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# taz.de -- Sozialdezernent über Integration: „Emanzipation muss Pflichtfach…
> Laut einer Studie nimmt Gewalt durch Geflüchtete zu. Wir müssen ihnen
> Perspektiven eröffnen, aber auch gegen Kriminalität vorgehen, sagt Markus
> Schnapka.
Bild: „Austausch funktioniert nur über die Sprache“, meint der ehemalige S…
taz am Wochenende: Herr Schnapka, einer neuen Studie zufolge gibt es in
Niedersachsen mehr Gewaltdelikte durch Zuwanderer. Sie haben als
Sozialarbeiter und Leiter des Landesjugendamts Rheinland lange mit
Geflüchteten gearbeitet. Haben Sie die Ergebnisse der Studie überrascht?
Markus Schnapka: Nein. Sie hat bestätigt, was ich erwartet, aber vielleicht
verdrängt hatte. Tatsächlich würde es mich vielmehr überraschen, wenn sich
Menschen in derartigen Situationen komplett regelkonform verhalten.
Warum haben Sie es verdrängt?
Weil ich nicht wünsche, dass die Debatte weiter eskaliert. Aber ich weiß
natürlich auch, dass sie nur mit Offenheit und Ehrlichkeit geführt werden
kann.
Der Studie zufolge [1][stieg die Zahl der tatverdächtigen Geflüchteten]
2016 bundesweit um 15 Prozent bei schweren Körperverletzungen und
Vergewaltigungen. Die auffälligste Altersgruppe sind die 14- bis unter
30-Jährigen.
Wie die Studie sagt, sind in jedem Land der Welt die männlichen 14- bis
unter 30-Jährigen bei Gewalt- und Sexualdelikten deutlich
überrepräsentiert. Außerdem sind die meisten Opfer dieser Gewalt ja auch
wieder Geflüchtete. Viele stammen aus Kriegsgebieten, aus Armut, haben in
ihrer Heimat Schlimmes erlebt. Dann haben sie oftmals einen gefahrvollen
Weg hinter sich. Das bringt Verhaltensweisen hervor, die wir auf unserer
gemütlichen Insel Europa gar nicht so nett finden, wie etwa einen
unbarmherzigen Egoismus. Die Menschen müssen so agieren, damit sie
überleben, im Zweifel auch gegen andere.
[2][Perspektivlosigkeit wird in der Studie als Hauptursache für Gewalt
genannt.] Diejenigen, die kaum Chancen haben zu bleiben wie etwa
Geflüchtete aus den Maghreb-Staaten, neigen eher zu Kriminalität.
Das beobachten wir doch überall, in Deutschland etwa nach der Wende. Viele
junge Leute im Osten hatten dort keine Perspektive, flüchteten in den
Westen oder blieben und resignierten – manche wurden aggressiv und
rechtsradikal. Das ist kulturell völlig unabhängig. Wenn die
Rahmenbedingungen schlecht sind, werden die Menschen schlecht.
Perspektivlosigkeit kann dann auch zum Lebensmotto werden. Wir müssen den
Menschen Chancen eröffnen. Aber auch konsequent sein, wenn diese Chancen
ausgeschlagen werden.
Die Frage ist, was es heißt, konsequent zu sein. Ihr Name wurde dadurch
bekannt, [3][dass Sie vor knapp zwei Jahren geflüchteten Männern den Zugang
zum Schwimmbad in Bornheim verwehrt haben]. Was war dem Verbot
vorausgegangen?
Wir hatten sechs anonyme Anzeigen gegen Geflüchtete wegen sexueller
Übergriffe im Schwimmbad, eine wegen einer versuchten Vergewaltigung auf
dem Weg zum Schwimmbad, die nur verhindert wurde, weil sich ein Migrant
schützend vor die Frau gestellt hat. Ich habe daraufhin alle Geflüchteten
in unser großes Veranstaltungszelt eingeladen und erzählt, was passiert
ist. Alle Anwesenden waren geschockt, Männer wie Frauen. Sie haben die
Hände vor dem Gesicht zusammengeschlagen, waren wütend und haben die
Entscheidung, geflüchtete Männer bis auf Weiteres nicht ins Schwimmbad zu
lassen, voll mitgetragen.
Die Öffentlichkeit dagegen hat Ihnen damals vorgeworfen, eine ganze Gruppe
pauschal zu verurteilen.
Dass das so aussah, war mir klar. Aber diesem Vorwurf habe ich mich lieber
gestellt, als die Chance auszuschlagen, so intensiv mit den Geflüchteten
ins Gespräch zu kommen, wie es dann geschehen ist.
Wie ging es weiter?
Wir haben ganz konkrete Sozialarbeit betrieben. Bornheim hatte damals 800
Geflüchtete auf 50.000 EinwohnerInnen, wir haben neun zusätzliche
SozialarbeiterInnen eingestellt und hatten zahlreiche ehrenamtliche
UnterstützerInnen. Das Wichtigste war, in die Gespräche zu gehen. Wir haben
die Vorkommnisse, die Rolle der Frau, das Verhältnis der Geschlechter
zueinander und die Errungenschaften der Emanzipation zum Thema gemacht. Es
gab heftige Debatten. Wir wollten dafür sorgen, dass auch zwischen den
Geflüchteten Gespräche entstehen, damit sie dann wiederum zu
BotschafterInnen werden. Veränderung kann es nur aus innerer Überzeugung
geben, und für die muss Raum und Zeit geschaffen werden.
Was haben Sie in diesen Gesprächen erfahren?
