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# taz.de -- Kolumne Fremd und befremdlich: Die ignorierte Gefahr
> Es ist merkwürdig, wie der Straßenverkehr in unserem Leben und die mit
> ihm verbundene Gefahr als notwendig wahrgenommen wird.
Bild: Verkehrsunfälle fordern viele Tote. Dennoch werden sie als etwas Normale…
Als ich am Sonntag in Hamburg spazieren ging, traf ich nacheinander auf
drei Unfallorte. Es stand überall ein Rettungswagen dabei, Polizei – und
eine kleinere Gruppe von Menschen, die mit fassungslosem Blick auf das
zerstörte Auto sah, das auf der Straße stand.
Ich wusste in keinem Fall, was passiert war, oder ob jemand ernsthaft
verletzt wurde. Ich ging weiter. Es interessierte mich nicht besonders. Die
Sonne schien. Es war ein ganz wunderbarer Tag. Und das, woran ich
vorbeiging, passiert an jedem normalen Tag in Hamburg, in Deutschland,
überall, wo es Straßenverkehr gibt. Dass es mich nur so am Rande berührte,
hat mich später noch beschäftigt. Wie kann es sein, dass Verkehrsunfälle
uns kaum berühren?
Wenn ich aus der U-Bahn komme, dann blicke ich auf einen Laternenpfahl, an
dem ein Bild von einer jungen Frau klebt, die im letzten Jahr von einem LKW
totgefahren wurde. Sie war mit dem Fahrrad unterwegs, sie hatte grün, sie
fuhr geradeaus, und sie wurde überfahren. Neben Mitleid konnte ich in den
Medien auch oft folgenden Kommentar ausmachen: Man müsse halt aufpassen. Es
klang vereinzelt sogar etwas Wut auf die Fahrradfahrerin heraus, weil sie
eben – sich hatte überfahren lassen.
Es ist merkwürdig, wie der Straßenverkehr in unserem Leben und die mit ihm
verbundene Gefahr als notwendig wahrgenommen wird. Wer überfahren wird,
muss nicht aufgepasst haben, und somit wird das Risiko des
Totgefahrenwerdens als ein händelbares eingestuft. Wir reden uns ein, dass,
wenn wir nur wollen, wenn wir also aufpassen, uns auch nichts passieren
wird.
An diesem Dienstagvormittag, an dem ich diese Kolumne schreibe, lauten die
Nachrichten aus der Region so: Auf der A2 zwischen Lehrte-Ost und
Hämelerwald ist bei einem Unfall mit drei LKWs ein Mensch ums Leben
gekommen, ein weiterer wurde schwer verletzt.
Auf derselben Autobahn gab es einen weiteren Unfall mit einem kleineren
Transporter, bei dem mehrere Menschen schwer verletzt wurden, einige von
ihnen befänden sich in Lebensgefahr. Auf der Bundesstraße 191 im Landkreis
Celle ist ein Mensch mit seinem Auto gegen einen Baum gefahren und
verbrannt. Im Kreis Nordfriesland ist ein Auto mit einem Bus
zusammengestoßen. Zwei Menschen starben sofort, ein Mensch wurde leicht
verletzt, ein anderer schwer.
## Verkehrsunfälle sind normal
Das ist nur eine kleine Auswahl der aktuellen Verkehrsnachrichten. Es kommt
nicht jeder Unfall in die Nachrichten, dafür sind Verkehrsunfälle auch
nicht wichtig genug. Sie sind vielmehr normal.
Es gibt derzeit sehr viel Angst in Deutschland. Seit 2015 hat sich der
Anteil der Menschen, die den kleinen Waffenschein erworben haben, in
Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel, verdoppelt. Die Menschen fürchten sich
vor dem Wolf, obwohl ein Wolf bisher noch kein einziges kleines Mädchen
gefressen hat. Er hat Tiere gerissen, das hat einen wirtschaftlichen
Schaden gebracht. Aber wie steht es mit dem wirtschaftlichen Schaden, den
Verkehrsunfälle hervorrufen? Die Sperrung der A2 soll ungefähr 300.000 Euro
gekostet haben.
## Ist es einfacher, die Gefahr zu ignorieren?
Wenn terroristische Anschläge täglich all diese Toten und Schwerverletzten
hervorbringen würden, da gäbe es doch eine große Panik, da ginge doch kaum
noch jemand aus dem Haus, da wähnten wir uns doch alle in großer Gefahr?
Viele tun das jetzt schon, sie haben jetzt schon große Angst vor einem
terroristischen Anschlag, sie wagen sich aber jeden Morgen auf die
Autobahn.
Wie ist das zu erklären? Liegt es daran, dass wir, wenn wir selbst Auto
fahren, nicht wahrhaben wollen, welche Gefahr von uns ausgeht, und welcher
Gefahr wir uns aussetzen, weil wir sonst abwägen müssten, zwischen den
Gewohnheiten, dem Komfort und der Gefahr? Ist es einfacher, die Gefahr zu
ignorieren? Ich weiß, dass manche Menschen ihr Leben ohne Auto nicht mehr
so führen könnten, wie sie es führen, dass sie, zum Beispiel, nicht mehr
zur Arbeit kämen. Ich weiß, dass es auf dem Lande kaum verkehrstechnische
Alternativen gibt.
Aber wer ist denn für all dies verantwortlich? Wir. Wir sind die Menschen
dieser Zeit, dieser Gesellschaft. Und wir sind auch – für uns selbst – die
größte Gefahr.
10 Jan 2018
## AUTOREN
Katrin Seddig
## TAGS
Verkehr
Terrorismus
Unfälle
Angst
Selbstfahrendes Auto
Fahrrad
Verkehrsunfälle
Verkehr
Volksentscheid Fahrrad
Versicherung
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