# taz.de -- Anne Will zum Thema Antisemitismus: Wir müssen reden | |
> Bei Anne Will wurde am Sonntag über Antisemitismus diskutiert. | |
> Twitter-User*innen witterten Zensur. Dabei sollten sie einfach mal | |
> zuhören. | |
Bild: Parallel zur Debatte im Ersten fand eine auf Twitter statt | |
Im Studio von Anne Will beginnt die Auseinandersetzung mit dem Deutschland | |
der Gegenwart mit einer Reise in die Vergangenheit. [1][Esther Bejarano] | |
berichtet, wie sie als junges Mädchen nach Auschwitz deportiert wurde. Wie | |
der Eintritt ins Mädchenorchester Auschwitz der heute 93-Jährigen das Leben | |
rettete – obwohl sie nie zuvor ein Akkordeon in der Hand gehalten hatte. | |
Wie sie von den Alliierten befreit wurde und 1945 nach Palästina ging. Und | |
wie sie 1960 trotz allem mit ihrer Familie nach Deutschland zurückkehrte, | |
wo sie seitdem unablässig gegen das Vergessen kämpft: durch Besuche in | |
Schulen, durch Musikprojekte, durch öffentliche Auftritte. | |
Die ganze erste Hälfte der Sendung mit dem Thema Antisemitismus in | |
Deutschland spricht die Zeitzeugin, und das ist gut. Denn das [2][Erinnern | |
an den Holocaust] hängt unmittelbar mit unserer Gegenwart zusammen. Um | |
Verantwortung für die Zukunft übernehmen zu können, muss man die | |
Vergangenheit kennen. Für das Streben nach einer freien Welt muss man | |
wissen, wohin [3][Rassismus und Antisemitismus] führen können. Ihr mache | |
das, was sie heute beobachte, der Aufstieg rechter Parteien etwa, Angst, | |
sagt Bejarano. „Wir müssen uns ihnen entgegenstellen.“ | |
Mit Bejarano und Will diskutieren Monika Grütters (CDU), Sawsan Chebli | |
(SPD), Wenzel Michalski, [4][dessen Sohn an seiner Schule antisemitisch | |
angegriffen wurde], und [5][Julius Schoeps], Direktor des Moses | |
Mendelssohn Zentrums in Potsdam. Es wird immer wieder um die Frage gehen, | |
was man tun kann. Tun muss. Es wird um Zeitzeug*innen gegen und um | |
verpflichtende und freiwillige KZ-Gedenkstätten-Besuche. | |
Und darum, wer die Antisemit*innen eigentlich sind. Ein Diskussionsstrang, | |
der dem Mob auf Twitter wohl entgangen ist. Denn dieser krakeelt wie auf | |
Kommando, bei Anne Will werde das Thema muslimischer Antisemitismus | |
zensiert. | |
## Nicht alle Familien haben einen Bezug zu den Nazis | |
Kinder mit türkischem und arabischem Hintergrund hätten seinen Sohn in der | |
Schule angefeindet und geprügelt, erzählt Michalski. Die Schule hätte | |
nichts unternommen. Es gebe Rassismus unter Migrant*innen, sagt Chebli – | |
auch, wenn die meisten antisemitischen Straftaten weiterhin von rechts | |
begangen würden. Diese Menschen seien in einem anderen Umfeld sozialisiert | |
worden – in Ländern mit antizionistischer oder antisemitischer Haltung, wie | |
Will es vorher formuliert. Chebli zeigt auf, wie wichtig eine umfassende | |
und gute pädagogische Aufbereitung des Themas sei – gerade für Jugendliche | |
mit Migrationshintergrund und mit jungen Geflüchteten. | |
In einer Einwanderungsgesellschaft haben nicht alle Familien einen | |
historischen Bezug zum Nationalsozialismus und seinen Verbrechen. [6][Die | |
Großväter] vieler junger Menschen, die heute hier leben, waren damals weder | |
Täter noch Opfer. „Was hat das mit mir zu tun?“ Diese Frage höre sie oft … | |
Gespräch mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund, sagt Chebli. | |
Diese Frage zu beantworten ist die große Aufgabe. Die Erinnerung an die | |
Verbrechen des Holocaust sei der beste Schutz unserer Demokratie, betont | |
Chebli. Dort, wo Antisemitismus herrsche, gebe es häufig auch Islamophobie. | |
Hass ist vielseitig; auch das hat der Rassismus der Nazis gezeigt. Um so | |
wichtiger ist es, ihm Seite an Seite entgegenzustehen. | |
Und die Nachfahren der Täter*innen? Es ist längst nicht nur der rechte | |
Rand, der fordert, mit diesem „Schuldkult“ müsse jetzt langsam mal Schluss | |
sein. So tönt es in etlichen Schulklassen, wenn der Zweite Weltkrieg ein | |
ums andere Mal Unterrichtsthema ist, ohne dass darüber gesprochen wird, | |
warum das Darübersprechen so wichtig ist. „Ich sage den Jugendlichen immer: | |
Ihr habt keine Schuld an dem, was geschehen ist“, sagt Bejarano. „Aber ihr | |
macht euch schuldig, wenn über die damalige Geschichte nichts wissen | |
wollt.“ | |
## Hinhören, wenn es unmenschlich wird | |
Und während im Netz, dem lautstarken Zweitpublikum jeder Talkshow, der Mob | |
entweder betont, er habe längst abgeschaltet, weil schon wieder Holocaust | |
und Schuld und so, oder sich beklagt, dass die böse muslimische Frau den | |
Islamismus verharmlose, sagt Esther Bejarano zum Rassismus in Deutschland: | |
„Das ist meiner Meinung nach unmenschlich“. | |
29 Jan 2018 | |
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[6] https://twitter.com/polasarah/status/957721224167215105 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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