# taz.de -- Bertelsmannstudie zu Familienarmut: Geschönte Armut statt schön r… | |
> Reiche Familien sind in Deutschland noch reicher und arme noch ärmer als | |
> bisher gedacht. Das enthüllt eine Studie der Bertelsmannstiftung. | |
Bild: Eine Helferin der Mainzer Tafel gibt Gemüse an Bedürftige aus | |
Dass in Deutschland insbesondere Familien mit nur einem Elternteil unter | |
finanziellem Druck stehen, ist kein neuer Befund. Wie schwierig die | |
Situation für Familienhaushalte und wie groß das Ausmaß der sozialen | |
Ungleichheit aber tatsächlich ist, wurde bisher systematisch unterschätzt. | |
Zu dieser Einsicht kommen Wissenschaftler der Universität Bochum, die im | |
Auftrag der Bertelsmannstiftung eine Studie zur Entwicklung der | |
Einkommenssituation von Familien durchgeführt haben. Ihre Ergebnisse | |
stützen sich auf eine neue Berechnungsmethode, die die tatsächlichen | |
Lebensverhältnisse besser abbilden soll. | |
Zum Vergleich der finanziellen Situation verschiedener Haushaltstypen | |
nutzen Ökonomen sogenannte Äquivalenzskalen. Die Ausgaben eines Haushalts | |
werden im Durchschnitt kleiner, je mehr Personen darin wohnen – nicht jede | |
Person braucht einen eigenen Kühlschrank und Reis ist günstiger im | |
3-Kilo-Pack. Um solche Einsparungen zu berücksichtigen, wird jedes | |
zusätzliche Haushaltsmitglied anders gewichtet. | |
Das Neue an der vorliegenden Bertelsmannstudie ist, dass sie zusätzlich zur | |
Haushaltsgröße auch die Einkommen der Haushaltsmitglieder miteinberechnet. | |
Die Forscher argumentieren, dass ein weiteres Mitglied einen | |
finanzschwachen Haushalt tendenziell stärker belastet als einen | |
wohlhabenden. Während beispielsweise die einen bei Kinderzuwachs in eine | |
größere Wohnung umziehen müssen, können Bessergestellte ein bisheriges | |
Arbeits- zum Kinderzimmer umfunktionieren. | |
## Die Wirklichkeit ist extremer als gedacht | |
Entsprechend dieser neuen Berechnung der Äquivalenzskalen fallen die | |
Gewichtungen bei niedrigen Einkommen höher und bei mittleren und höheren | |
Einkommen niedriger aus als bisher üblich. Mit anderen Worten: Arme | |
Haushalte wurden als reicher und reiche Haushalte als ärmer dargestellt, | |
als es den realen Verhältnissen entspricht. | |
Angewandt auf Daten des sozioökonomischen Panels aus dem Jahr 2015 zeigt | |
die Studie, dass besonders Haushalte mit nur einem Elternteil finanziell | |
unter Druck stehen: Sie verfügen über das geringste gewichtete Einkommen. | |
Zudem bedeutet jedes Kind eine Verschlechterung der finanziellen Situation | |
– auch wenn beide Elternteile vorhanden sind. | |
Ein weiteres zentrales Ergebnis betrifft die Entwicklung der letzten 25 | |
Jahre: Schwächer gestellte Familien konnten ihre Situation kaum verbessern, | |
während der Trend für alle anderen Haushaltstypen deutlich positiver | |
verlief. Das Resultat ist eine Vergrößerung der sozialen Ungleichheit seit | |
1992. Besonders betroffen sind erneut Haushalte Alleinerziehender. Deren | |
Einkommen steigen seit über zwei Jahrzehnten klar unterdurchschnittlich. | |
Diese Entwicklungen spiegeln sich auch im Armutsrisiko wider. Dieses wird | |
in der Forschung als relativ zum Reichtum einer Gesellschaft verstanden. | |
Alle Haushalte, die über weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen | |
Haushaltseinkommens verfügen, gelten als armutsgefährdet. Auch hier zeigt | |
sich die besondere Belastung Alleinerziehender: Die Armutsrisikoquote für | |
Haushalte Alleinerziehender liegt bei enormen 68 Prozent – und damit noch | |
mal 22 Prozentpunkte höher als bei der bisher üblichen Berechnungsweise. | |
Die Bochumer Wissenschaftler fordern nun, dass sich die Politik auf die | |
Armutsbekämpfung konzentrieren solle mit besonderem Fokus auf Familien und | |
Kinder. Sie empfehlen, sowohl bisherige Instrumente zu überarbeiten als | |
auch die Rahmenbedingungen zur Bewältigung von Arbeit und Familie zu | |
verbessern. | |
7 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Jakob Kulick | |
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