Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Tidenhub im Güllesilo
> Im Norden Deutschlands fließt die Scheiße über. Jetzt helfen nur noch
> hüfthohe Gummistiefel gegen die zum Himmel stinkende Brühe.
Bild: Die Silos brechen, die Gülle fliegt durch die Luft und die Nasen melden …
Unaufhörlich pladdern die grauen Dezemberregentropfen aus grauem Himmel auf
grauen Schlamm. Schweine suhlen sich im Kot, der durch die Rinnsteine
schwappt, ein einsamer Stand bietet Fischköpfe feil. Es ist ein typischer
Markttag auf dem Kieler Exerzierplatz, nichts deutet auf die existenzielle
Notlage hin, in der sich der Norden Deutschlands befindet. Wegen
andauernder Niederschläge im Herbst konnten Bauern die Gülle nicht
rechtzeitig auf den Feldern ausbringen. Nun sind die Silos voll, und
täglich fließen Millionen Liter aus nervösen Tierdärmen nach. Es droht eine
Fäkalienüberschwemmung biblischen Ausmaßes, angenommen, zu biblischen
Zeiten wäre bereits Intensivtierhaltung praktiziert worden.
Auf die Gefahr angesprochen, reagieren die Städter noch verhalten. „Man
macht sich schon so seine Gedanken“, schnoddert Hauke Mommsen, der auf dem
Markt die letzten beiden Fischköpfe ergattert hat. Dann schweigt er lange,
streicht ab und an über seinen Stoppelbart, schaut in die Ferne, schneuzt
sich in seinen dicken Wollschal. Dann verabschiedet er sich mit einem
unterkühlten Händedruck, zieht die Bommelmütze tief ins Gesicht und läuft
prompt gegen den einzigen Baum weit und breit. So sind sie, die
Norddeutschen: verschlossen und nicht sehr weitsichtig.
In den Ballungszentren mit mehr als zwei Einwohnern pro Quadratkilometer
scheint die Gefahr noch weit weg. Welche Auswirkungen es haben kann, wenn
Gülle in das Grundwasser gerät, ist den meisten nicht bewusst. Im Jahr 1978
ist das schon einmal passiert. Da kam dann statt Leitungswasser eine
übelriechende Brühe aus dem Hahn. Folge: Der Absatz der Holsten-Brauerei
brach ein, bis der Schaden beseitigt war, zahlreiche Arbeitsplätze gingen
verloren.
## Schweinebauern in heller Aufregung
Draußen auf dem Land, in der Dithmarscher Geest zwischen Tensbüttel-Röst
und Schafstedt ist man indes bereits in heller Aufregung. „Tja, dat is
schon Schiet!“, klönt Schweinebauer Søren Brandt und stellt die Teekanne
zurück aufs Stövchen. „Möchten Sie auch Kandis?“
Er ist der Herr über knapp 4.000 Schweine und mit jedem einzelnen von ihnen
persönlich befreundet, wie er stolz betont. „Schietern tun die aber
mindestens für 8.000, da stehen sie ihrem Chef in nichts nach, haha!“,
prustet Brandt, doch aus seinen Augen spricht die nackte Angst. Der
trockene Humor, für den die Norddeutschen sonst bekannt sind, ist längst
einem feuchten, durchgeweichten gewichen.
Wohin also mit dem ganzen Mist? Hauptabnehmer war bislang ein „Künstler“
aus Dunkeldeutschland, der die Gülle für seine braunen Bilder in
Schlammfarben brauchte. Seit der herausgefunden hat, dass er seine Bildchen
ebenso gut mit der Suppe aus seinem Kopf kleckern kann, fehlt den Silos
jedoch ein wichtiger Abfluss. „Die Abkehr von Fertiggülle hin zu
erneuerbaren Ausscheidungen hat der Landwirtschaft einen nicht
wiedergutzumachenden Schaden zugefügt“, klagt die Kieler Staatssekretärin
Anke Erdmann von den Grünen. „Künstlerisch sind seine Bilder natürlich
unter aller Sau, aber gerade da fällt die Gülle halt hin. Es war eine
Symbiose, wie wir sie sonst nur aus der Natur kennen.“
Inzwischen forscht man in ihrem Ministerium nach Alternativen, eine
Verwertung gilt als schwierig. Zwar bestehen weite Teile der traditionellen
Kost an den Küsten aus Viehdung, darunter Labskaus oder Brei mit Klößen,
aber außerhalb dieses Gebietes reagieren die meisten mit Ablehnung oder gar
Ekel auf die Spezialitäten. Ihr Geschmacks- und Geruchssinn wurde eben
nicht durch chronischen Schnupfen verätzt.
