# taz.de -- Ein Flüchtling sucht einen neuen Anfang: Gefangen im Regelwerk Eur… | |
> Asyl in Italien, Frau und Kind in Berlin. Der Nigerianer Bashiru Uba muss | |
> pendeln, um halblegal leben zu können. Wie so viele andere Migranten. | |
Bild: Unterwegs nach Italien. Die Angst vor den Grenzern fährt mit | |
Berlin/München/Bergamo taz | Für Bashiru Uba liegt Italien verflucht weit | |
weg, weiter als für andere Bewohner Deutschlands. Normalerweise dauert der | |
Weg dorthin für ihn mindestens eine Woche, denn er muss ihn heimlich | |
fahren. Der Flüchtling aus Nigeria hat nämlich keine gültigen Papiere. | |
Seinen richtigen Namen möchte Bashiru Uba deshalb auch nicht in der Zeitung | |
lesen. | |
In Deutschland dürfte Bashiru Uba eigentlich gar nicht leben. Die | |
Freizügigkeit in der EU gilt für ihn nicht. Passiert er innereuropäische | |
Grenzen, versucht er deshalb den Kontrollen zu entgehen: auf Routen, die er | |
mit Freunden austauscht. Mit Bussen und Bummelzügen. Als der Nigerianer an | |
diesem Donnerstag in Deutschland ins Auto steigt, ist er allerdings ganz | |
ruhig. Mit einem Auto, das weiß er, ist es leichter. Mit einer weißen Frau | |
am Steuer sowieso. | |
Bashiru Uba versteckt seine Aufenthaltsgenehmigung aus Italien, denn sie | |
ist abgelaufen. „An der Grenze ist es besser, zu sagen, dass du keine | |
Papiere hast“, erklärt er. Schon oft hat er diese Reise gemacht: von | |
Deutschland nach Italien. So oft, dass er es gar nicht mehr zählen kann. | |
Wie viele Flüchtlinge, die auf den Booten von Libyen nach Europa | |
übersetzen, läuft auch sein Verfahren in Italien: dem ersten Land, das er | |
in der EU betreten hat. Nur ist er längst nicht mehr dort. | |
Uba dreht das Autoradio auf. Auch wenn er den neuen Song von Justin | |
Timberlake nicht kennt, summt er laut mit und wirft an den richtigen | |
Stellen ein englisches Wort ein, das er verstanden hat. Der 31-Jährige | |
lächelt fast immer. Ist er angespannt, dann graben sich die Lachfalten | |
besonders tief in seine schwarze Haut. | |
## Von Nigeria nach Libyen nach Italien nach Deutschland | |
Wenn Uba gefragt wird, wie er etwas findet, dann sagt er in der Regel: | |
„It’s okay.“ Es ist okay, dass sie ihm am Morgen bei der Ausländerbehör… | |
in Berlin nicht seine Papiere zurückgegeben haben, die ihm die Polizei vor | |
drei Tagen bei einer Kontrolle abgenommen hat. Es ist okay, dass er nach | |
Italien fahren muss, um seine Aufenthaltsgenehmigung zu erneuern. „Was kann | |
ich schon tun“, sagt er und zuckt mit den Schultern. | |
Vor zwölf Jahren ist Uba von Nigeria nach Libyen geflohen. Er wollte dort | |
arbeiten, Geld nach Hause schicken zu seinen Eltern und den sechs | |
Geschwistern. Das gelingt ihm, bis im Jahr 2011 der libysche Machthaber | |
Muammar al-Gaddafi die Macht verliert. In den Unruhen danach sollen die | |
Schwarzafrikaner aus dem Land vertrieben werden. Wie viele andere landet | |
Bashiru Uba auf einem der Boote nach Europa. Zunächst geht es für ihn nach | |
Lampedusa. Dann wird er weiterverteilt: erst in ein Hotel nach Mailand, | |
dann in die 50 Kilometer entfernte Stadt Bergamo. Hier läuft seitdem sein | |
Verfahren. | |
Aber Bashiru Uba will nicht in Italien bleiben. Auf dem Ausländeramt | |
händigen sie ihm 2012 seine Papiere aus und wünschen ihm viel Glück: „Fahr! | |
Hier hast du keine Chance“, rät ihm ein Sachbearbeiter hinter der | |
Glasscheibe. | |
Also fährt er. Nach Deutschland. Denn am Oranienplatz in Berlin, so erzählt | |
ihm ein Freund am Telefon, werde gerade protestiert und man habe eine | |
