# taz.de -- Militäroffensive in Afrin: Dschihadistische Allianzen | |
> Das türkische Militär kooperiert in der Operation „Olivenzweig“ mit der | |
> Freien Syrischen Armee. Um wen handelt es sich bei den Kämpfern? | |
Bild: Wer ist die „Freie Syrische Armee“? | |
Lange Bärte, Raketenwerfer auf der Schulter, in den Himmel gereckte | |
Zeigefinger, die auf Allah hinweisen: Die Fotos, die Spiegel Online am 23. | |
Januar aus Syrien mit der Beschriftung „Türkische Armee“ veröffentlichte, | |
unterschieden sich vom Anblick türkischer Soldaten, wie die Öffentlichkeit | |
ihn gewohnt ist. | |
Sezgin Tanrıkulu, Istanbuler Abgeordneter der Oppositionspartei CHP, teilte | |
eines der Fotos von Mitgliedern der Freien Syrischen Armee (FSA) und | |
fragte: „Wer sind die Männer auf diesem Foto, Überbleibsel welcher | |
Organisationen sind sie, unter wessen Schutz stehen sie, welche Botschaft | |
soll ihr Handzeichen geben?“ Der Offensive „Olivenzweig“ der Türkei gegen | |
die YPG in Afrin hat sich, wie bereits bei der qualvollen Militäroffensive | |
„Schutzschild Euphrat“ 2016, erneut die FSA angeschlossen. | |
Die türkische Armee operiert in der Region gemeinsam mit FSA-Gruppen, deren | |
Stärke auf etwa 20.000 Mann geschätzt wird. FSA-Kämpfer wurden mit Bussen | |
aus der Türkei an die Grenze gebracht, sie beteten gemeinsam mit türkischen | |
Offizieren und machten beim Überqueren der Grenze im Bus Selfies. Um wen | |
genau handelt es sich bei der Freien Syrischen Armee? | |
## Mit wem kämpft die Türkei? | |
Die mit der Türkei gemeinsam in Syrien operierende FSA wurde am 29. Juli | |
2011 von Oberst Riad al-Asaad, einem Aussteiger aus der syrischen Armee, | |
mit dem Ziel gegründet, „die syrische Regierung zu stürzen.“ Schon bald | |
schwächten Disziplinlosigkeit und innere Auseinandersetzungen das Gebilde. | |
Eine nach der anderen zerfielen die Gruppen innerhalb der FSA. Andere | |
liefen entweder zur unmittelbar aus Al-Qaida hervorgegangenen, im Feld | |
effizienteren Al-Nusra-Front über oder zum IS. | |
Eine „reguläre Truppe“ mit klarem Organisationsschema und eindeutiger | |
Kämpferzahl zu werden, gelang der FSA nie. Von Anbeginn des syrischen | |
Bürgerkriegs erhielt die FSA finanzielle, logistische, rüstungs- und | |
ausbildungstechnische Unterstützung von Israel, Saudi-Arabien, Qatar und | |
der Türkei, vor allem aber von den USA. Dschihadisten, die sich aus dem | |
Ausland dem Kampf in Syrien anschlossen, nutzten den Boden Jordaniens und | |
des Nachbarn Türkei. | |
Präsent in al-Bab, Idlib, Dara, im Nordwesten vom Homs, in zwei kleineren | |
Regionen unweit von Damaskus und in at-Tanf, nahm die FSA im Mai 2013 Arm | |
in Arm mit dem IS den von den USA genutzten Luftwaffenstützpunkt Minnig im | |
Norden von Aleppo ein. Abduljabbar al-Akidi, damaliger Kommandeur der FSA, | |
sagte Al Jazeera im Interview: „Unsere Beziehungen zu unseren Brüdern vom | |
IS sind hervorragend.“ | |
2014 unterzeichneten die USA, die Türkei und die FSA ein Abkommen über | |
Ausbildung und Ausrüstung. Am 18. September 2015 erklärte eine zweite | |
Gruppe von 62 Mann, die von der Türkei aus nach Syrien einreiste, sie habe | |
sich mit dem schweren Gerät, mit dem man sie ausgerüstet hatte, der | |
