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# taz.de -- Türkischer Einmarsch in Afrin: Erdoğans Krieg
> Machtdemonstration und verordneter Patriotismus: Das Kalkül, das der
> türkische Präsident mit dem Einmarsch in Afrin verfolgt, geht bislang
> auf.
Bild: Solange es gut läuft, präsentiert sich Erdogan (Mitte) gern als Oberbef…
Es waren die passenden Bilder zur Woche: Im Camouflage-Dress inmitten
seiner Generäle präsentierte sich der türkische Präsident Recep Tayyip
Erdoğan am Donnerstagabend überraschend als Feldherr im Hauptquartier der
2. Armee an der syrischen Grenze. Zwar redete er noch nicht von „mission
accomplished“, doch die Botschaft war deutlich: Erdoğan sagt den Generälen,
wo es langgeht. Eine Woche nach dem türkischen Einmarsch im syrischen
Kurdengebiet in Afrin übernimmt der Präsident persönlich die Verantwortung,
es ist Erdoğans Krieg. Und bislang war es für ihn durchaus ein Erfolg.
Dabei geht es gar nicht in erster Linie um konkrete Folgen in Afrin.
Erdoğan will vor allem eine Verschiebung der politischen Gewichte. Bislang
haben sowohl die USA als auch Russland die türkischen Interessen in Syrien
ignoriert, damit soll jetzt Schluss sein.
Das vorrangige Interesse der Türkei ist es, zu verhindern, dass entlang
ihrer knapp 900 Kilometer langen Grenze zu Syrien ein kurdischer
De-facto-Staat entsteht, der nach türkischer Auffassung unter dem Einfluss
der PKK stehen würde. Nach fast 40 Jahren militärischer Auseinandersetzung
mit der Kurdischen Arbeiterpartei wäre das für das gesamte türkische
Establishment, nicht nur für die derzeitige Regierung, ein Albtraum.
Während die Türkei sich mit dem kurdischen Autonomiegebiet im Nordirak
unter der Führung der konservativen KDP von Masud Barzani – einem erklärten
Gegner der PKK – im Prinzip arrangiert hat, ist die in Syrien tonangebende
PYD mit ihrem bewaffneten Arm, den YPG-Kämpfern, eng mit der PKK
verflochten und beruft sich auch auf Abdullah Öcalan, den in der Türkei
inhaftierten PKK-Führer, als geistigen Führer.
## Friedensverhandlungen abgebrochen
Den Versuch, mit der PKK per Verhandlungen zu einem Friedensschluss zu
kommen, hat Erdoğan im Sommer 2015 abgebrochen. Aus innenpolitischen
Gründen, aber auch, weil absehbar war, dass die PKK angesichts der Erfolge
der PYD/YPG in Syrien nicht bereit sein würde, ihre Waffen niederzulegen.
Deshalb redet der türkische Präsident seit 2015 unentwegt davon, dass die
PYD/YPG bekämpft werden muss. Das führte im August 2016 zu einer ersten
größeren Militäraktion, genannt „Schild Euphrat“, mit dem Ziel, zu
verhindern, dass die Kurden das von ihnen kontrollierte Gebiet bis nach
Afrin ausdehnen konnten. Das wurde auch erreicht, Afrin ist bis heute von
den übrigen Kurdengebieten isoliert.
Trotzdem haben die USA bis zu Beginn des Einmarsches in Afrin die türkische
Position ignoriert und stattdessen ihre Zusammenarbeit mit der YPG im Kampf
gegen den IS kontinuierlich ausgebaut. Das hat immer wieder zu heftigen
Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und den USA geführt, wobei
Washington Erdoğan mit dem Hinweis zu beruhigen suchte, sobald der IS
besiegt sei, würde man auch die Zusammenarbeit mit der YPG beenden. Die
Erklärung des Pentagons vor zwei Wochen, man plane zur Absicherung des vom
IS zurückeroberten Teils Syriens – immerhin rund 25 Prozent des Landes –
auch langfristig mit der YPG zusammenzuarbeiten, gab für Erdoğan den
Ausschlag für den Einmarsch in Afrin.
Die USA werden nun gezwungen, Position zu beziehen, und die ersten
Reaktionen zeigen, dass Erdoğans Kalkül aufgehen könnte. Die US-Armee macht
zur Enttäuschung der YPG keinerlei Anstalten, ihre Verbündeten in Afrin zu
unterstützen. Im Gegenteil, man hindert die YPG am Versuch, Nachschub an
Kämpfern und Munition aus den gemeinsam kontrollierten Gebieten östlich des
Euphrat nach Afrin zu bringen.