Chance auf eine Aufenthaltserlaubnis. Der junge Mann wagt es. Er zeltet | |
knapp ein Jahr auf dem Platz. Danach geht es in eine neue | |
Flüchtlingsunterkunft. Seine Duldung wird zweimal verlängert. Dann heißt es | |
wieder: Italien. | |
## Pendeln für eine halblegale Existenz | |
Aber Bashiru Uba geht nicht zurück. Stattdessen kommt er bei Freunden | |
unter, lebt von Schwarzarbeit. Und er pendelt. Seine Aufenthaltsgenehmigung | |
in Italien erlaubt es ihm, alle drei Monate innerhalb Europas zu reisen. | |
Tatsächlich fährt Bashiru Uba nur nach Italien, wenn er seine Genehmigung | |
verlängern muss. Die Polizei kann ihm das schwer nachweisen. | |
Heute wird er im Auto nur bis München fahren. Es ist der erste Tag einer | |
sechstägigen Reise. Ein Handy klingelt. Es ist eine App für Muslime, die | |
Uba an das Gebet erinnert. „Ich bete im Herzen“, sagt er entspannt, | |
trommelt auf das Armaturenbrett, steckt eines seiner beiden Handys wieder | |
in die Tasche. Das iPhone ist fürs Internet, ein zweites älteres Handy zum | |
Telefonieren. Wieder klingelt es. Diesmal ist es das alte Handy. Bashiru | |
Uba nimmt ab, antwortet auf Yoruba, seiner Muttersprache. Es ist ein | |
Freund, der ihm noch mal die sichere Route bestätigt, die er fahren soll. | |
Er ist gerade aus Italien auf ihr zurückgekommen: keine Kontrollen. Etwa | |
300 Euro kostet es, die Route hin und zurück zu fahren. Ohne Übernachtungen | |
natürlich. Das ist viel Geld für Uba und seine Freunde. „Was kann ich denn | |
sonst machen!“, sagt er. Fliegen geht nicht. In Deutschland bleiben auch | |
nicht. | |
Bashiru Uba blickt aus dem Fenster. Im Süden Deutschlands liegt vereinzelt | |
Schnee. In Bayern hat er ihn zum ersten Mal gesehen. „Das war so ein tolles | |
Gefühl!“, sagt er und reibt sich die rauen Hände, die er immer wieder mit | |
einer Handcreme eincremt. Mit Erdbeergeruch. „Eine Antilope!“, ruft er | |
voller Freude. Er meint ein Reh, das neben der Autobahn über eine Wiese | |
springt. Die erste Station ist bald geschafft. | |
## Die Grenze ist nah. Ubas Lächeln wird fester | |
Am nächsten Morgen ist es finster. „Es sieht aus wie in Afrika“, sagt Uba, | |
während der Wagen München verlässt. Bis zur Grenze nach Österreich sind es | |
weniger als zwei Stunden. Bashiru Uba dreht die Nachrichten im Radio an und | |
hört aufmerksam zu. Er versteht Deutsch, doch er spricht es nur wenig. Es | |
geht um die Große Koalition. Der junge Mann schüttelt den Kopf. Horst | |
Seehofer nennt er „das Gericht“, weil er Angela Merkel immer daran | |
erinnere, wenn sie nicht im Sinne der Partei handelt. Er lacht. „Und er mag | |
uns nicht.“ Mit „uns“ meint er Flüchtlinge. | |
Die Grenze ist nah. Ubas Lächeln wird fester. Aus dem Auto will er so kurz | |
vor Österreich nicht mehr aussteigen, obwohl er auf die Toilette muss. Oft | |
kontrolliert die Polizei an den Tankstellen nahe der Grenze. Er schweigt | |
und schaut auf die Straße. Schon oft ist er die Strecke gefahren. Zum | |
Beispiel mit der Deutschen, die seinen Freund Shizo geheiratet hat. Shizo | |
hatte Glück. Seine Frau hat er bei den Protesten auf dem Oranienplatz | |
kennengelernt. Stolz zeigt Uba die Bilder von der hübschen blonden | |
Helferin. | |
Eine weiße Freundin haben. Davon hat auch Bashiru Uba lange geträumt. Mit | |
seinem Status, sagt er, wäre dann alles okay. Verliebt hat sich Bashiru Uba | |
dann aber in Nasifat aus Nigeria. Auch sie kam über Lampedusa nach Europa | |
und versuchte es schließlich in Deutschland. Weil sie ein Kind von einem | |
