |
| Optimisten zur Mitte des Monats April somit endgültig Geschichte. | |
| 26 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Mark-Stefan Tietze | |
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