| # taz.de -- Ein Besuch im Antiquariat: Ein Paradies aus Büchern | |
| > Immer mehr Antiquariate schließen. Doch Harald Hentrich in seinem | |
| > Antiquariat Hennwack in Steglitz – wahrscheinlich das größte in der Stadt | |
| > – trotzt dem Trend. | |
| Bild: Harald Hentrich in seinem Bücherreich, dem Antiquariat Hennwack in Stegl… | |
| Als das Internet aufkam, herrschte bei den Antiquaren zunächst Freude. Denn | |
| damit ließen sich die Bücher weltweit anbieten, zudem sparten sie fortan | |
| kostspielige Kataloge. Nun heißt es aber: „Der Antiquariats-Buchhandel | |
| befindet sich in einer Krise“, wie der Börsenverein des Deutschen | |
| Buchhandels schreibt: „Genauer gesagt sind es zwei: eine konjunkturelle und | |
| eine strukturelle. In einer konjunkturellen Krise mag es noch Sinn ergeben, | |
| sich im Einkaufsverhalten antizyklisch zu verhalten, weil spätestens nach | |
| der Krise die Nachfrage wieder steigt. Aber was tun bei einer strukturellen | |
| Krise, in der ganze Absatzmärkte weggebrochen sind, Sammelgebiete | |
| regelrecht veröden und neue Sammler kaum noch nachwachsen?“ | |
| Der Börsenverein weiß auch keinen Rat, während ein Antiquar nach dem | |
| anderen aufgibt. Zum einen fielen die Preise für Bücher ins Bodenlose und | |
| zum anderen kaufen die Leute immer weniger Bücher. Hinzu kommen | |
| Billigantiquariate, die alle Bücher für einen Euro anbieten, und | |
| „Büchertische“, deren Angestellten das Arbeitsamt die Gehälter zahlt. | |
| Ich frage den Antiquariatsbesitzer Harald Hentrich: Wie wird man Antiquar | |
| und was macht man in dieser Situation? Ein Gespür für interessante, | |
| manchmal riskante Aufkäufe entwickeln, so scheint es. Und die Vielfalt des | |
| Angebots in seinem Antiquariat Hennwack in Steglitz ist bestimmt hilfreich. | |
| Es ist das wahrscheinlich größte Antiquariat Berlins, im Namen lebt auch | |
| der seines Partners Holger Wackershausen, der noch vor der Eröffnung starb, | |
| fort. | |
| Schon mit 15 Jahren besuchte der heute 51-jährige Harald Hentrich jede | |
| Woche den alten baltischen Antiquar am Bahnhof Lichterfelde-West und las | |
| sich – angefangen mit Camus, Ionesco, Böll und Lenz – durch die | |
| Weltliteratur bis zurück zu Grimmelshausen. | |
| ## Jüdische Geschichte | |
| Sein Großvater besaß eine Druckerei in Steglitz, wo er nach dem Krieg unter | |
| anderem das Mitteilungsblatt FU-Spiegel druckte. Das Geschäft wurde dann | |
| von seinem Vater und seinem Onkel übernommen, die noch zwei Verlage | |
| gründeten: die Edition Hentrich und Hentrich & Hentrich. Schwerpunkt von | |
| beiden Verlagen war die jüdische Geschichte – und ist es immer noch. Seit | |
| 2012, als der Vater starb, allerdings in anderem Besitz. | |
| Sein Sohn hatte sich unterdessen, nach einem Politologiestudium, 1980 mit | |
| einem Antiquariat in Schöneberg selbstständig gemacht. Das Geschäft | |
| verkaufte er 1990 wieder, um im brandenburgischen Teetz bei Kyritz einen | |
| Kulturgasthof mit Antiquariat und Verlag zu eröffnen. | |
| Zehn Jahre später zog er wieder zurück nach Steglitz, in die Albrechtstraße | |
| 111, wo er für seine 400.000 Bücher eine große Halle anmieten konnte. Drei | |
| Mitarbeiter sind im Antiquariat Hennwack beschäftigt. | |
| In Steglitz hat Harald Hentrich ein bildungsbürgerliches Publikum. „Ich | |
| habe versucht, alles dazuhaben: Arbeiterbewegung, Sozialismus, Anarchismus, | |