Mann mit deutscher Staatsbürgerschaft bekam, durfte sie bleiben. Uba lebt | |
bei ihr in einem Plattenbau. Vor neun Monaten brachte sie sein Kind zur | |
Welt: eine Tochter. Nun will Uba auch offiziell ihr Vater werden. Damit | |
hätte er letztlich doch noch eine Chance auf ein Aufenthaltsrecht in | |
Deutschland. Dann könnte er legal arbeiten. Ein Leben beginnen. Doch ohne | |
Pass ist das nicht möglich. | |
Den Pass hat Bashiru Uba schon lange nicht mehr. „Er ist ins Meer | |
gefallen“, sagt er. Das war einerseits gut, weil ihn so keiner abschieben | |
konnte. Weil er sich so jünger machen konnte, als er tatsächlich ist. | |
Andererseits ist es nicht einfach, einen neuen Ausweis zu bekommen. Dazu, | |
sagt Uba, muss er viel Geld an sein Heimatland bezahlen. „1.500 Euro kostet | |
das beim Konsulat in Berlin“, erklärt der Nigerianer. Schmiergeld. Ein | |
„Freund“, der in Nigerias Hauptstadt Abuja Kontakte hat, will es für „nur | |
800 Euro“ machen. Nachdem er aus Italien zurück ist, soll Bashiru Uba das | |
Geld bezahlen. Auch der „Freund“ ruft immer wieder an. Er brauche jetzt das | |
Geld, damit es losgeht. Gerne würde Uba selbst nach Nigeria reisen und den | |
Pass holen. Doch für die Reise bräuchte er eine neue Aufenthaltserlaubnis | |
aus Italien. Und dafür will Italien seinen Pass sehen. Bashiru Uba zuckt | |
die Schultern. „Es ist kompliziert.“ | |
Die Grenze zu Österreich passiert Bashiru Uba ohne Probleme. Schnell | |
erreicht der Wagen den Brenner. Uba fotografiert den Schnee in der | |
Dunkelheit. Im Radio betet ein italienischer Pfarrer das Ave Maria. Ubas | |
linke Hand ziert ein Rosenkranz. „Ich bete in beiden Religionen“, sagt er. | |
„Amen“, fügt er hinzu, gemeinsam mit dem Pfarrer. An der italienischen | |
Grenze steht ein Polizeiauto. Uba beobachtet es und freut sich, als es | |
stehen bleibt. „Wir sind in Italien!“, sagt er fröhlich. Als Erstes kauft | |
er Kaffee an einer Tankstelle und geht zur Toilette. | |
## In Bergamo grüßen alte Bekannte | |
Am Ortsschild Bergamo reibt sich Uba wieder die Hände. „Alles wird gut“, | |
versichert er. Er navigiert den Fahrer durch die Stadt mit ihren vielen | |
Sackgassen. Schon aus dem Auto erkennt er alte Bekannte. Als Erstes will | |
Uba seinen Antrag für eine neue Aufenthaltsgenehmigung ausfüllen lassen. | |
Ein ehrenamtlicher Helfer unterstützt ihn dabei. Routiniert trägt er die | |
Daten des Nigerianers ein, die falsche Adresse eines Freundes, die Uba | |
immer angibt. Uba zahlt das Geld für die Dokumente bei einer Bank ein. In | |
einem Automaten am Hauptbahnhof will er Passfotos machen lassen. Auf dem | |
Weg dorthin sieht er Sunny, einen Landsmann und alten Freund. Die beiden | |
begrüßen sich von Weitem. Sunny bremst sein Fahrrad und breitet die Arme | |
weit aus für seinen Freund, „der es geschafft hat“, wie er sagt. | |
Gemeinsam saßen Uba und Sunny damals in dem Boot nach Lampedusa. Gemeinsam | |
wohnten sie erst in dem Hotel bei Mailand, dann in Bergamo. Aber Sunny ging | |
nicht nach Deutschland. Heute verkauft er Drogen und bettelt. „Arbeit gibt | |
es hier nicht“, sagt Sunny und steigt auf sein Fahrrad. Er muss Frau und | |
Kind versorgen. „Hier haben wir immer gesessen“, sagt Uba und zeigt auf ein | |
paar weiße Steinbänke am Bahnhofsvorplatz. Er blickt auf den nahe liegenden | |
Busbahnhof: „Und hier haben wir geschlafen.“ | |
## Für die Freunde hat Bashiru Uba es geschafft | |
In den Schlafsäcken am Bahnhof stecken auch heute noch viele Freunde von | |
Uba, so wie Charly aus Ghana. Der 30-Jährige hat Erfrierungen an den Händen | |
