| # taz.de -- Nachruf auf Regisseur Dieter Wedel: Anspruch und Gewalt | |
| > Dieter Wedel, einer der erfolgreichsten deutschen TV-Regisseure, ist tot. | |
| > Er war eine Hauptfigur der deutschen #MeToo-Debatte. | |
| Bild: Dieter Wedel suchte zeitlebens nach Anerkennung, mit allen Mitteln | |
| Nichts Schlechtes über die Toten, man wahre Pietät, zumal ein jeder oder | |
| jede trauernde Angehörige hat. In seinem Fall ist dieses Gebot von Takt und | |
| Ton faktisch, ausweislich der Twitter-Timeline der jüngsten Zeit, außer | |
| Kraft gesetzt: Dieter Wedel ist gestorben, einer der erfolgreichsten | |
| deutschen TV-Regisseure, am 13. Juli schon, aber bekannt wurde dies erst | |
| jetzt. | |
| Was so gut wie niemand unerwähnt lässt – und auch dieser Nachruf soll dies | |
| tun –, ist, dass der 1939 geborene Mann die Figur schlechthin einer | |
| deutschen #MeToo-Debatte war – mit ihm selbst eben auch im Mittelpunkt | |
| eines Strafverfahrens vor dem Landgericht München. | |
| [1][Schon im Frühjahr vorigen Jahres wurde er angeklagt], die Zeug*innen | |
| benannt, die Verteidiger bekannt – aber es kam, aus unbekannten Gründen, | |
| nie zur Eröffnung des Hauptverfahrens vor den Richtern. Wedel war angeklagt | |
| des sexuellen Missbrauchs an Schauspielerinnen, die im Gefolge der | |
| US-amerikanischen #MeToo-Bewegung auch nicht mehr schweigen wollten und | |
| etwa der Zeit ihre Geschichten mit Dieter Wedel erzählten – ungute, | |
| unschöne, ja, verletzende und kriminelle Begebenheiten. | |
| Ob sich dies, inklusive Vergewaltigung und Nötigung, als übelste | |
| Schindluderei oder wie und was auch immer zugetragen hat, ist offen: Wedel | |
| hat, seinerseits beglaubigt in eidesstattlichen Versicherungen, schroff | |
| bestritten – was er aber einräumte, auch männlichen Opfern seiner Wütereien | |
| am Filmset gegenüber, war, dass er als Regisseur einem Arbeits- und damit | |
| Befehlsstil zuneigte, der heute nicht mehr akzeptiert oder auch nur | |
| toleriert wird. | |
| ## Überdurchschnittlich begabt und toxisch | |
| Dieter Wedel aber kam aus einer anderen Zeit, was nicht | |
| verständnisheischend gemeint ist, sondern als Faktum, dem sich in seiner | |
| kreativen Zeit niemand entziehen konnte: der promovierte Theatermann, der | |
| schon als Jugendlicher sich mit Inbrunst der Bühnen- und Darstellungskunst | |
| widmete und ihr hingab wie sonst nur wenige im deutschsprachigen Raum. Er | |
| war, was man früher durchaus lobend einen Berserker nannte, ein Maniac, ein | |
| toxisch anmutender Kerl, der alles, was er sich so dachte, für irgendwie | |
| schon göttlich, fast noch besser hielt: ein Ringen um Endgültiges. | |
| Wedel, in den sechziger Jahren bei Radio Bremen als Regisseur beschäftigt, | |
| überdurchschnittlich begabt, ergeben US-amerikanischen Erzählweisen, | |
| temporeich, abgründig, alle Fiesheiten des Lebens spiegelnd, in | |
| langweilenden Konstellationen den Tragiken nachspürend. Deutsche | |
| Innerlichkeit, feuilletonistisches Air, hüstelndes | |
| Distinktionsgeschraubsel? Nicht sein Ding. | |
| Wedel war in den Siebzigern verantwortlich für die Geschichten der Familie | |
| Semmeling (um den Hausbau, Pauschalurlaube – also deutsche Normalfälle), | |
| aber in den Neunzigern wurde er zum Big Player: „Der große Bellheim“, „D… | |
| Schattenmann“ und „Der König von St. Pauli“ – die Dialoge oft wie | |
| abgeschrieben aus anderen Stücken, mehrteilig, mit Mario Adorf, den er mit | |
| seinen Arbeiten zur Ikone machte, mit Leslie Malton, Stefan Kurth, Julia | |
| Stemberger, Heinz Hoenig, Hilmar Thate, Jennifer Nitsch oder Heiner | |
| Lauterbach. | |
| Sie alle machte er größer als das, was als deutsches Regionalmaß so | |
| üblicherweise durch die Castingbüros hereintorkelte – mit seinen Filmen war | |
| Wedel ein Kreateur um jeden – seinen! – Preis, der, freundlich gesprochen, | |
| niemanden schonte, realistisch gesagt: alles dem Anspruch unterordnete, der | |
| Idee von internationaler Klasse Geltung zu verschaffen, brutal. Er war | |
| öfter liiert, auch einst mit [2][Hannelore Elsner], er war ein Loner, der | |
| vor allem mit sich eine Beziehung zu haben suchte. Er suchte Anerkennung | |
| und fand sie nie genug. | |
| 20 Jul 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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