| # taz.de -- Versorgungslücken in Bremen: Zu wenig Ärzte in Nord | |
| > Gesundheit und Wohlstand hängen zusammen: Gerade in ärmeren Stadtteilen | |
| > mangelt es immer wieder an ÄrztInnen | |
| Bild: Bremen-Nord ist nicht Bülowbogen: Dr. Brockmann hatte immer Zeit | |
| BREMEN | taz Wochenlang auf einen Arzttermin warten zu müssen, kommt vor, | |
| wenn man zu einem Spezialisten geht – bei Haus- oder KinderärztInnen sollte | |
| dies jedoch nicht der Fall sein. In Bremen-Nord aber gibt es Probleme bei | |
| der ärztlichen Versorgung. Nachdem 2016 drei Hausärzte dort Schwierigkeiten | |
| hatten, NachfolgerInnen zu finden, waren bald die beiden in Blumenthal | |
| niedergelassenen Kinderärzte überlaufen. Umfangreichere | |
| Vorsorgeuntersuchungen, Sprachbarrieren und mehr Bürokratie kosten Zeit. | |
| Dabei ist die ärztliche Versorgung in Bremen rein rechnerisch gesichert, | |
| statistisch gibt es weder bei Haus- noch FachärztInnen einen Mangel. Diese | |
| verteilen sich jedoch nicht gleichmäßig über die Stadtteile. Während es in | |
| Gröpelingen bei fast 7.000 Minderjährigen drei niedergelassene Kinder- und | |
| JugendmedizinerInnen gibt, führt die Kassenärztliche Vereinigung Bremen | |
| (KV) für Schwachhausen bei etwas über 5.000 Kindern und Jugendlichen 21 | |
| ÄrztInnen auf. Von diesen sind zwar einige im Kinderzentrum am | |
| St.-Joseph-Stift untergebracht, doch auch wenn man diese herausrechnet, | |
| bleibt es dabei – weniger unter 18-Jährige, mehr MedizinerInnen. | |
| „Eine Diagnose lässt sich in Schwachhausen allein schon wegen der | |
| Sprachbarriere leichter stellen als in der Hindenburgstraße“, sagt Helmut | |
| Zachau vom Gesundheitstreffpunkt West, der Leistungen wie etwa Beratungen | |
| oder Gemeinschaftsaktionen zur Gesundheitsprävention in den westlichen | |
| Stadtteilen anbietet. Außerdem, so Zachau weiter, trage der Anteil der | |
| PrivatpatientInnen in Schwachhausen zur Refinanzierung der Praxen bei. | |
| Dass Ärzte in besser situierte Stadtteile gehen, wenn sie die Wahl haben, | |
| sei verständlich, sagt Steffi Dehne, die gesundheitspolitische Sprecherin | |
| der SPD-Fraktion in der Bürgerschaft. „Es gibt aber auch welche, die da | |
| helfen wollen, wo es problematisch ist. Dennoch fehlen gerade in den | |
| Stadtteilen, die nicht auf Rosen gebettet sind, ÄrztInnen.“ | |
| Gesundheit ist eine Frage von Wohlstand. Mit Armut geht eine reduzierte | |
| Lebenserwartung einher. Das Wissen über gesunde Ernährung und einen | |
| gesundheitsfördernden Lebensstil muss sich zunächst angeeignet werden. | |
| ## Mehr wohnortnahe Versorgung wäre nötig | |
| „Es gibt eine hohe Korrelation zwischen Bildungsbenachteiligung, Gesundheit | |
| und Armut. Hinzu kommt, dass sich die Menschen nicht aus ihrem Stadtteil | |
| heraustrauen – es gibt psychische, kulturelle, materielle und | |
| Erkenntnisgrenzen. So bleiben die Menschen in ihrem Quartier“, erläutert | |
| Helmut Zachau. Umso wichtiger ist eine wohnortnahe Versorgung von Haus- und | |
| KinderärztInnen. | |
| Ein Problem dabei ist, dass die Stadt Bremen wie auch Hamburg oder Berlin, | |
| ein einziger Planungsbezirk für die Bedarfsplanung ist. Die Festlegung der | |
| Bezirke erfolgt durch die KV. Die ungleiche Versorgung sei auf diese | |
| großräumige Planung zurückzuführen, sagt Nelson Janßen, | |
| Bürgerschaftsabgeordneter der Linken. „Es wird nicht auf Stadtteilebene | |
| geschaut, und sozialräumliche Faktoren und Sozialindikatoren wie etwa die | |
| Armutsquote werden bei der Berechnung nicht berücksichtigt.“ So könne jede | |
| Ärztin und jeder Arzt frei entscheiden, wo sie oder er sich niederlasse. | |
| „Auch wir müssen uns an geltendes Recht halten. Der Gesetzgeber sagt, dass | |
| es in der Stadt möglich ist, einen Arzt in einem anderen Stadtteil | |
| aufzusuchen“, erläutert der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung | |
| Bremen, Christoph Fox. „Hinzu kommt im Fall von Bremen-Nord, dass dort von | |
| den Zahlen her eine Überversorgung herrscht. Hier würde selbst bei einer | |
| kleinteiligeren Planung kein Arzt dazukommen.“ Aufgrund der Argumentation | |
| der dortigen Ärzte, dass die Untersuchungen aufwendiger seien, solle nun | |
| aber ein weiterer Arztsitz dazukommen. „Das kann man über einen | |
| Sonderbedarf regeln“, sagt Fox. | |
| „Das Problem wird wahrgenommen“, sagt auch Christina Selzer, Sprecherin der | |
| Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD). Es gebe zwar rein rechnerisch | |
| keinen Mangel, faktisch jedoch schon. Daher sollen ab 2018 in zwölf Schulen | |
| sogenannte Gesundheitsfachkräfte eingesetzt werden. „Diese sollen die Lücke | |
| schließen zwischen der Lebenswelt der Kinder und den Kinderärzten. Sie | |
| können vor Ort Probleme erkennen, sodass die Kinder nicht jedes Mal zum | |
| Arzt müssen. Es besteht aber natürlich auch die Möglichkeit, sie dann zum | |
| Arzt zu schicken“, erklärt Selzer. | |
| ## Ärzte zieht es mehr in die Städte | |
| Die Ansiedlung von Arztpraxen wird durch diese Maßnahme nicht verändert. | |
| „Armut macht krank und Krankheit arm. Daher braucht es mehr Ärzte in | |
| Stadtteilen, in denen sich die Problemlagen sammeln“, meint Nima Pirooznia | |
| von der Grünen-Fraktion in der Bürgerschaft. Die Nachfolgeregelung von in | |
| Ruhestand gehenden ÄrztInnen sei überall ein Problem. „Es gibt jedoch | |
| Unterschiede zwischen Städten und ländlichem Raum – Großstädte ziehen Är… | |
| an.“ Es sei hier also weniger schwierig, NachfolgerInnen zu finden. Auch | |
| Pirooznia hält eine kleinräumigere Bedarfsplanung daher für den richtigen | |
| Weg. Wenn es dann noch problematisch sei, Praxen zu besetzten, könne die | |
| KV finanzielle Anreize setzen, um diese attraktiver zu gestalten. | |
| Magnus Buhlert von der FDP sieht die KV ebenfalls in der Verantwortung: | |
| „Natürlich müssen genügend Ärzte vorhanden sein, da ist die Situation in | |
| Bremen aber schon besser als etwa in Mecklenburg-Vorpommern. Wenn Arztsitze | |
| frei werden, ist es Aufgabe der KV, diese attraktiv zu machen. Sie verfügt | |
| dazu über Instrumente.“ | |
| „Wenn es mit immer mehr Bereichen der ärztlichen Selbstversorgung Probleme | |
| gibt, muss der Bundesgesetzgeber an den Stellschrauben drehen“, findet der | |
| CDU-Bürgerschaftabgeordnete Rainer Bensch. Allerdings sei die Lage | |
| schwierig. „Die KV bemüht sich, etwa mit Lockangeboten und | |
| Umsatzausgleich.“ Für die Attraktivität der Stadtteile müsse auch der | |
| rot-grüne Senat mehr tun. „Ich habe kein Verständnis dafür, dass der grüne | |
| Umweltsenator teure Premiumradwege bauen lassen will, wenn in Bremen-Nord | |
| in Gesundheit und Bildung investiert werden muss.“ | |
| ## Ganzheitliche Konzepte sind gefragt | |
| Helmut Zachau vom Gesundheitstreffpunkt West ist davon überzeugt, dass zur | |
| Verbesserung der Gesundheit von ärmeren Bevölkerungsgruppen ganzheitliche | |
| Konzepte nötig sind und Bedarfe aus den Stadtteilen heraus definiert werden | |
| sollten. „Präventionsarbeit ist in Gröpelingen Beziehungsarbeit und läuft | |
| zum Beispiel über die Kinder.“ Was der Gesundheitstreffpunkt bereits biete, | |
| solle mit anderen Angeboten vernetzt werden. „Es braucht ein | |
| multifunktionales Gesundheitszentrum, das sowohl ärztliche Versorgung und | |
| Physiotherapie sicherstellt, aber auch Bildungs-, Sozial und | |
| Gesundheitsarbeit leistet.“ So könne besser und strukturierter mit | |
| komplexen Problemen umgegangen werden. „Momentan werkeln acht, neun | |
| Institutionen an einer Familie herum, ohne die Arbeit untereinander zu | |
| koordinieren.“ | |
| 29 Dec 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Jördis Früchtenicht | |
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