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# taz.de -- Energiegewinnung in Tschernobyl: Strahlender Solarpark
> Neben der AKW-Ruine in Tschernobyl entsteht mit deutscher Hilfe ein
> erster Solarpark. Weitere sollen folgen. Das gefällt nicht allen.
Bild: Der neue Sarkophag in Tschernobyl 2016: Mit Stromproduktion kennt man sic…
Berlin taz | Angekündigt wurde es schon lange, nun wird es schließlich
Realität: Gut hundert Meter neben dem zerstörten Tschernobyl-Reaktor soll
im Februar eine Ein-Megawatt-Solaranlage auf einer Fläche von zwei
Fußballfeldern in Betrieb gehen, sagte Alina Varyagina, Pressesprecherin
des ukrainisch-deutschen Unternehmens Solar Chernobyl, der taz. Insgesamt
3.762 Solarmodule werden dafür aufgestellt.
Zum Konsortium gehören die ukrainische Rodina Energy Group und die
Hamburger Enerparc AG. Sie haben zusammen bereits seit 2013
Solarenergieprojekte mit einer Gesamtkapazität von 150 Megawatt in der
Ukraine, Belarus und Kasachstan errichtet. Darüber hinaus hat die Enerparc
AG, so die Firma auf ihrer Homepage, Solarprojekte in Odessa, auf der Krim
und in Russland verwirklicht.
Dass das neue Solarkraftwerk ausgerechnet im Gebiet liegt, das bei der
Atomkatastrophe von Tschernobyl verstrahlt wurde, hat mehrere Gründe. Dort
gibt es eine Infrastruktur mit Stromleitungsnetzen, die seit der
Abschaltung des letzten Reaktors von Tschernobyl im Dezember 2000
weitgehend ungenutzt ist. Auch der Pachtpreis liegt unter den in der
Ukraine üblichen Preisen. Und mit 15 Cent pro Kilowattstunde erhält das
Konsortium bis 2030 eine Vergütung, die etwa doppelt so hoch ist wie
anderswo in Europa.
Für Varyagina ist das Solarkraftwerk in Tschernobyl kein gewöhnliches
Projekt. Man baue dieses Kraftwerk aus „sozialer Verantwortung“, so die
Pressesprecherin. Gerade ein Ort wie Tschernobyl müsse für die Produktion
von grüner Energie genutzt werden. „Mit derartigen Projekten können wir die
Welt verbessern, verstrahlte Gebiete zum Wohl der Menschheit nutzen.“
## Interesse aus China und Frankreich
Gefahren beim Betrieb der Anlage sieht sie nicht. Alle
Sicherheitsvorschriften würden eingehalten, die Tätigkeit der Beschäftigten
von Solar Chernobyl von den zuständigen Behörden überwacht. Es durfte nicht
gegraben werden, die Panele wurden auf eigens angelegte Betonplatten
gebaut. Als Konsortium habe man Erfahrung, so Alina Varyagina. 2016 habe
man im weißrussischen Bragin, 60 Kilometer nördlich des
Tschernobyl-Reaktors, ein Solarkraftwerk mit einer Kapazität von 4,2
Megawatt auf einer Fläche gebaut, auf der Fahrzeuge gelagert werden, die
bei Rettungsarbeiten in Tschernobyl eingesetzt worden waren.
Das demnächst in Betrieb gehende Solarkraftwerk, dessen Kosten sich auf
eine Million Euro belaufen, dürfte erst der Anfang sein. Ende des Jahres
hatten nicht nur Rodina und Enerparc, sondern auch chinesische und
französische Firmen Interesse an einem weiteren Bau von Solarkraftwerken in
der Sperrzone rund um Tschernobyl bekundet. Und dann dürfte die Produktion
um mehr als das Hundertfache über der des aktuellen Pilotprojektes liegen.
In der ukrainischen Umweltbewegung ist das Projekt umstritten. Oleg
Peregon, Vorsitzender der Grünen Front, hält das Arbeiten dort für durchaus
möglich, wenn das Personal entsprechend ausgebildet werde und die
Sicherheitsvorschriften einhalte. Damit könne das Gebiet um Tschernobyl
effektiv und sicher genutzt werden.
Deutlich skeptischer ist Iryna Holovko. Sie gilt als renommierte Expertin
für erneuerbare Energien in der ukrainischen Umweltbewegung. Als Leiterin
der Energieabteilung in der Organisation Ecoaction und ukrainische
Vertreterin im Netzwerk Bankwatch hat sie an einem Bericht der
Heinrich-Böll-Stiftung und des Instituts für Wirtschaft und
Prognostizierung der Nationalen Akademie mitgearbeitet. Der im November
veröffentlichte Text beschreibt, wie die Ukraine bis 2050 zu 90 Prozent auf
erneuerbare Energien umsteigen kann.
## Ökologische Nachhaltigkeit
„Die Förderung von erneuerbaren Energien müsste in der Ukraine ganz oben
auf der Prioritätenliste stehen“, sagte Holovko der taz. Deswegen begrüße
sie prinzipiell jedes neue Projekt in dieser Richtung. Gleichzeitig müsse
man jedoch auch darauf achten, dass diese Projekte nicht nur für den
Betreiber sinnvoll, sondern auch ökologisch nachhaltig seien und nicht neue
Probleme erzeugten.
Dabei werfe die Wahl des Standortes Tschernobyl neue Fragen auf. Bisher sei
nicht klar, wo und wie die Solarmodule nach ihrem Betrieb entsorgt werden,
und niemand wisse genau, wie hoch diese dann verstrahlt sein werden. Der
Bau jeglicher Objekte in der Zone bedeute auch, dass mehr Menschen sich
dort aufhalten würden. Und das sei ein weiteres Strahlenrisiko.
Holovko setzt mehr auf dezentrale umweltfreundliche Energieversorgung. Sie
halte nichts von einem Bau von Großanlagen mit einer Produktivität von 1,2
Gigawatt, wie es bereits aus dem Umweltministerium laut geworden sei, sagt
sie. Viel besser sei es, viele kleine Anlagen zur Produktion von
erneuerbarer Energie direkt beim Nutzer zu bauen. Umweltfreundliche
Energieproduktion sollte Aufgabe der Kommunen und Hausgemeinschaften
werden. Holovko wünscht sich Energiekooperativen, die prüfen, wie sich vor
Ort in kleinen Einheiten umweltfreundliche Energie produzieren und nutzen
lasse.
28 Jan 2018
## AUTOREN
Bernhard Clasen
## TAGS
Erneuerbare Energien
Ukraine
Solarenergie
Tschernobyl
AKW
Tschernobyl
Photovoltaik
Tschernobyl
China
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