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# taz.de -- Reform des Unterhaltsvorschusses: Armutsrisiko dank Amtschaos
> Alleinerziehende erhalten seit 2017 einen Vorschuss auch für Kinder über
> 12. Weil sich die Ämter nicht vorbereiteten, warten Tausende auf ihr
> Geld.
Bild: Die Reform des Unterhaltsvorschusses trat im Juli 2017 in Kraft. Sie gab …
Berlin taz | Eva-Maria Treichel bekommt keine Rückmeldung. Seit einem
halben Jahr hofft die Alleinerziehende auf ihren Bescheid. Sie wartet auf
Hilfe, die ihr eigentlich zusteht: Mit dem Unterhaltsvorschuss springt der
Staat ein, wenn der Ex-Partner nicht für die Kinder zahlt. Die
Touristikkauffrau aus Düsseldorf muss allein für sich und ihre drei Kinder
sorgen – von ihrem Partner lebt sie getrennt, seitdem kümmert er sich nicht
mehr.
Der Juli 2017 war ein Hoffnungsmonat für Alleinerziehende wie Eva-Maria
Treichel: die [1][Reform des Unterhaltsvorschussgesetzes] trat in Kraft.
Nach dem neuen Gesetz erhalten nun auch Kinder über 12 Jahren
Unterhaltsvorschuss und die Bezugsdauer von maximal sechs Jahren wurde
aufgehoben. Davon profitiert auch Eva-Maria Treichel – jedenfalls
theoretisch.
Bisher hat sie noch kein Geld erhalten. Dabei ist sie auf Unterstützung
angewiesen: „Ich verdiene etwa 900 Euro netto. Das reicht nicht aus, um die
Familie zu ernähren. Ich brauche zusätzlich Geld vom Jobcenter.“ Mit ihren
finanziellen Sorgen ist die Mutter nicht allein. 43 Prozent der
Alleinerziehenden sind von Armut gefährdet. Die Reform des
Unterhaltsvorschusses bedeutet eine finanzielle Entlastung. Eigentlich.
Seit Monaten klagen Alleinerziehende über ausbleibende Zahlungen, die Stadt
München stellt eine Bearbeitungszeit von drei Monaten in Aussicht, in
Hamburg müssen Betroffene offiziell sogar bis zu sechs Monate warten. Auch
beinahe alle Stellen der Bezirksjugendämter in Berlin weisen darauf hin,
dass die Bearbeitung der Anträge entweder mehrere Monate dauern werde, von
Anfragen abzusehen sei oder derzeit keine Sprechstunden stattfänden. Wie
lange es dauert, bis Geld fließt, darüber gibt es keine bundesweiten
Zahlen.
## Tausende Fälle, zu wenige Stellen
Für die Bearbeitung der Anträge sind die jeweiligen Jugendämter zuständig.
Dass das Problem viele Alleinerziehende betrifft, bestätigt auch der
Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) und hat eine interne
Umfrage unter den Verbandsmitgliedern durchgeführt. Zwar zeichne sich in
den Städten ein gemischtes Bild, doch für Julia Preidel, Referentin des
VAMV, ist klar: „Die Kommunen hatten ein halbes Jahr Zeit, um genügend
Personal aufzustellen. Das haben viele offenbar nicht genutzt.“
Dass die Reform kommt, [2][stand bereits zu Beginn des Jahres 2017 fest.]
Auch in Berlin war Zeit, sich vorzubereiten: Die Berliner Bezirke bekamen
beispielsweise jeweils sechs zusätzliche Stellen zugesichert, erklärt Falko
Liecke (CDU), stellvertretender Bezirksbürgermeister und Bezirksstadtrat
von Neukölln. Aktuell ist die Beratungsstelle des Jugendamtes wegen
Überlastung geschlossen, weil die Arbeitskraft für die Bearbeitung der
Anträge gebraucht wird.
„Wir brauchen mindestens 17 neue Stellen, um das Antragsvolumen zu stemmen.
2017 hatten wir bis Juni 2.200 Fälle, in der zweiten Jahreshälfte 4.800.
Die Anträge haben sich mehr als verdoppelt“, sagt Liecke. Der berechnete
Personalschlüssel reiche nicht aus, doch jetzt ließe sich das Problem nicht
einfach korrigieren – es fehle nicht nur an Mitarbeitern, sondern auch an
Büroraum.
Ausbleibender Unterhalt fordert Armut
Das Jugendamt Neukölln habe sich deshalb dafür entschieden, zwei Kategorien
zu bilden: Alleinerziehende, die eine Grundsicherung beziehen (SGB
II-Leistungen) und alle anderen. Betroffene, die eine Grundsicherung
erhalten, stehen so bei der Bearbeitung hinten an – in Neukölln stellen sie
80% der Anträge, sagt Liecke. Wenn er könnte, würde er sie am liebsten ganz
streichen: „Bei SGB-II-Empfängern wird der Unterhaltsvorschuss direkt von
den Sozialleistungen abgezogen. Das ist ein riesiger Verwaltungsaufwand,
weil wir Geld vom einen Topf (Bezirksamt) zum anderen Topf (Jobcenter)
verrechnen. Dabei ändert sich für die Alleinerziehenden gar nichts.“
Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter sieht in Lieckes Vorschlag
keine Lösung. Schließlich wären einige Betroffene durch den
Unterhaltsvorschuss nicht mehr auf die Grundsicherung von Jobcenter
angewiesen. „Durch die verschiedenen Verrechnungsstellen wird außerdem erst
transparent, dass eine Ursache für die Armut von Alleinerziehenden eben
nicht gezahlter Unterhalt ist. Viele sind ja auch deshalb im SGB II-Bezug,
weil ihr Ex-Partner nicht für die Kinder zahlt“, sagt Verbandsreferentin
Julia Preidel (VAMV). Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt: Nur
jeder zweite Ex-Partner kommt den Unterhaltszahlungen nach.
Damit zukünftig weniger [3][Alleinerziehende von Armut betroffen] sind,
müssen die Ämter das Personalproblem lösen. Erst, wenn das versprochene
Geld tatsächlich auf den Konten der Familien landet, macht sich die Reform
des Unterhaltsvorschusses bezahlt.
6 Feb 2018
## LINKS
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## AUTOREN
Raphaela Rehwald
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Manuela Schwesig
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Alleinerziehende, die vom anderen Elternteil kein Geld bekommen, mehr Geld
vom Staat.
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