## Keine amerikanische Unterstützung
Schon ist unter Kurden die Rede vom amerikanischen Verrat. Zwar forderten
Präsident Donald Trump, Außenminister Rex Tillerson und
Verteidigungsminister James Mattis die Türkei auf, sich zurückzuhalten,
doch es geht ihnen vor allem darum, zu verhindern, dass die türkische Armee
auch weiter östlich in Marsch gesetzt wird, wo bei Manbidsch die Gefahr
bestünde, dass US-Soldaten und türkische Panzer sich direkt gegenüberstehen
könnten. Ihre kurdischen Verbündeten in Afrin unterstützen sie nicht.
Russland hat der türkischen Haltung, es dürfe kein kurdischer
De-facto-Staat in Syrien entstehen, lange widersprochen. Ohne die Kurden
kann es keine langfristige Friedensordnung in Syrien geben, war das Credo
der russischen Diplomatie. Moskau wollte auch zu der für den 29. Januar
geplanten Friedenskonferenz in Sotschi unbedingt eine kurdische Delegation
dabeihaben. Ein Punkt, über den Präsident Wladimir Putin und Erdoğan sich
nie einigen konnten. Erst als jetzt deutlich wurde, dass die USA vorhaben
auch langfristig mit Hilfe der YPG in Syrien zu bleiben, ließ Putin die
Kurden fallen und gab grünes Licht für Erdoğans Krieg.
Ganz entgegen der dröhnenden Rhetorik in Ankara geht das türkische Militär
in Afrin sehr vorsichtig vor. Man schickt die verbündeten syrischen Milizen
der Freien Syrien Armee (FSA) als „Kanonenfutter“ in die Schlacht und hält
sich selbst zurück. YPG-Stellungen werden aus der Luft angegriffen und mit
Artillerie von der Grenze aus beschossen. So vermeidet man tote türkische
Soldaten. Um der drohenden Umzingelung durch die türkische Armee zu
entgehen, haben die Kurden jetzt allerdings in einem überraschenden
politischen Schwenk Assad und seine Armee zur Hilfe gerufen. Assad soll den
Luftraum für türkische Flugzeuge sperren und die Grenze schützen. Kommt es
zu einem Abkommen mit den Regierungstruppen, wären die Nachschubwege nach
Afrin frei und ein militärischer Erfolg für Erdoğan eher unwahrscheinlich.
Doch das sind künftige Unwägbarkeiten. Erst einmal kommen zu den
außenpolitischen „Erfolgen“ die innenpolitischen Möglichkeiten, die der
Krieg bietet. Die sowieso schon weitgehend entmachtete parlamentarische
Opposition muss nun patriotische Solidarität zeigen und Erdoğan bei seinem
Kampf gegen die „PKK-Terroristen“ unterstützen.
Kritik der sozialdemokratischen-kemalistischen CHP an Erdoğans
Autoritarismus, an der Unterdrückung der Presse und der Gängelung der
Justiz verschwinden nun unter dem Deckmantel der „Nation im Krieg“, der
niemand mehr in den Rücken fallen darf. Nach knapp zwei Jahren Repression
im Anschluss an den Putschversuch im Juli 2016 folgt nun mit der
Begründung, die Nation sei im Krieg, eine neue Welle der Unterdrückung.
Kritik an dem Einmarsch ist offiziell verboten, wer sich in den sozialen
Medien dagegenstellt oder gar zu Anti-Kriegs-Kundgebungen aufruft, wird
verhaftet.
## Spielraum für legale politische Arbeit schrumpft
Zu spüren bekommt das vor allem die kurdisch-linke HDP. Jede kritische
Bemerkung eines ihrer Abgeordneten wird sofort zur Terrorpropaganda
erklärt. Die Partei kann öffentlich praktisch nicht mehr auftreten. Für den
11. Februar ist ein großer Parteitag geplant, an dem der Nachfolger für den
inhaftierten Parteichef Selahattin Demirtaş gewählt werden soll. Ob dieser
Parteikongress noch stattfinden kann, ist fraglich. Der Spielraum für
legale politische Arbeit für die Kurden schrumpft in der Türkei fast
täglich.
So zynisch es ist, der Krieg scheint sich für Erdoğan erst einmal zu
lohnen. Allerdings riskiert er, sich längerfristig sowohl mit den USA wie
auch mit Russland zu überwerfen.
26 Jan 2018
## AUTOREN
Wolf Wittenfeld
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Türkei
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