## Umwandlung des braunen Goldes
Deshalb geht man in Schleswig-Holstein jetzt gänzlich neue Wege. Gemeinsam
mit Søren Brandt experimentiert man an einer Methode, die Nährstoffbrühe in
wertvolles Edelmetall umzuwandeln. „Für mich ist das braunes Gold“, sagt
er. „Leider stehe ich mit dieser Ansicht ziemlich allein da.“ Man wolle nun
Farbe, Geruch und Konsistenz so verändern, dass auch andere den Wert der
Exkremente erkennten. „Nennen Sie mir bitte einen Grund, weshalb das nicht
funktionieren sollte!“
Erste Testläufe hätten bereits vielversprechende Ergebnisse gezeitigt. So
sei es etwa gelungen, „eine ganze Badewanne voll Kuhscheiße“ goldgelb
einzufärben. In einem anderen Versuch konnte man der Masse so viel Wasser
entziehen, dass sie „steinhart, aber zugleich elastisch“ geworden sei. „N…
müssen wir die beiden Prozesse nur noch kombinieren. Die physikalische
Theorie ist vorhanden.“ Brandt bezieht sich hierbei auf das „Buch der
Friesen“ des „bekannten Emdener Nobelpreisträgers Otto Waalkes“. In dies…
Bereich Deutschlands immer noch eine unangefochtene Autorität.
In der Kieler Landesregierung hofft man, auf diese Weise zugleich den
maroden Haushalt zu sanieren. „Wenn es funktioniert, wäre das genial!“,
schwärmt Erdmann. „Stellen Sie sich nur mal vor, wie wir unser Bundesland
damit umgestalten könnten. Der neue Bayernfürst Markus Söder würde blass
vor Neid werden! Und Windräder aus Massivgold sollten auch die letzten
Gegner der Energiewende überzeugen.“
Das flackernde Nordlicht Hauke Mommsen weiß von alledem nichts. Er will
sich zu Weihnachten erst einmal ein neues Paar hüfthohe Gummistiefel
schenken lassen. Vielleicht nicht die schlechteste Idee.
20 Dec 2017
## AUTOREN
Valentin Witt
## TAGS
Gülle
Schleswig-Holstein
Landwirtschaft
Tier des Jahres
Pferde
Naturschutz
Butter
Skateboard
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Fröhliche Feier für Flora und Fauna
Soeben wurden wieder die Wesen des Jahres gewählt. Immer noch ist die
Auszeichnung die wichtigste Preisverleihung im Naturreich.
Die Wahrheit: Auf dem Fallschirmpferd
Deutschlands Reiter hegen hochgespannte Erwartungen: Es geht um den
kürzlich ins Leben gerufenen „Parlamentskreis Pferd“.
Die Wahrheit: Kerfen in höchster Not
Mit einem Winterhilfswerk will die Bundesregierung dem Insektensterben
entgegenwirken. Denn der Kerfenschwund reißt ein Loch in die Kassen.
Die Wahrheit: Die fetten Jahre sind vorbei
Die Butterberge vergangener Tage sind längst abgeschmolzen. In der
Butterrepublik Deutschland droht eine butterlose Zeit.
Die Wahrheit: Willy auf Rollen
Es wird Frühling – und schon sind die Skater mit ihren Brettern wieder
unterwegs. Um wie immer brutal auf die Fresse zu fliegen …
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.