# taz.de -- Militäroperation in Afrin: Opfer in einem miesen Spiel | |
> Die türkische Offensive ist militärisch Irrsinn. Aber sie ist auch ein | |
> Ergebnis der Passivität des Westens in Syrien. | |
Bild: „Außenpolitik ist immer primär Innenpolitik.“ | |
Thomas von der Osten-Sacken ist Mitgründer und Geschäftsführer der | |
Organisation [1][Wadi], ein Verband für Krisenhilfe und solidarische | |
Entwicklungszusammenarbeit. Seit 20 Jahren ist Osten-Sacken im Nahen Osten | |
tätig. Er ist außerdem freier Publizist und schreibt u.a. für [2][Jungle | |
World] und [3][Welt] | |
taz.gazete: Wie verändert die türkische Militäroffenisve „Operation | |
Olivenzweig“ die Konstellation im syrischen Bürgerkrieg? | |
Thomas von der Osten Sacken: Die sehr wirre Lage in Syrien wird sich | |
verschärfen, die Kräfteverhältnisse werden sich verschieben. Russland, das | |
teilweise Schutzmacht der kurdischen PYD von Afrin war, hat offenbar grünes | |
Licht für die Offensive gegeben. Und die USA steht relativ hilflos daneben | |
und sieht zu, wie einer ihrer Verbündeten in Nordsyrien von einem | |
NATO-Alliierten angegriffen wird. | |
Wieso verhalten sich die USA und Russland so passiv? | |
Dazu muss man die Entwicklungen der letzten Jahre betrachten. Eigentlich | |
war die Türkei nach Ausbruch des „Arabischen Frühling“ und der | |
Massenproteste in Syrien auf Seiten der heterogenen syrischen Opposition. | |
Sie war der Meinung, Assad müsse gestürzt werden. Erdogan ging davon aus, | |
dass er von Europa und den USA unterstützt werden würde. Das geschah aber | |
nicht. Der Iran und Russland intervenierten derweil militärisch, finanziell | |
und politisch zum Schutz von Assad. Irgendwann war klar, dass die Türkei | |
weitgehend isoliert ist. Zugleich etablierte sich an ihrer Südgrenze die | |
kurdische PYD, die in Augen der Türkei nichts weiter als eine | |
Schwesterpartei der PKK ist. Nach klaren Signalen aus Washington, dass man | |
es mit dem Sturz von Assad nicht ernst meint, vor allem nachdem es auch in | |
Folge der Giftgasangriffe Assads zu keiner Intervention kam, hat Erdogan | |
einen Schwenk gemacht. So wurde die Türkei zum Juniorpartner der Achse | |
Iran-Russland. | |
Was verspricht sich die Türkei von dieser Umorientierung? | |
Sie möchte ihr Stück vom Kuchen haben. Den hat sie auch schon bekommen: Mit | |
einer Schutzzone, die sie in Dscharabulus und Al Bab einrichtete und als | |
Mentor über die von Rebellen kontrollierten Gebieten von Idlib. Jetzt | |
marschiert sie in Afrin ein. Es war immer klar, dass die Türkei nicht | |
bereit ist, Geländegewinne der PYD und die Ausrufung kurdischer | |
Selbstverwaltungsgebiete an ihrer Südgrenze zu dulden. | |
Was heißt das für die syrische Opposition? | |
Die türkische Offensive hat verheerende Folgen auf die verbleibende | |
syrische Opposition, also den „Syrian National Council“ (SNC), dem | |
Dachverband, der an Friedensverhandlungen in Genf und Astana teilgenommen | |
hat. Dem gehörte auch der „Kurdish National Congress“ (KNC) an, die in | |
Opposition zur kurdischen PYD steht. Weil jetzt der SNC die türkische | |
Invasion nicht nur politisch unterstützt, sondern auch Einheiten der | |
verliebenden „Free Syrian Army“ mit den Türken zusammen kämpfen, hat der | |
KNC seinen Austritt aus dem SNC erklärt. Das heißt, die syrische Opposition | |
ist jetzt noch gespaltener als vorher. De facto ist sie nicht mehr | |
handlungsfähig. | |
Ist es so, dass die kurdische PYD bisher die erfolgreichste der | |
Bürgerkriegsparteien war? | |
Die PYD agierte taktisch geschickt, strategisch jedoch nicht: Sie | |
versuchte, sich aus dem Bürgerkrieg rauszuhalten und gute Kontakte sowohl | |
