Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neues Album von Gajek: Das Rascheln der Datentransfers
> Der Elektronikmusiker Gajek produziert Klänge für unsere nervöse Zeit. Er
> knüpft damit an eine ästhetische Bewegung der alten BRD an.
Bild: Gajek begeistert sich für die Pedanterie des Alltags
Wenn man der Prognose [1][des Sci-Fi-Autors Philip K. Dick] Glauben
schenken darf, entwickelt das überforderte Menschenhirn der Zukunft fast
zwangsläufig eine psychische Störung, die es unmöglich machen wird,
emotionale Bindungen einzugehen: Die Frage, ob es sich beim menschlichen
Gegenüber nicht in Wirklichkeit um einen Automaton, also um ein simuliertes
Bewusstsein, handelt, wird nicht mehr klar verneint werden können. Es wird
ständiges Misstrauen herrschen. Eine kollektive Neurose die Folge sein.
Das erste Mal „Gajek ’17“ zu hören kann sich ähnlich anfühlen. Nervös…
Rascheln, verstolperte Rhythmik, sich seltsam widersprechende
Melodielinien. Eine fremdartige, schwer verdauliche Musik. Alles
Simulation? Titel Nummer eins heißt „Auf mit den Lebenden“. Ist das die
spitzfindige Ironie von Maschinen? „Die Überforderung ist schon gewollt“,
versichert Matti Gajek, Erschaffer dieser Klänge. Er hat sogar Verständnis
für den Argwohn, der ihm auf Techno-Raves entgegenschlägt.
„Klar ist das eine Überforderung für das Publikum – und für mich. Daraus
ergibt sich aber auch eine interessante Reibung.“
An einem grau-blauen Vormittag sitzt Matti Gajek – 33, knalloranges
Sweatshirt – in seiner Neuköllner Wohnung. Bereitwillig spricht er über
Entstehungsprozess und Motivik seines neuen Albums „Gajek ’17“. Um uns se…
Studio-Equipment, Laptop, Mixer, Keyboards und Sequencer sowie einige
Bücherregale. Romane von Phillip K. Dick gibt es auch.
## Kognitive Überforderung
Warum überhaupt ein Album schreiben, das kognitiv derart herausfordert?
„Einerseits geht es natürlich um Überforderung“, entgegnet er, überlegt
kurz, fährt fort, „andererseits aber auch um einen Klang der Freiheit, der
Utopie. Meine Musik soll zeigen: Es gibt auch andere Wege, sich zu
orientieren.“
Vor zwölf Jahren ist Gajek aus Schwerin in die Hauptstadt gezogen zum
Studieren. Das mit dem Studium dauerte dann doch länger als geplant. Seine
künstlerischen Arbeiten waren bis dahin meist im visuellen Bereich, ab und
an spielte er auch Clubgigs. Seit zwei Jahren hat er seinen Abschluss in
Visueller Kommunikation und seitdem zwei Longplayer auf dem bekannten
Berliner Techno-Label Monkeytown veröffentlicht.
War sein erstes Album „Restless Shapes“ mit unzweideutigen Strukturen und
lauter Minimal- und Clubmusik-Referenzen noch vergleichsweise eingängig
ausgefallen, so ist „’17“ deutlich konzeptioneller, collagenhafter
geworden. Das Albumcover zeigt ein mit Blockflöten beklebtes Waschbecken in
einer grünen Heidelandschaft. Im Vergleich zur futuristischen Ästhetik
zeitgenössischer Electronica ist es ungewöhnlich, beinahe verstörend. Das
Readymade stammt aus einer Serie der Künstler Paul Barsch und Tilman
Hornig.
