# taz.de -- Bremer Whistleblowerin: „Ich fügte mich den Umständen“ | |
> Andrea Schulz war bis 2012 Justitiarin der Kassenärztlichen Vereinigung | |
> Bremen. Von ihrer schlimmsten Zeit dort handelt ihr Buch „Eine Frage der | |
> Selbstachtung“. | |
Bild: Nicht alle Medizin ist selbstlos | |
taz: Frau Schulz, Sie haben 2001 bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) | |
Bremen unrechtmäßige Zahlungen an deren damaligen Vorstands-Vize | |
aufgedeckt. Die KV hat danach vergeblich versucht, Sie zu kündigen, und | |
Sie, so liest es sich, jahrelang gemobbt. Trotzdem sind Sie bis Ende 2012 | |
dort geblieben – warum haben Sie sich keine andere Stelle gesucht? | |
Andrea Schulz: Ich hatte als Juristin eine ansehnliche Position erreicht, | |
die mir auch vom Aufgabengebiet her unheimlichen Spaß machte. Ich glaube, | |
dass ich nicht so ohne Weiteres eine ähnlich adäquate neue Stelle bekommen | |
hätte. Erschwerend kommt hinzu, dass damals einiges unternommen wurde, um | |
mich in meinem beruflichen Umfeld in ein negatives Licht zu rücken. So | |
wurden beispielsweise an alle Kassenärztlichen Vereinigungen Stellungnahmen | |
verschickt, in denen es sinngemäß hieß: „Wir haben rechtmäßig gehandelt, | |
aber unserer Justitiarin mussten wir kündigen.“ | |
Aber Sie hatten doch Recht: Eine KV-interne Untersuchung hat das 2002 | |
bestätigt, und die Extravergütungen an den Vize wurden zurückgenommen… | |
Ja, und das wurde ja auch in vielen Medien dankenswerterweise der | |
Öffentlichkeit mitgeteilt. Aber hinter den Schlagzeilen ging es anders | |
weiter. Selbst im November 2012 wurde mir von Vorstandsseite | |
unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass ich seinerzeit Täter zu | |
Opfern und Opfer zu Tätern gemacht hätte. | |
Sie meinen, Ihnen blieb gar nichts anderes übrig, als weiter dort zu | |
arbeiten? | |
Die berufliche Ehre hat da natürlich auch eine nicht unwesentliche Rolle | |
gespielt: Es wäre mir wie eine Niederlage vorgekommen, dort zu kündigen. | |
Ich wusste, dass ich richtig gehandelt hatte, und erhielt auch von | |
verschiedenen Seiten Unterstützung, nicht zuletzt aus der Ärzteschaft | |
beziehungsweise von den KV-Mitgliedern. Und nach etlichen internen | |
Sitzungen, um mich wieder „in die Gemeinschaft zu integrieren“, wie es | |
damals hieß, wurde die Situation dann ja auch wieder besser. | |
Sie schreiben: „Ich hatte zu machen, was man mir sagte, ich hatte zu | |
spuren, und ich hatte offenbar dankbar zu sein, nach dieser Sache noch an | |
meinem Schreibtisch sitzen ’zu dürfen‘.“ Das klingt nicht wirklich | |
„besser“… | |
Stimmt. Ich wurde mehr oder weniger geduldet oder besser: Man fand sich | |
damit ab, mich nicht rausbekommen zu haben. Vielleicht trifft es den | |
Zustand genauer, wenn ich sage: Ich fügte mich den Umständen. Aber ich | |
denke, ich bin da im Arbeitsleben kein Einzelfall. Allerdings kann man das | |
letztendlich nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt machen, und der war bei | |
mir gekommen, als ich eine Gehaltserhöhung beanspruchte – ich hatte bereits | |
anderthalb Jahre lang zusätzliche Aufgaben übernommen und überdies | |
erfahren, dass andere Kollegen Prämien beziehungsweise Bonuszahlungen | |
erhielten. Da wollte ich das nicht mehr so weiterlaufen lassen und mir war | |
klar: Ich mache jetzt mein Recht geltend und dann müssen die Dinge halt | |
ihren Lauf nehmen. | |
Ihre Forderung ging vorm Arbeitsgericht bis in die zweite Instanz. | |
Unterdessen wurde Ihnen mit „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen“, konstruierten | |
Abmahnungen und dem Aufwiegeln von Kollegen gegen Sie das Leben schwer | |
gemacht… | |
Ja, so hat es sich tatsächlich aus meiner Perspektive dargestellt und das | |
ist gesundheitlich nicht ohne Spuren geblieben. Ich bin, nachdem wir vor | |
dem Landesarbeitsgericht einen Vergleich abgeschlossen hatten, in meine | |
Heimatstadt Kiel zurückgegangen, um einfach nur Luft zu holen, um | |
durchzuatmen. Ich habe versucht, mich zu erholen, sozusagen in | |
Eigentherapie. | |
Ist das Buch Teil dieser „Eigentherapie“? | |
Auf jeden Fall. Ich habe mir damit viel von der Seele geschrieben. Deshalb | |
wollte ich das Buch auch unbedingt selbst schreiben und nicht auf | |
professionelle Hilfe zurückgreifen. Allerdings habe ich es auch | |
geschrieben, um einen Einblick in eine berufliche Ausnahmesituation zu | |
geben, wie man mit einem Menschen in dieser Situation umgeht – und | |
letztendlich ist es auch eine Rechtfertigung und Klarstellung. | |
Wieso das? | |
Dadurch, dass ich Bremen verlassen habe, habe ich natürlich Tür und Tor für | |
Spekulationen und Gerüchte geöffnet. Deshalb habe ich mir als ganz normale | |
Arbeitnehmerin einfach das Recht herausgenommen, zu Papier zu bringen, was | |
passiert ist. So kann das nun jeder, der Interesse hat, nachlesen. | |
Wie sehen Sie rückblickend die Strukturen in der KV Bremen? | |
Ich finde, es sollten zumindest im Bereich zusätzlicher Bonuszahlungen | |
neben dem Gehalt – auch im Interesse der Mitglieder – Kontrollmechanismen | |
greifen und Entscheidungsabläufe offen gelegt werden. Ich bin mir auch | |
nicht sicher, dass die mit 2005 gesetzlich eingeführte Hauptamtlichkeit des | |
Vorstandes ein positiver Fortschritt war. Aber dieses Rad lässt sich nicht | |
zurückdrehen und ist sicherlich Ansichtssache. | |
Ist ein Ehrenamt nicht anfälliger für den Griff in die Kasse? | |
Nein. Der ehrenamtliche Vorstand bis 2004 bestand ja aus bis zu sieben | |
Mitgliedern, meines Erachtens war damit eine bessere Kontrollmöglichkeit | |
gegeben. Auch habe ich vor der Gesetzesänderung die Geschäftsführerposition | |
als neutrales Bindeglied zwischen dem Vorstand und der Vertreterversammlung | |
betrachtet. Wenn auch damals gerade der Geschäftsführer eine entscheidende | |
Rolle bei der rechtswidrigen Begünstigung gespielt hat, ändert das nichts | |
an meiner Auffassung – Ausnahmen bestätigen die Regel. | |
9 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
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