Zum Beispiel, dass Heiraten in einigen Kriegs- und Krisenregionen immer
teurer geworden ist, es sich viele schlicht nicht mehr leisten konnten. In
sexuell streng normierten und kontrollierten Gesellschaften werden die
Männer demzufolge immer älter, bevor sie das erste Mal mit Sex in Kontakt
kommen.
Wie wirkt sich das auf die Situation in Deutschland aus?
Als diese Männer gezwungen waren zu fliehen, gelangten sie in ein Land, von
dem sie nur diffuse Vorstellungen hatten, also auch jede Menge Klischees –
was etwa unsere sexuelle Offenheit anbelangt. Für jemanden, der aus einem
streng muslimischen Kultursektor in ein deutsches Schwimmbad kommt, kann
die Offenheit, mit der sich Männer und Frauen da begegnen, eine gänzlich
neue Erfahrung sein. Man sieht ja auf den ersten Blick nicht, dass unter
dieser Lockerheit viele erlernte Schichten liegen. Dass etwa ein offener
Blick, ein herzliches Lachen nicht automatisch eine Einladung für engeren
Kontakt ist. Doch das sind ganz feine Kommunikationsmechanismen, die
kulturell verankert sind.
Von einem Frauendefizit ist in der Studie außerdem die Rede. Haben auch Sie
die Erfahrung gemacht, dass Frauen eine deeskalierende Wirkung auf die
jungen Männer haben?
Nicht unbedingt. Auch Frauen, die aus patriarchalen Strukturen stammen,
können emanzipationsfeindlich und, nach unseren Maßstäben, frauenfeindlich
sein. Als wir den Geflüchteten von den Vorkommnissen im Bornheimer
Schwimmbad erzählt haben, gab es auch unter den Frauen die Haltung, das
verletze vor allem die Ehre der Familie. Das Verständnis von Ehre und
Familie ist ohne Frage kulturspezifisch geprägt.
Ist es nicht ein Vorurteil, dass Geflüchtete aus patriarchal strukturierten
Gesellschaften automatisch ein anderes Frauenbild haben als wir?
Wenn ich schwarzen Männern pauschal unterstelle, dass sie ein solches
Frauenbild haben und deshalb übergriffig werden könnten, ist es ein
Vorurteil. Es ist dann eines, wenn es sich gegen eine ganze Gruppe von
Menschen richtet.
So wie bei Ihrem Schwimmbadverbot.
Wie gesagt, mit Skrupeln, aber abgewogen und konsequent. Und ich würde es
heute wieder so machen. Diese drastische Maßnahme hat am besten gewirkt,
hat zu einem gewinnbringenden Austausch geführt.
Die eigenen Wertvorstellungen zu reflektieren bedeutet immer auch, die
eigene Identität infrage zu stellen. Wie kann man jemanden dazu bewegen?
Indem man authentisch und konsequent ist, aber auch offen für das, was von
der anderen Seite kommt. Verstehen heißt nicht, einverstanden zu sein, aber
ohne dieses Verstehen geht es nicht. Ich verlasse mich nicht auf ein
Verständnis von Ehre à la „Ich fasse eine Frau nicht einfach an, stehe aber
über ihr“; das ist aus meiner Sicht ein Widerspruch. Bei uns existieren in
Sachen Gleichberechtigung ja noch lange keine paradiesischen Zustände, aber
wir sind doch auf dem richtigen Weg und sollten darauf stolz sein. Dieser
Stolz wird von den Geflüchteten auch respektiert. Auf der anderen Seite
musste ich aber auch Gedanken über den Begriff der Ehre zulassen und nicht
nur meine festgefahrenen reproduzieren. So kann ich ihn jetzt auch als
etwas begreifen, das sich etwa mit Loyalität, Moral oder Ehrlichkeit
übersetzen lässt.
Was bräuchte es, damit ein Miteinander auf Augenhöhe gelingen kann?
Gesetze schaffen Kategorien, nach denen Menschen als homogene Masse
begriffen werden. Mein größter Wunsch wäre eine rechtlich solide Handhabe,
die Abwägung möglich macht. Ich darf den 17-jährigen Marokkaner, der sich
nichts zuschulden kommen lässt, nicht genauso behandeln wie den
straffälligen. Aktuell wird das Asylrecht immer mehr verengt und die
Bleibechancen werden verringert, damit weniger Menschen kommen. Stattdessen
müssten wir die Voraussetzungen für Integration schaffen.
Wie denn?
Wir müssen die Lebensumstände hier so gestalten, dass möglichst wenig
passiert, uns zum Beispiel für dezentrales Wohnen starkmachen. Die
Unterbringung in Großeinrichtungen ist schrecklich und gefährlich. Die
sexuellen Übergriffe in Bornheim passierten alle im Umfeld dieser Heime.
Sprach- und Integrationskurse sollte es für alle geben, auch für jene, die
zunächst keine Bleibeperspektive haben. Emanzipation muss ein Pflichtfach
sein. Austausch funktioniert nur über die Sprache und dann weiter in
Kochkursen und Kulturzentren. Eine absichtliche Verhinderung von Chancen
dagegen begünstigt Gewalt. Doch bei denjenigen, die Chancen ausschlagen und
kriminell werden, muss unser Justizsystem besser werden. Nicht härter, aber
schneller.
Was passierte eigentlich mit dem Schwimmbadverbot?
Das wurde nach zehn Tagen aufgehoben. Bis heute gab es keinen einzigen
Vorfall mehr.
6 Jan 2018
## LINKS
[1] /Studie-zu-Kriminalitaet-und-Zuwanderung/!5473903
[2] /Studie-zu-Jugendgewalt/!5474776
[3] /NRW-Kommunen-und-Fluechtlinge/!5265995
## AUTOREN
Hanna Voß
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