Al-Nusra-Front angeschlossen. Die Al-Nusra-Front steht als syrischer | |
al-Qaida-Arm auf der Terrorliste der USA. | |
Im Juni 2015, als der IS in Syrien noch stark war, interviewte die Zeitung | |
BirGün in Istanbul Muhammed Salih, der für die Unterorganisation der FSA | |
„Turkmenischer Adler“ gekämpft hatte. Salih sagte, die FSA bereue nicht, | |
gegen Assad zu kämpfen, obwohl sie ihre anfängliche Motivation vollständig | |
eingebüßt habe und „unklar sei, wer was in der Region tue“, denn letztlich | |
kämpfe man ja „im Namen Allahs“. Salihs Aussage, es sei unklar, wer was in | |
der Region tue, gibt Aufschluss darüber, wie die beiden Organisationen | |
zueinander stehen: „Großmächte helfen ihnen. Von denen bekamen sie schweres | |
Kriegsgerät und Munition. Viele von der FSA haben sich dem IS | |
angeschlossen“, sagte Salih. | |
## Operation „Schutzschild Euphrat“ | |
Im Rahmen der am 24. August 2016 gestarteten Operation Schutzschild Euphrat | |
kooperierte die Türkei erstmals unmittelbar mit der FSA. Ziel der Operation | |
war die „Vertreibung des IS“ aus der syrischen Region Dscharabulus. 216 | |
Tage später, am 29. März 2017 verkündete Staatspräsident Recep Tayyip | |
Erdoğan auf einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats das Ende der | |
Offensive. Die Operation habe ihr Ziel erreicht. Offiziellen Zahlen gemäß | |
seien 67 Soldaten der türkischen Streitkräfte und 600 FSA-Kämpfer ums Leben | |
gekommen und über 3.000 Terroristen getötet worden. | |
Vorfälle in der gemeinsam mit den türkischen Streitkräften durchgeführten | |
Operation zeigen, dass die FSA weit davon entfernt war, eine reguläre | |
Truppe zu sein. So kam etwa heraus, dass FSA-Mitglieder, die als Vorhut der | |
türkischen Armee mit acht Panzern und gepanzerten Fahrzeugen in die vom IS | |
gehaltene Region al-Bab vorstießen, ein Panzerfahrzeug im Wert von 680.000 | |
Dollar an den IS verkauften oder übergaben. Der türkische Generalstab | |
leitete zwar Ermittlungen dazu ein, die jedoch ergebnislos blieben. | |
Am 11. Juni 2017 kam es in dem vom IS zurückeroberten al-Bab zu Gefechten | |
unterschiedlicher Gruppen innerhalb der FSA. Dabei kamen nach Angaben der | |
Nachrichtenagentur Reuters mindestens 30 Personen ums Leben. Auch von | |
türkischer Seite wurde dieser Vorfall offiziell bestätigt. Die FSA und die | |
Gruppen unter ihrem Dach zerfielen unzählige Male und versuchten immer | |
wieder, neu zusammen zu finden. Die politische Autorität, die von der | |
türkischen Regierung unterstützte Nationale Koalition der syrischen | |
Revolutions- und Oppositionskräfte (kurz: Nationalkoalition), ist darum | |
bemüht, die Kämpfer unter einem Dach zu konzentrieren. | |
Im September 2017 begann die Nationalkoalition damit, die FSA auf die | |
Afrin-Offensive vorzubereiten. Der Vize-Präsident der Koalition, | |
Abdurrahman Mustafa, erklärte, man habe vor, 90 der bewaffneten Gruppen zu | |
vereinen, die bereit seien, unter dem politischen Dach der Kommandozentrale | |
zu stehen. Die erste Versammlung fand mit Vertretern von 43 | |
dschihadistischen Einheiten im südosttürkischen Gaziantep statt. | |
## Operation „Olivenzweig“ | |
Afrin ähnelt in geographischer Hinsicht nicht al-Bab. Die Operation | |