| Islam, Buddhismus, Naturwissenschaft und so weiter.“ Das steht alles gut | |
| sortiert in langen Regalreihen, viel Belletristik ist natürlich auch dabei. | |
| ## Aus dem 16. Jahrhundert | |
| Im ersten Stock stehen die interessanten Bücher: „Teilweise aus dem 16. | |
| Jahrhundert noch, zum Beispiel über die Folter der Heiligen, mit | |
| Holzschnitten.“ Von Erben erwarb Hentrich den Nachlass eines Sammlers | |
| erotischer Literatur („viel über Flagellantismus“). Ferner die | |
| Nachlassbibliothek eines Mittelalter-Historikers („6.000 Bände in vielen | |
| Sprachen“). Dann den Nachlass eines Byzantinistik-Professors: Bücher über | |
| das frühe Christentum, ebenfalls in mehreren Sprachen („die habe ich in die | |
| ganze Welt verkauft“). Und jüngst, ebenfalls aus einem Nachlass: | |
| Aktenkonvolute zur Geschichte der Besetzung Hessens durch Napoleon und die | |
| sich daraus ergebenden Briefwechsel zwischen der alten und der neuen | |
| Obrigkeit. | |
| Der Nachlass eines Bildhauers, den Harald Hentrich aufkaufte, bestand nicht | |
| nur aus dessen Bibliothek, sondern auch aus seinen privaten Fotoalben, | |
| Entwürfen und Zeichnungen von Kollegen. Aufgekauft hat er auch „Spuckis“ | |
| (Klebezettel) von Freikorps-Verbänden, Keramikverschlüsse von Bierflaschen, | |
| ein paar hundert Lesezeichen und Spitzenschnitte, die man als Schmuckrahmen | |
| für Fotos verwendete. | |
| In einem Zeichnungsschrank liegen neben alten Fotos Chromolithografien und | |
| handkolorierte Kupferstiche: „Die kosten ein paar hundert Euro das Stück.“ | |
| Wenn man ganze Privatbibliotheken aufkauft, sind meist auch wertlose | |
| Bestseller dabei. Diese verkauft Hentrich bananenkistenweise für fünf bis | |
| zehn Euro an Hotels, Möbelhäuser und Filmausstatter. Das Gegenteil sind die | |
| Erstausgaben, die jedoch seltsamerweise keine Relevanz mehr haben, | |
| jedenfalls in Deutschland: „Expressionisten zum Beispiel“, sagt der | |
| Antiquar, „die kosteten früher 100 Euro, jetzt 20, Ähnliches gilt auch für | |
| Arno Schmidt und Ernst Jünger. Eine Ausnahme ist die Erstausgabe vom | |
| ‚Kapital‘, für die alleine 600.000 Euro bezahlt werden.“ | |
| ## Von Marx bis Lenin verkauft sich gut | |
| Aber ansonsten gelte: „Die Sammler sterben weg. Wir reagieren darauf, indem | |
| wir immer weiter zurückgehen und Bücher ab dem 16. Jahrhundert suchen – mit | |
| Illustrationen, Kupferstichen, Hohlschnitten … etwa ein chinesisches Album | |
| mit 500 Miniaturen, handgemalt auf Reispapier – für 7.000 Euro.“ | |
| Natürlich offeriert das Antiquariat Hennwack seine Bücher auch auf einer | |
| eigenen Homepage, daneben kann man sie über Internetanbieter wie Abebooks, | |
| Amazon und Booklooker bestellen. „Ohne die Einnahmen aus dem | |
| Online-Verkauf“, so Hentrich, „könnten wir unser Antiquariat nicht halten.… | |
| Von dem, was in Steglitz direkt über den Verkaufstisch geht, erwähnt eine | |
| Mitarbeiterin, „dass alles von Marx bis Lenin wie nie zuvor gekauft wird, | |
| auch Kropotkin ist restlos ausverkauft“. | |
| Nach dem Tod des DDR-Historikers Jürgen Kuczynski 1997 wurde Harald | |
| Hentrich dessen riesige Bibliothek angeboten – für einige Millionen Euro: | |
| „Die hätte ich auch zusammenbekommen, aber seine Sammlung sollte nicht | |
| auseinandergerissen werden.“ Sie ging dann an die Landesbibliothek. | |