„Was mich direkt angesprochen hat, war das Gewöhnliche, beinahe Pedantische
am Objekt“, sagt Gajek. „Für mich symbolisiert es eine Art provinziellen
Albtraum. Wie bei Kraftwerk und ihren Pylonen.“ In der Tat knüpft „’17�…
die westdeutsche elektronische Musik der 60er und 70er Jahre an, heute
meist Krautrock genannt und Gruppen wie Cluster, Neu! oder die genannten
Kraftwerk bezeichnet. Deren Mitglieder waren zwischen industriell
gefertigten Alltagsgegenständen, umfassender Telekommunikation und
amerikanischer Popmusik groß geworden. Analog zur Studentenbewegung sehnten
sie sich nach einem Ausbruch aus den muffigen Wohnzimmern der Nazi-Eltern.
## Musik für die Jetztzeit
Der Musiker Wolfgang Seidel erläutert in einem lesenswerten Buch zum Thema,
wie diese Sehnsucht nach Freiheit sich schon bald in einem gestalterischen
Mentalitätswechsel niederschlug: Anstelle der bürgerlich-gardinenbehangenen
und Eichenschrank-verstellten Zimmer begehrte die Jugend leere weiße Räume:
eine Kleiderstange, eine Lampe und eine Matratze auf dem Boden sollte
genügen. Diese Sehnsucht manifestierte sich auch im Sound, der mit
entmenschlichten Atmosphären und fließbandartiger Repetition die
standardisierte Massenkultur parodierte.
Für Gajek geht es um die Übertragung dieser Ideen auf die Jetztzeit. Er
interessiere sich für die damaligen politischen Beweggründe, so eine Musik
zu machen. „Ich wollte sie auf die digitale Welt, mit der wir uns nun
auseinandersetzen müssen, beziehen.“
Wie organisiert heute jemand, der ja teilweise zwischen Ikea-Möbeln
aufgewachsen sein müsste, seine Musik? Gajeks Musik kennt keine zentralen
Ordnungsprinzipien. Nähmaschinen scheinen vor sich hin zu rattern,
dazwischen eine verlorene Snare. Immer lauter das hintergründige Rascheln
der Datentransfers. Im Unterschied zu den meisten Formen von Clubmusik
seien sich die verschiedenen Loops einander nicht unbedingt bewusst, sagt
der Autodidakt von seiner Musik.
Auch deshalb ist in Pressereaktionen immer wieder von Gajeks Musik als
„IDM“ die Rede gewesen. Damit soll „intelligente“ Dance Music bezeichnet
werden. Gajek entgegnet, er glaube nicht an die triviale Unterscheidung
zwischen stupidem Gestampfe und vermeintlich komplexem Kopfhörertechno.
„Das ist was für Technikfreaks, die immer was brauchen, woran sie Qualität
festmachen können. So ’n Abgenerde macht es nicht gleich intelligent.“
13 Feb 2018
## LINKS
[1] /!5254526
## AUTOREN
Frederic Jage-Bowler
## TAGS
elektronische Musik
Clubmusik
Popmusik
Jamaika
Clubmusik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Album „Homotopia“ von Sam Vance-Law: Künstler für Zwischentöne
Sein Debütalbum „Homotopia“ nimmt Schwulsein ernst, ohne es zu ernst zu
nehmen. Sam Vance-Law weiß Tragik und Witz zu vereinen.
Pionierinnen des Drum'n'Bass: Frauen lassen Bässe rollen
Die Produzentin Ikonika und DJ Storm aus London bereichern das
Hardcore-Kontinuum des elektronischen Pop und fördern junge Produzentinnen.
Neues Album von Equiknoxx Music: Entenquaken statt Drucklufthörner
Schön, dass nun mit Equiknoxx Music jamaikanische KünstlerInnen bekannt
werden. Zumal sie nicht „Slackness“-Klischees entsprechen.
Clubnacht im Gretchen: Kuduro ist der neue Samba
Clubmusik aus dem lusophonen Afrika ist in. Das Austauschprojekt „LusAfro“
vereint die besten VertreterInnen nun im Gretchen Club.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.