zu den USA, als auch zu Russland zu unterhalten – obwohl beide nicht die | |
gleichen Interessen vertreten. In diesem widerlichen Herumgeschachere um | |
die Konkursmasse Syrien sieht es jetzt aber so aus, dass es eine Annäherung | |
zwischen der Türkei und Russland gibt – und Russland dafür ein Bündnis mit | |
der PYD opfert. Gleichzeitig sieht Russland mit Vergnügen dabei zu, wie die | |
beiden NATO-Verbündeten Türkei und USA aneinander geraten, sich gegenseitig | |
schwächen. Iran, Russland, Assad und letztlich auch Erdogan haben ein | |
gemeinsames Interesse: Die USA soll möglichst bald aus Syrien verschwinden. | |
Der russische Einfluss in Syrien richtet sich allerdings nicht zu sehr auf | |
Nordsyrien, sondern eher auf die Küste und die Häfen. Es geht Russland | |
darum, dass Assad in Damaskus an der Macht bleibt. Nordsyrien ist für die | |
Russen Spielgeld. Ihr Bündnis mit der PYD war ein rein taktisches und kein | |
langfristiges, strategisches. | |
Es war also für Russland kein Problem, die Kurden aufzugeben? | |
Der große Fehler der kurdischen Parteien war es immer, dass sie nicht | |
sahen, wann sie als taktische Partner betrachtet wurden, die man schnell | |
wieder fallen lassen kann, und wann als langfristige, strategische | |
Verbündete. Leider passiert das in ihrer Geschichte immer wieder, dass sie | |
da stehen und merken, dass sie geopfert worden sind, in einem miesen Spiel | |
um diese Region. Ob es am Ende den Russen viel bringt, was sie da machen, | |
bleibt offen. Syrien ist kein Schachspiel, bei dem Leute da sitzen und sich | |
überlegen, was der nächste Zug ist. Dieser Bürgerkrieg hat eine eigene, | |
unglaublich destruktive Dynamik, bei der die Beteiligten eher reagieren | |
statt agieren. Das zeigt sich auch an der türkischen Militäroperation: | |
Erdogan steht mit dem Rücken an der Wand und beginnt jetzt ein | |
Militärabenteuer, dessen Ausgang ungewiss ist. | |
Kann die türkische Offensive zum Ende eines kurdischen Projekts führen, das | |
von vielen als ein demokratischer Aufbruch in der Region gesehen wird? | |
Die PYD würde gerne den Eindruck erwecken, dass sie im Namen aller Kurden | |
spricht, was nicht stimmt. Es gibt innerkurdische Opposition gegen den | |
Regierungsstil der PYD, der zum Teil auch repressiv unterdrückt wird. Das | |
ist nicht das wunderbare, demokratische Selbstverwaltungsgebiet, als das es | |
manche deutsche Linke gerne darstellen würden. | |
Rojava ist kein demokratischer Aufbruch in einer weitgehend von Gewalt | |
erschütterten Region? | |
Leider herrscht die PYD in Rojava recht autoritär und lässt neben sich | |
keine oder kaum eine Opposition zu. Trotzdem war dieses Gebiet in | |
Nordsyrien bislang – abgesehen vom IS – weitgehend nicht betroffen vom | |
verheerenden Bürgerkrieg. Es wäre eine Tragödie würde nun auch Afrin, in | |
das nebenbei hunderttausende Syrer geflüchtet sind, in den destruktiven Sog | |
dieses Krieges gezogen werden. | |
Kann es sein, dass Russland die Türkei gewähren lässt, um die PYD zu | |
zwingen, sich dem syrischen Regime unterzuordnen? | |
Immerhin hat die PYD entschieden, das nicht zu tun. Es liegen Informationen | |
vor, dass Russland der PYD letzte Woche mitgeteilt hat, man würde sie | |
weiterhin schützen, wenn sie sich unter die Oberhoheit von Damaskus | |
stellen. Das hat die PYD abgelehnt. Andererseits erklärten die USA ebenso | |
vergangene Woche, dass sie an einer langfristigen Präsenz in Syrien | |
interessiert sind. Nachdem die USA sämtliche Bündnisse mit der Free Syrian | |
Army und der restlichen syrischen Opposition beendet hat, sind Nordsyrien | |
bzw. Rojava, Raqqa, Hasaka, Qamischli die einzigen Orte, an denen das noch | |
