# taz.de -- Neue Vorwürfe gegen Dieter Wedel: Wie die Übergriffe möglich wur… | |
> Erneut erklären Schauspielerinnen, Dieter Wedel habe sie schikaniert und | |
> misshandelt. 11 Fragen und Antworten. | |
Bild: „Herrn Doktor Dieter Schwanzwedel“ soll Iris Berben diesen Mann genan… | |
1. #Metoo läuft seit Monaten. Warum sollen wir uns schon wieder mit | |
sexuellen Übergriffen beschäftigen? | |
Weil die jetzt in der Zeit veröffentlichten Vorwürfe im Fall Dieter Wedel | |
weiter gehen. Stimmen die Berichte, dann bedrängte der Regisseur mehr | |
Frauen als bisher gedacht – bis hin zur mutmaßlichen Vergewaltigung. Nicht | |
nur Anwesende bei den Dreharbeiten, auch der an der Produktion beteiligte | |
Saarländische Rundfunk wusste demnach von den Vorwürfen. Nach Auskunft der | |
Schweizer Schauspielerin Esther Gemsch, damals Christinat, handelte es sich | |
bei einer Verletzung „um die Folge einer gewaltsamen sexuellen Annäherung | |
durch Herrn Dr. Wedel“, heißt es in einem Bericht des Senders, von dem die | |
Zeit einen Ausriss abdruckte. Der öffentlich-rechtliche Sender unternahm | |
offenbar trotzdem nichts gegen Wedel – und machte weitere Übergriffe so | |
vielleicht erst möglich. | |
2. Wer ist dieser Dieter Wedel noch mal? | |
Bevor Wedel in dieser Weise auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt | |
wurde, galt er als einer der wichtigsten deutschen Regisseure, geboren 1939 | |
oder 1942 – er selbst nimmt es da nicht ganz genau –, tätig für | |
Schauspielhäuser und für Film und Fernsehen, bekannt geworden vor allem mit | |
großen Mehrteilern („Der große Bellheim“, „Der König von St. Pauli“)… | |
als Festspielintendant („Nibelungenfestspiele“ in Worms, zuletzt „Bad | |
Hersfelder Festspiele“, deren Leitung er infolge der Vorwürfe niederlegte). | |
Immer wieder wurden ihm Plagiatsvorwürfe gemacht. Wedel lebt in Hamburg in | |
einer festen Partnerschaft mit der Lehrerin Uschi Wolters, ergänzt von | |
wechselnden Beziehungen unter anderem mit Hannelore Elsner und Ingrid | |
Steeger, insgesamt hat er sechs Kinder. | |
3. Und was wird Wedel genau vorgeworfen? | |
Bereits Anfang Januar berichtete das Zeit-Magazin gestützt auf Aussagen | |
dreier Schauspielerinnen, der Regisseur habe sie in den 90er Jahren massiv | |
sexuell bedrängt, gewürgt und zum Sex gezwungen. Die jetzt veröffentlichten | |
Aussagen weiterer Frauen stützen diese Bild. Eine Frau berichtet von einer | |
Vergewaltigung im Auto Wedels 1975 in einem Wald. Die Betroffenen | |
schildern, dass er seine Machtposition nutzte, um sie am Set unter Druck zu | |
setzen, dass er sie demütigte, Szenen immer und immer wiederholen ließ, | |
auch von Telefonterror wird berichtet. Die Schauspielerin Ute Christensen | |
erzählt, dass sie 1981 nach 40 Drehtagen mit Wedel zusammenbrach und dabei | |
ihr ungeborenes Kind verlor. | |
4. Wer sind die Frauen, die sich geäußert haben? | |
Namentlich in Erscheinung traten vor drei Wochen bereits Jany Tempel und | |
Patricia Thielemann, nun auch Esther Gemsch – früher Esther Christinat – | |
und Ute Christensen. Sie haben entweder aufgehört mit der Schauspielerei | |
oder sind schon etwas älter. Andere wollen sich nur anonym äußern – | |
offenbar aus Sorge, keine Rollen mehr zu bekommen. | |
5. Sind die Vorwürfe heute nicht verjährt? | |
Die meisten schon. Bei dem Vorwurf von Jany Tempel, Wedel habe sie 1996 zum | |
Sex gezwungen, könnte es aber laut Zeit sehr wohl ein juristisches | |
Nachspiel geben. Durch eine Gesetzesänderung von 2015 ruht die | |
Verjährungsfrist von 20 Jahren bei schweren Sexualstraftaten bis zur | |
Vollendung des 30. Lebensjahres des mutmaßlichen Opfers. Jany Tempel wurde | |
erst 1999 30 Jahre – die Tat würde also erst 2019 verjähren. Die | |
Staatsanwaltschaft München hat Ermittlungen aufgenommen. | |
6. Was sagt Wedel selbst dazu? | |
Er dementierte die Vorwürfe von vor drei Wochen inklusive eidesstattlicher | |
Versicherung. Laut Bild hat er eine Herzattacke erlitten. Laut seinem | |
Anwalt nahm er aus gesundheitlichen Gründen zu den neuen Vorwürfen | |
gegenüber der Zeit keine Stellung. | |
7. Wie reagiert der Saarländische Rundfunk? | |
Der Saarländische Rundfunk hat eine Untersuchungsgruppe eingerichtet, um | |
die Vorwürfe gegen Dieter Wedel während der Produktion der Serie „Bretter, | |
die die Welt bedeuten“ aufzuklären. Die Taskforce aus drei Personen solle | |
das Verhalten des Senders als Unternehmen prüfen, Akten auswerten und | |
Zeitzeugen befragen. Intendant Thomas Kleist sagte, auch wenn die Vorgänge | |
verjährt seien und strafrechtlich keine Rolle mehr spielten, seien sie | |
nicht ungeschehen zu machen. | |