und ein Tetrapack Rotwein unter dem Arm. Bis vor einem Jahr hat er noch in | |
einer Fabrik gearbeitet. Dann verlor er den Job und begann zu trinken. Sein | |
Blick ist glasig. Er kann sich nur schwer auf den Beinen halten. Auch für | |
ihn hat Bashiru Uba es „geschafft“: Er ist in Deutschland, er lebt in einer | |
Wohnung. Dass auch Uba nur schwarz arbeiten kann, zählt für sie nicht als | |
Versagen. Sie fragen den Freund nach Zigaretten, nach Geld. Von Deutschland | |
träumen sie nicht. Ihre Reise ist hier zu Ende. | |
Bashiru Uba will weiter zur Caritas. Er hofft, dort einen Schlafplatz zu | |
bekommen. „Hier – oder auf der Straße“, sagt er. „Manchmal kommt noch … | |
Pastor einer Kirche vorbei. Und nimmt dich mit. Aber da sind nur Junkies.“ | |
Uba hat nie Drogen genommen. Er hat nie welche verkauft. Darauf ist er | |
stolz. „Das mache ich nicht“, sagt er. „Das ist nicht gut.“ | |
Das Gelände der Caritas ist groß. Früher hat Uba hier in einem Zelt neben | |
dem Bolzplatz geschlafen. Geleitet wird die Unterkunft von Pfarrer Don | |
David, den alle nur „den Don“ nennen. Der Don begrüßt Uba, als hätten sie | |
sich erst vor ein paar Tagen gesehen. Ubas Freunde kickern in einem der | |
Schlafsäle zwischen Stockbetten. Sie warten darauf, dass es nebenan im Saal | |
Essen gibt. Andächtig begutachten sie Uba, der aus Deutschland kommt. „Wie | |
ist es da?“, fragen sie. Uba ist geschmeichelt. Auch für sie ist er der | |
Gewinner. Um sechs Uhr am Abend schlurfen sie herüber zur Schlange vor dem | |
Essenssaal. An den Wänden hängen Bilder von den Alpen und von Kleintieren. | |
Für einen Euro können Obdachlose hier essen. Die meisten der Anwesenden | |
sind schwarz. | |
Uba stellt sich dazu. Er winkt Freunden, setzt sich an einen der | |
Plastiktische. Ihm gegenüber sitzt ein 23-Jähriger aus Ghana, seit sechs | |
Monaten in Italien. Uba isst hastig. Das frittierte Hühnchen mag er am | |
liebsten, dazu Reis, Salat, ein Stück Pizza. Er vermisst sein | |
nigerianisches Essen. Er vermisst seine Freundin und seine Tochter, von | |
denen er sich abends im Bett Videos anschaut und mit denen er mehr als | |
fünfmal am Tag telefoniert. Seinem Stiefsohn wird er ein Spielzeugauto | |
mitbringen, das ihm ein Italiener geschenkt hat. Wie stolz sein Stiefsohn | |
sein wird, dass er etwas von der Reise nach Hause bringt! | |
Nach dem Essen klingelt das Handy. Ein Freund lässt Uba auf der Couch | |
schlafen. „Keine Straße!“, sagt er beglückt. Das Wochenende verbringt Uba | |
bei Jamal und seiner Frau. Jamal ist einer der wenigen, die es auch in | |
Italien „geschafft“ haben. Für 6,50 Euro die Stunde steht der Mann aus | |
Nigeria in einer Fabrik. Sechs Tage die Woche. Das Haus verlässt er morgens | |
um 4.30 Uhr. Zurück kommt er um sieben Uhr abends. Auch Uba wünscht sich so | |
einen Job. | |
Am Montagmorgen fällt Bashiru Uba das Lächeln zum ersten Mal schwer, nicht | |
nur weil seine Unterlippe aufgesprungen und angeschwollen ist. Hastig läuft | |
er zum Kiosk an der Ecke. Er muss noch ein paar seiner Unterlagen kopieren. | |
„Alles soll perfekt sein.“ Er steckt sie in eine Klarsichthülle. Die letzte | |
Nacht hat er kaum geschlafen: In der Nähe des Hauptbahnhofs haben vier | |
Männer versucht, ihn auszurauben und ihn dann zusammengeschlagen. „Einer | |
von ihnen war schwarz“, sagt Uba. „Ich verstehe das nicht.“ Sein Gesicht | |
ist angeschwollen, am ganzen Körper hat er Prellungen. Er geht durch die | |
Tore der Ausländerbehörde. | |
Bashiru Uba wird schnell aufgerufen. Er tritt an den Schalter, holt seine | |