Schutzschild Euphrat auf der Achse Azaz-Dscharabulus-al-Bab war | |
hauptsächlich mit Panzerdivisionen durchgeführt worden, weil das Gelände | |
dafür geeignet war. Afrin aber ist schwerer zugänglich, felsig und mit Wald | |
bestanden, weshalb eine „aus der Luft unterstützte Bodenoffensive“ | |
vorgesehen ist. Dementsprechend sind mehr Kommandoeinheiten, Spezialkräfte | |
und Infanterie-Einheiten beteiligt. Der offiziellen türkischen | |
Nachrichtenagentur Anadolu Ajansı zufolge stehen 8.000 bewaffnete | |
YPG-Kräfte in Afrin, ausgerüstet mit US-Waffen. | |
Neben den effizienten Waffen von den USA verfügt die YPG durch Kriegsbeute | |
auch über einige alte Panzer, gepanzerte Fahrzeuge, ein paar tausend | |
Geländewagen mit schweren Waffen sowie über Panzerabwehr. Nicht undenkbar | |
ist zudem, dass die Irakisch-Kurdische Regionalverwaltung für den Fall, | |
dass es zu heftigen Gefechten mit der Türkei kommen sollte, Waffen an die | |
YPG liefert. | |
Türkische Panzer deutscher Herkunft waren in al-Bab vom IS gestoppt worden. | |
Die YPG verfügt ebenfalls über Panzerabwehrraketen deutscher Herkunft. In | |
einem Krieg mit Bodenoffensive, der schwerer wird, je länger er andauert, | |
scheint es kaum möglich, dass die Türkei ihre in Syrien gesteckten Ziele | |
erreichen und Afrin „säubern“ kann, ohne Kriegsverbrechen zu begehen. | |
## Ein asymmetrischer Krieg | |
Der Nahost-Experte und Chef der Hilfsorganisation Wadi Thomas von der | |
Osten-Sacken erwartet, dass die Türkei kein besonders gutes Bild abgeben | |
werde. „Die YPG sind ziemlich kampferprobt, sie haben gute Waffen, sie | |
kennen das Gelände. Die Türkei hat eine riesige Infanterie und viele | |
Panzer, aber heutzutage, in asymmetrischen Kriegen, geht es darum, dass man | |
entsprechend gut ausgebildete Sondereinsatzkommandos hat“, erklärt er. Wenn | |
die kurdische YPG wirklich bereit ist zu kämpfen, wird das ein extrem | |
langes und blutiges Unterfangen, bei dem sich die Frage stellt: Wie lange | |
hält die Türkei das durch?“ | |
Ahmed Osman, einer der Kommandanten der FSA in der Afrin-Operation der | |
Türkei, räumte ein, dass sie am Donnerstag Mühe gehabt hätten, gegen die | |
YPG vorzurücken. „Wegen der schlechten Wetterverhältnisse können die | |
Soldaten sich nur schwer bewegen. Die PKK-Terroristen verstärken weiterhin | |
ihre Stellungen. Sie haben Scharfschützen und moderne Waffen. An der | |
Frontlinie haben sie zahlreiche Minen gelegt“, erklärte Osman der | |
britischen Zeitung Times. | |
Erhöht es nun die Stärke der Türkei, im Feld mit der FSA zu kooperieren? | |
Oder geht es vor allem darum, in einem Krieg mit unweigerlich erheblichen | |
Verlusten dafür zu sorgen, die Zahl toter türkischer Soldaten klein zu | |
halten? Die Antwort ist nicht eindeutig zu geben. Und die Fragezeichen | |
werden größer, was aus der Bevölkerung von Afrin werden soll, wo es während | |
des syrischen Bürgerkriegs mit am sichersten war, und was aus den Kämpfern | |
nach Afrin. | |
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe | |
26 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Erk Acarer | |
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