möglich ist. Deshalb spekulierte die PYD darauf, dass die USA sie schützen | |
würden. Die USA sagen jetzt aber: „Wir haben einen Deal mit den Russen: Wir | |
sind mit dem PYD östlich, und die Russen sind mit ihr westlich des Euphrats | |
verbündet. Das heißt: Afrin geht uns nichts an.“ Das haut vorne und hinten | |
nicht hin. Aber nach dieser bizarren Logik funktioniert der Konflikt in | |
Syrien seit Jahren. | |
Erdogan kündigte an, die „Operation Olivezweig“ nach Manbidsch auszuweiten, | |
wo die USA die kurdische YPG, die Volksverteidigungseinheiten der PYD, | |
trainiert und ausgerüstet haben. Kann es hier zur Konfrontation mit den USA | |
kommen? | |
Die USA hat die PYD bisher vor der Türkei geschützt, indem sie an der | |
syrisch-türkischen Grenze mit Militärfahrzeugen patrouillierte. Die Frage | |
ist: Wie verhalten sich PYD/ YPG? Was ist, wenn sie wirklich Truppen, die | |
amerikanisch ausgerüstet sind, nach Afrin schicken? Und dann im Prinzip mit | |
NATO-Waffen gegen Nato-Waffen gekämpft wird? Dann denke ich, könnten die | |
USA zu dem Schluss kommen, die PYD fallen zu lassen, weil ihnen langfristig | |
der Nato-Partner Türkei strategisch wichtiger ist. Andererseits denke ich | |
nicht, dass die Türkei Angriffe gegen US-Truppen starten wird. Das wird | |
Erdogan nicht machen, weil der Westen zu wichtig für die Türkei ist. | |
Erdogan kennt seine Grenzen? | |
Wer die türkische Politik verfolgt, weiß: Außenpolitik ist immer primär | |
Innenpolitik. Erdogan macht keine außenpolitischen Schritte, die nicht | |
primär innenpolitisch motiviert sind. Die Türkei ist enorm gespalten in | |
Anhänger und Gegner von Erdogan. Das einzige, mit dem er noch eine | |
gesamttürkische, nationalistische Stimmung herstellen kann, ist der Kampf | |
gegen die Kurden. Das sieht man momentan daran, dass die CHP und auch die | |
kemalistischen Medien die „Operation Olivenzweig“ mit relativem Pathos | |
unterstützen. Ich bezweifle aber, dass Erdogan final mit den USA brechen | |
wird. | |
Gibt es Aussichten auf einen militärischen Erfolg der Türkei? | |
Das türkische Militär wird kein besonders gutes Bild abgeben. Sie ist schon | |
beim letzten Einmarsch in Syrien, in Dscharabulus und Al-Bab schlecht gegen | |
den IS dagestanden und sich de facto zurückgezogen,. Die YPG sind ziemlich | |
kampferprobt, sie haben gute Waffen, sie kennen das Gelände. Die Türkei hat | |
eine riesige Infanterie und viele Panzer, aber heutzutage, in | |
asymmetrischen Kriegen, geht es darum, dass man entsprechend gut | |
ausgebildete Sondereinsatzkommandos hat. Die Zahl macht es nicht wirklich | |
aus. Wenn die kurdische YPG wirklich bereit ist zu kämpfen, wird das ein | |
extrem langes und blutiges Unterfangen, bei dem sich die Frage stellt: Wie | |
lange hält die Türkei das durch? | |
Erdogan kann mit dieser Militäroffensive also nur verlieren? | |
Er hat bisher jede Niederlage in einen Sieg umgewandelt. Außenpolitisch hat | |
Erdogan in den letzten fünf Jahren keinen einzigen Erfolg vorzuweisen. Ein | |
einziges Desaster. Innenpolitisch gibt es durchaus Punkte, wo man sagen | |
kann, da hat die AKP die Türkei verändert. Nur ihre Logik ist: „Wir sind | |
die Opfer. Es sind immer die anderen Schuld!“ Man ist Opfer einer enormen | |
Verschwörung der USA, der Kurden, der Zionisten, der Armenier und so | |
weiter. Und diese Haltung kann er verkaufen. Wenn am Ende der „Operation | |
Olivenzweig“ eine kleine Pufferzone oder fünf Dörfer rausspringen, die von | |
der Türkei kontrolliert werden, wird Erdogan das als Erfolg verkaufen. | |
26 Jan 2018 | |
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## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
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