Papiere aus der Tasche. Seine Hände zittern jetzt. Er presst die Lippen | |
aufeinander. Hinter seinem Gegenüber stapeln sich die Anträge. Die | |
Italienerin hinter der Scheibe fertigt viele solcher Fälle wie seinen ab. | |
Ihre blonden Strähnen sind halb herausgewachsen, ihr Gesicht wirkt fahl wie | |
das von jemandem, der zu viel arbeitet und sich abends nicht richtig | |
abschminkt. Durch eine lilafarbene Brille begutachtet sie die Unterlagen. | |
Mit zitternden Händen schiebt Uba sein Passbild unter der Glasscheibe | |
hindurch. Die Blonde nimmt es entgegen, zückt die Schere. Dann: | |
Fingerabdrücke! Die Italienerin zeigt auf einen Scanner. Ihre Fingernägel | |
sind lackiert: passend zur Brille. Uba und sie heben gemeinsam zuerst den | |
rechten Zeigefinger und senken ihn. Fünf Mal. Sie fragt nach seiner | |
Telefonnummer, er nennt ihr die eines Freundes in Italien. „Ist besser so“, | |
erklärt er leise auf Deutsch. Er starrt auf ihre lilafarbenen Fingernägel | |
die wieder und wieder über seine Unterlagen gleiten. Sein Schicksal. Sie | |
hat es in der Hand, in Bergamo. | |
## Ohne Pass keine Aufenthaltsbescheinigung | |
„Wo ist der Pass?“, fragt sie. Uba bleibt sprachlos. „Wo ist der Pass!“… | |
guckt sie hilflos an: „Ich hab keinen.“ Sie schüttelt den Kopf. „Sie | |
kriegen Ihre Aufenthaltsbescheinigung nur, wenn Sie den Pass vorzeigen!“ | |
Früher bekam man die Bescheinigung einfach so. Jetzt wollen die | |
italienischen Behörden alles korrekt machen. Das hat Uba befürchtet – und | |
wollte es dennoch versuchen. „Okay“, sagt er. | |
Schweigend sitzt Bashiru Uba im Auto. Er denkt nur darüber nach, warum sie | |
das getan haben. Warum haben die Männer ihn beklaut? Er ist müde. Doch | |
bevor er nicht in Deutschland ist, kann er nicht ruhen. „Sei froh, dass sie | |
nicht dein Portemonnaie mit deiner Aufenthaltsgenehmigung gestohlen haben. | |
Dann hätten wir gar nichts mehr!“, hat seine Freundin am Telefon gesagt. | |
Doch diese ist auch nur ein abgelaufenes Dokument, das bestätigt, dass Uba | |
überhaupt existiert. Ohne die neue Aufenthaltsgenehmigung aus Italien hat | |
der Nigerianer nichts mehr in der Hand. | |
Bei der Ausländerbehörde in Berlin, wo sie seinen Ausweis als Resident von | |
Bergamo haben, werden sie darüber nicht erfreut sein. „Sie werden mich nach | |
Italien abschieben“, sagt Uba. Damit das nicht passiert, wird er ein Ticket | |
vorlegen müssen mit dem Ziel Bergamo. Alles von vorn? In Ubas verquollenen | |
Zügen lässt sich nicht lesen. | |
Die Fahrbahn ist vereist, die Tankstellen sind geschlossen, der Sprit ist | |
bald alle. Langsam quält sich das Auto zum Brenner empor. Auf dem Hinweg | |
stand an der Grenze zu Österreich nur eine müde Streife. Nun warten | |
Polizisten in Warnwesten hinter der Mautstelle und beäugen jeden Wagen. Uba | |
hält die Luft an. Als das Auto wenig später beschleunigt, hat er Tränen in | |
den Augen. Sie haben ihn durchgelassen. Er spricht trotzdem nicht mehr, er | |
summt nicht, saugt nur manchmal Luft durch die Zähne ein, schnalzt mit der | |
Zunge. Andere verbringen hier gerade ihren Winterurlaub. Bashiru Uba hofft | |
nur, sicher nach Hause zu kommen. Nur noch eine Grenze trennt ihn davon. | |
Nahe Kufstein sollen die Autos zwei Gassen bilden. Im Schritttempo fahren | |
sie an den Beamten mit ihren Kellen vorbei. Sie beugen sich leicht vor und | |
schauen in die Wagen. Bashiru Uba hält ihrem Blick stand. | |
11 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
milena hassenkamp | |
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