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# taz.de -- Die Wahrheit: Der letzte Kampf der Pumper
> Es ist Januar. Der Winterspeck muss weg. Doch ein kleines Fitnessstudio
> in Norddeutschland leistet erbitterten Widerstand.
Bild: Die Pumper ziehen in die Schlacht um die Pfunde
Der Saunadampf sticht in den Augen, durch die stickige Luft hallen
Schmerzensschreie. Alte Socken kämpfen mit angestautem Testosteron um die
Geruchshoheit. An ein Fitnessstudio erinnert die heruntergekommene Baracke
nur noch peripher. Hier hängt ein Boxsack, dort steht eine
heruntergekommene Ruderbank. Der Großteil der Ausstattung aber wurde
umgebaut – zu Waffen und Barrikaden, um den nächsten Angriff abzuwehren.
Der Jahresanfang ist für Fitnessstudios stets eine schwierige Zeit. Unter
die üblichen Mutanten, die halb Mensch, halb Muskel sind, mischen sich
jene, die in der Weihnachtszeit zu tief ins Butterfass geguckt haben.
Speckige Normalbürger hinterlassen auf Hantelbänken ihre Fettspuren,
präsentieren ihre Wampen vor den Spiegeln und lassen überall halb geleerte
Chipstüten liegen. Doch jetzt hat ein lokaler Studiobetreiber aus dem
norddeutschen Tötensen seine Belegschaft und die Stammkundschaft zum
bewaffneten Widerstand aufgerufen.
Rainer Rupert zeigt sich als echter Anführer. Der ehemalige Berufsboxer und
Steuerberater aus Leidenschaft präsentiert mit geschwollener Brust seine
Narben und Verletzungen. Seine Gefolgschaft nennt ihn nur „Hantel-Joe“,
seit er mit einem Satz Hanteln zehn Belagerer zugleich vor dem Studio
niedergestreckt hat. Ein Held, wie er im Trainingsplan steht.
## Laune durch Testopräparate
Der letzte Angriff liegt nun schon einen Tag zurück. Noch immer näht sich
die Fitnessgang ihre Wunden und hält sich mit Testopräparaten bei Laune.
Lange werden sie der Belagerung nicht mehr standhalten, die Ressourcen
werden knapp, die Proteinshakes sind bereits millilitergenau portioniert.
Die Barrikaden machen keinen sicheren Eindruck. „Wir haben die Türrahmen um
zehn Zentimeter enger gemacht, da passen diese Typen mit ihrem
Weihnachtsspeck nicht durch“, sagt Hantel-Joe. Dass sie selbst wegen ihrer
Muskelmasse kaum noch durch die Türen kommen, macht ihnen nichts. Sie
wollen lieber aufrecht in ihrer Muckibude sterben als „das Gesocks“
hineinlassen. „Wir sind das erste Studio, bei dem die Mitgliedschaft
ausnahmslos per Erbrecht weitergegeben wird“, sagt Hantel-Joe stolz.
„Wir dürfen unsere Heimat nicht verlieren. Verdammt, ich wurde sogar hier
gezeugt“, schreit ein muskelbepackter Jüngling, gerade alt genug, um sich
die Steroide selbst spritzen zu können. Draußen tobt der dicke Mob, drinnen
ist der Aufruhr der Seele.
Hantel-Joe ruft zum letzten Gefecht der Pumper. Aufgepeitscht von seiner
„Blut, Schweiß und Tränen“-Rede brechen seine Kameraden nun durch ihre
Barrikaden hinaus in den Flur des Einkaufscenters, das im Vorfeld des
Fitnessstudios liegt. Eine Trainerin flitscht ihren Expander gegen den
erstbesten Wartenden vor der Tür, Hantel-Joe schwingt seine
Langhantelstange wie einen mittelalterlichen Zweihänder. Sie haben die
Neulinge beim Essen überrascht. Mitten im Einkaufscenter halten die feisten
Belagerer ein Grillfest ab, mit Würstchen, Spanferkel, Steaks und
mayogetränkten Salaten.
## Geschockte Fettfreunde
Der Schock steht den Fettfreunden tief ins Gesicht geschrieben. Einigen
bleibt beim Anblick der wütenden Studiotruppe die Bratwurst im Hals
stecken, andere fassen sich verdutzt ans Doppelkinn. Doch schnell gewinnen
sie die Fassung zurück. Mit all ihrer Masse halten sie dagegen. Zwei
dickliche Männer drücken einen muskelbepackten Jüngling zu Boden und flößen
ihm literweise Schokomilch ein. Anfangs zappelt und flucht er noch,
irgendwann fügt er sich seinem Schicksal und lässt den Schwedentrunk über
sich ergehen, schaufelt sogar selbst noch Chips hinterher.
Auch seine Mitstreiter schwächeln, Hantel-Joe hält sich gerade noch allein
gegen acht Fleischklöpse auf den Beinen. Als sie ihn letztlich
überwältigen, stößt er einen markerschütternden Kampfschrei aus: „Nur
Proteine! Nur Proteine!“ Er wird mit Hilfe von Pommes frites, Bratwurst und
dickflüssigen Softdrinks erstickt.
Eine bedrückende Stille kehrt schließlich ein, nur vereinzelt ist noch ein
Stöhnen und Rülpsen, Mampfen und Kauen zu hören. Die Hälfte der Neulinge
wurde zwar von Herzinfarkten, Diabetes oder Hunger niedergestreckt. Doch
von den tapferen Recken des Fitnessstudios sind nur noch wenige am Leben,
die sich allerdings wünschen, tot zu sein. Das fettige Essen und die kurze
trainingsfreie Zeit zeigen bereits Wirkung und ein kleines Bäuchlein an.
Bald schon werden sie von den Weihnachtsspecklern nicht zu unterscheiden
sein. Doch die Erinnerung an ihr Aufbäumen wird niemals verblassen – in
diesem pfundsdicken Januar mitten in Deutschland.
23 Jan 2018
## AUTOREN
Felix Bartsch
## TAGS
Fitnessstudio
Metzgerei
Tempolimit
Katholische Kirche
Massentourismus
Online-Journalismus
Karl Theodor zu Guttenberg
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