| Anders war es beim Nachlass des Leiters des Ministeriums für | |
| Staatssicherheit, Ernst Wollweber, den seine in Köpenick lebende Witwe | |
| verkaufte – vor allem Marine-Bücher. Wollweber hatte am Kieler | |
| Matrosenaufstand teilgenommen und danach in verschiedenen Funktionen | |
| Seeleute-, Hafenarbeiter- und Binnenschiffer-Aufstände organisiert. In | |
| seinem Nachlass befanden sich Briefe der berüchtigten DDR-Richterin Hilde | |
| Benjamin sowie des kommunistischen Schriftstellers Otto Gotsche. „Das habe | |
| ich alles einzeln über Kataloge verkauft“, sagt Hentrich, „auch manch | |
| andere Sammlung habe ich aufgelöst.“ | |
| ## Eine Bibliothek im Jahr reicht | |
| Die teuerste Sammlung stammte von einem Zehlendorfer Antiquar, Elßmer, für | |
| sie musste er 60.000 Euro zahlen. „Eine gute Bibliothek im Jahr reicht | |
| mir“, meint er. In der Regel zahle er 20 Prozent vom Schätzpreis. Für | |
| Kirchen, Banken und Erbengemeinschaften erstellt Hentrich gelegentlich | |
| Sammlungsgutachten. | |
| Als ich erwähne, dass ich jemanden kenne, der ihm eventuell seine komplette | |
| Donald-Duck-Sammlung – in Leder gebunden und mit Goldprägung – verkaufen | |
| würde, sagt er: „Das ist wertmindernd bei Heften.“ | |
| Erwähnt sei, dass es neben den vielen Klagen in den alten und neuen Medien | |
| über die wirtschaftliche Situation der Antiquariate auch viele Beiträge | |
| über das Glück gibt, das man dort haben kann: also die „Freude beim | |
| Stöbern“. Eine Mitarbeiterin bei Hennwack erwähnt einen schwäbischen | |
| Handwerker, der 800 Euro für Barlach-Literatur ausgab, und einen Berliner | |
| Porzellanmaler, „der bei uns alte Aquarelle oder Kupferstiche von Blumen | |
| kauft. Andere Handwerker wollen was über alte Techniken mit Holz wissen. | |
| Ein Mann, der Jahrzehnte in Karstadts Tierabteilung gearbeitet hat, kauft | |
| die teuersten Bücher mit Chromolithografien aus dem 19. Jahrhundert über | |
| Papageien und Brieftauben. Er erwarb auch einen Band über Stubenvögel, | |
| Falken und Hühner. Die Bücher waren unglaublich teuer, es war, als ob der | |
| Mann sich ein kleines Paradies zusammengekauft hat.“ | |
| Dann, erzählt die Mitarbeiterin, „ist da noch ein Schlachter, der | |
| Jahrzehnte in der Schweiz gearbeitet hat, er kauft kiloweise Bücher über | |
| Tiere. Weil er, wie er mir anvertraute, in seinem Leben so viele Tiere | |
| getötet hat, er könnte sie gar nicht zählen. Er hat ein großes Regal gebaut | |
| nur für seine Tierbücher. Kafkas Großvater war auch Schlachter, und Kafka | |
| begründete seinen Vegetarismus damit, dass er das wiedergutmachen muss, was | |
| sein Großvater alles abgeschlachtet hat.“ | |
| Im Laden kann man sich außerdem an zwei mongolische Künstler aus Ulan-Bator | |
| erinnern, die eine ganze Kunstbibliothek für zu Hause erwarben. Und dann | |
| sind da auch noch die Chinesen: „Sie kaufen sehr gründlich, je nachdem, was | |
| sie interessant finden. Aber sie sind vorsichtig mit dem Geld.“ Erst | |
| kürzlich, erzählt die Mitarbeiterin, kaufte eine Gruppe von Chinesen alles | |
| über die Seidenstraße. „Sie sind einfach sehr wissenschaftlich und | |
| systematisch. Die Koreaner auch. Und dann posten sie Fotos vom Laden in den | |
| Social Media.“ | |
| 23 Jan 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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