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# taz.de -- taz-adventskalender (24): „Bei meiner Kunstaktion geht es um den …
> Die taz präsentiert in ihrem Adventskalender BerlinerInnen, die für etwas
> brennen. Hinter Türchen 24: Künstlerin Susan Madsen, die im Wagendorf
> Karow lebt.
Bild: Weihnachtszeit – Konsumterrorzeit
Vor rund vier Jahren bin ich aus dem diplomatischen Dienst ausgeschieden,
ich hatte mit Burn-out zu kämpfen. 17 Jahre in der dänischen Botschaft zu
arbeiten reichte mir. Mein Mann und ich hatten davor schon viele Jahre in
Zehlendorf nur mit dem Nötigsten gelebt und unsere Besitzgüter immer weiter
verringert. Seit dem beruflichen Ausstieg lebe ich mit meiner Familie, ich
habe fünf Kinder, im Wagendorf Karow. Wir wohnen hier in sieben Bauwagen,
die von meinem Mann, der auch fünf Kinder hat, ausgebaut wurden. Wir
wollten mit wenig leben, und hier kann man das. Für uns das Paradies.
Ich habe in Potsdam begonnen, Jura und Geschichte zu studieren. Und ich
habe angefangen zu schreiben, aber schnell gemerkt, dass ich mich als
gebürtige Dänin in der deutschen Sprache doch nicht so gut ausdrücken
konnte, wie ich es wollte. Deshalb versuche ich es jetzt über die Kunst.
Bei meiner Kunstaktion, dem Weihnachtsterrorbaum, geht es mir um den
Weihnachtsterror, der überall herrscht. Alle fühlen sich gestresst davon.
So will ich kein Weihnachtfest erleben. Weihnachten ist ja etwas Schönes;
es ist ein Fest der Lichter – das weiß nur keiner mehr. Gerade wenn man aus
dem Norden kommt, fehlt einem das Licht besonders. Es geht nur um Konsum.
Ich will mit meinem Weihnachtsterrorbaum aber auch an die Menschen
erinnern, die keine Heimat haben, die terrorisiert werden, die zu Unrecht
eingesperrt sind, ja, die nicht einmal die Möglichkeit haben, es sich zu
Weihnachten gemütlich zu machen – deswegen der Stacheldraht. Ich habe rund
400 Meter davon verarbeitet. In dem fünf Meter hohen Kunstwerk, an dem ich
drei Wochen gebaut habe, stecken etwa 55 Baumstücke, Birke, Tanne, Kiefer,
Korkenzieherhasel … Die habe ich von unserem Nachbarn, der Bäume fällt. Wir
hatten hier auf dem Gelände viele Sturmschäden. Mir war wichtig, dass für
die Aktion kein Baum gefällt wird. Hier stecken rund 200 Kabelbinder,
Lochblech und unzählige Schrauben drin.
Etwas einzäunen, etwas fernhalten oder etwas einsperren, dafür steht
Stacheldraht, deshalb hab ich ihn verwendet. Schaut euch die
Flüchtlingslager an, die sind eingezäunt – in der Regel mit Stacheldraht
oben auf dem Zaun. So geht man doch nicht mit Menschen um, die auf der
Flucht sind.
Vergangenen Samstag haben wir alle Wagendorfbewohner zu Kuchen, Stockbrot
und unheimlich viel Glühwein bei einem Feuer eingeladen, um nebenbei etwas
Geld für Amnesty International zu sammeln. Wie viel Geld am Ende
zusammenkommt, ist uns relativ egal. Es geht darum, auf etwas aufmerksam zu
machen. Darum sitzt der Stern auf meinem Weihnachtsterrorbaum schief. Darum
ist der Baum in der Mitte etwas kahl. Hätte ich ihn überall mit Tannengrün
bestückt, hätte das Kunstwerk zu sehr nach einem normalem Weihnachtsbaum
ausgesehen. Das wäre zu nett gewesen, und das eigentliche Anliegen wäre
untergegangen. Ich habe bewusst kaltes Licht für den Stern und die
Strahler, die den Baum im Dunkeln anleuchten, verwendet, um das
Ungemütliche des Stacheldrahts zu unterstreichen. Weihnachtskugeln kamen
nicht infrage, um Gottes willen! Und wenn, wären sie schwarz gewesen.
Außerdem: Oft ist weniger mehr, hier auch.
Der Baum bleibt erst mal stehen, vielleicht bis Mitte Januar. Jeder kann
vorbeikommen. Ich empfehle, uns abends zu besuchen, denn dann wirkt der
Baum so, wie er soll.
Dieses Weihnachten sind meine Kinder bei ihrem Vater, die Kinder meines
Mannes bei deren Mutter. So gesehen sind wir aus dem Schneider. Wir machen
eine Flasche Wein auf, und mein Mann ist ein brillanter Koch – und dann
machen wir ganz entspannt gar nichts.
24 Dec 2017
## AUTOREN
Andreas Hergeth
## TAGS
Konsum
taz-Adventskalender
Dänemark
Weihnachten
Lebensmittelrettung
Revolution
Advent
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