8. Dieter Wedel – „Schwanzwedel“? | |
Die Vorwürfe scheinen bis zum ersten Bericht des Zeit-Magazins in der Film- | |
und Fernsehbranche weithin bekannt gewesen zu sein. Die Schauspielerin | |
Corinna Harfouch etwa sagt: „Viele haben gewusst, dass Wedel | |
Schauspielerinnen schlecht behandelt und demütigt. Das war ein von allen | |
gestütztes System.“ In einem Interview fragte Die Zeit die Schauspielerin | |
Iris Berben, Freunde von ihr erzählten, sie nenne Dieter Wedel „seit | |
Jahrzehnten nur ‚Herrn Doktor Dieter Schwanzwedel‘“, darauf sagte Berben: | |
„Das lasse ich jetzt mal unkommentiert.“ | |
9. Gilt denn die Unschuldsvermutung nicht auch für die Presse? | |
Was die Zeit macht, fällt unter Verdachtsberichterstattung. Das heißt, es | |
darf auch dann berichtet werden, wenn noch nicht feststeht, ob die Vorwürfe | |
stimmen. Es gilt allerdings laut Pressekodex eine besondere | |
Sorgfaltspflicht. So muss der oder die Beschuldigte die Möglichkeit haben, | |
Stellung zu nehmen. Daran hat die Zeit sich gehalten. | |
In einem anderen prominenten Fall in der MeToo-Debatte ist das nicht | |
passiert: Das Portal babe.net hat vor einigen Wochen Vorwürfe gegen den | |
US-Comedian Aziz Ansari veröffentlicht. Er soll eine Frau zum Sex gedrängt | |
haben. Die Redaktion hatte Ansari allerdings nach eigenen Angaben nur | |
wenige Stunden Zeit gegeben zu reagieren, was in diesem Fall nicht | |
verhältnismäßig ist. So erschien der Text ohne seine Sicht der Dinge – das | |
verletzt die journalistische Pflicht zur Ausgewogenheit. | |
Verdachtsberichterstattung ist dann möglich, wenn der Fall entweder | |
schwerwiegend ist (viele Menschen sind betroffen oder es ist ein großer | |
Schaden entstanden) oder wenn es sich um eine prominente Person handelt. | |
Bei Dieter Wedel ist das der Fall. AutorInnen müssen dennoch auf die | |
Wortwahl achten: „die Anschuldigungen“, „der Verdacht auf …“, „soll… | |
haben“ – solange es kein rechtskräftiges Urteil gibt. Es darf keine | |
Vorverurteilung durch die Presse stattfinden, auch wenn der Fall manchen | |
noch so klar scheint. Es stimmt also, dass das öffentliche Interesse in | |
manchen Fällen schwerer wiegt als die Persönlichkeitsrechte. Ohne diese | |
Abwägung und ohne Verdachtsberichterstattung würden aber manche Straftaten | |
nie ans Licht kommen. Der Journalismus wäre vollständig abhängig von der | |
Justiz. | |
10. Ist das dann jetzt der deutsche Fall Weinstein? | |
Es ist kein „deutscher Weinstein“, also nicht die Entsprechung zum Fall des | |
US-Filmproduzenten Harvey Weinstein, dem Dutzende Frauen sexuelle | |
Belästigung, Nötigung und Vergewaltigungen vorwerfen – denn die deutsche | |
Fernsehfilmbranche ist nicht Hollywood. Hollywood-ProduzentInnen und | |
SchaupielerInnen sind Ikonen, die ganze „Traumfabrik“ wird zu einer Art | |
besseren, reicheren, glücklicheren Welt hochstilisiert, die Fallhöhe ist | |
dadurch viel größer. Dagegen ist man in Deutschland im Film-Business eher | |
gehobener Mittelstand. | |
Und doch gibt es Parallelen: Durch den ersten Bericht fühlten sich mehr | |
Menschen ermutigt, sich zu äußern. So war es auch bei Weinstein, als | |
erstmals New York Times und New Yorker über die Anschuldigungen | |
berichteten. Und auch hier, im Fall Wedel, geht es um einen Mann mit Macht | |
in der Branche – mehrere Frauen berichten, Wedel habe gedroht, ihre | |
Karriere zu zerstören. Und: in beiden Fällen war in der Branche – zumindest | |
diffus – bekannt, wie sie sich verhielten. Man sprach auch darüber, aber | |
das Problem verkam zum Running Gag, zur unanständigen Zote, die man sich | |
über Sektgläsern zuflüsterte. | |
11. Warum braucht es immer große Namen, bis etwas herauskommt? | |
Zum einen, weil die Verdachtsberichterstattung über eine nichtprominente | |
Person schwierig ist (siehe 9). Bei bekannten Persönlichkeiten muss man | |
aber davon ausgehen, dass sie eine Vorbildfunktion haben – entsprechend | |
liegt es im öffentlichen Interesse zu erfahren, wenn sie nicht so untadelig | |
sind wie gedacht. Das ist allerdings nur die formale Ebene. Es geht auch | |
darum, dass sich die Öffentlichkeit für das Thema interessieren muss. | |
Journalismus funktioniert immer auch durch Fallhöhe: Steht einer ganz oben | |
und ihm wird eine Straftat zur Last gelegt, dann macht die Geschichte | |
sofort die Runde – viel mehr als die vielen Texte über Gewalterfahrungen, | |
die „Normalos“ seit Beginn von MeToo geschrieben haben. | |
28 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
Antje Lang-Lendorff | |
Felix Zimmermann | |
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