# taz.de -- Debatte Antisemitismus: Wir doch nicht | |
> Es gibt einen neuen Antisemitismus in Europa. Statt sich damit | |
> auseinanderzusetzen, schiebt man in Deutschland die Schuld lieber den | |
> Muslimen zu. | |
Bild: Der Vergleich mit dem Dritten Reich ist die schäbigste aller Relativieru… | |
[1][Die antisemitischen Kundgebungen vom Wochenende] konnten niemand | |
überraschen. Gibt es militärische Auseinandersetzungen zwischen der | |
israelischen Armee und der Hamas, versammelt sich Tags darauf ein Mob in | |
deutschen Innenstädten und ruft seine Hassparolen: „Kindermörder Israel.“ | |
Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass es einen neuen Antisemitismus in | |
Europa gibt, der im Gewand des Antizionismus und der „Israelkritik“ | |
daherkommt, auf den sich sehr unterschiedliche Gruppen einigen können: | |
Neonazis, Verschwörungstheoretiker, linke Antiimperialisten, Islamisten, | |
bibelfeste Protestanten, Friedensbewegte, BDS-Aktivisten, Querfrontler und | |
rappende Hassprediger. Da ist es ein Fortschritt, dass die Bundesregierung | |
im September der Antisemitismusdefinition der Internationalen Allianz für | |
Holocaust-Gedenken zustimmte, [2][die auch pauschale Israelkritik als | |
Judenhass versteht]. | |
Statt die Lage nun aber nach Vorkommnissen wie am Brandenburger Tor, wo | |
Demonstranten eine Israelfahne verbrannten, nüchtern zu analysieren, | |
politische Strategien zu entwickeln und sich mit den Jüdinnen und Juden zu | |
solidarisieren, wird links, rechts und in der Mitte ein munteres Spielchen | |
gespielt. | |
Teile der Linken halten weiter an Palästina als letztem Strohhalm für ihr | |
krudes antiimperialistisches Weltbild fest. Der Palästinenser ist ihnen | |
Chiffre für den Unterdrückten schlechthin. Auf gefühlslinker Seite pflegt | |
man einen ins Rassistische tendierenden Paternalismus, der es aus | |
antirassistischen Gründen opportun erscheinen lässt, jede Diskussion über | |
Muslime mit illiberalen, homophoben, frauenfeindlichen und antisemitischen | |
Neigungen schnellstmöglich abzumoderieren. | |
Teile der extremen Rechten haben Israel und Juden aus taktischen Gründen | |
für sich entdeckt. Da gilt es auf einmal, die „jüdisch-christliche Kultur“ | |
gegen den Islam zu verteidigen, und antisemitisch motivierte Gewalt von | |
Muslimen lässt sich bestens für antimuslimische Propaganda ausschlachten. | |
Die Kombination funktioniert so gut, dass sie auch in die Rhetorik | |
flüchtlingsfeindlicher Milieus der Mitte Eingang gefunden hat. | |
## Die Mitte der Gesellschaft ruht in sich | |
Nach den antisemitischen Kundgebungen konnte man im Cicero lesen: „Ob es | |
ein deutscher Antisemitismus ist, ein Antisemitismus von deutschen | |
Staatsbürgern, bleibt ungewiss. Es ist ein muslimischer Antisemitismus auf | |
deutschem Boden.“ Praktisch, dieser Antisemitismus der anderen: Dann müssen | |
wir uns mit dem eigenen nicht beschäftigen. Da ruht die Mitte der | |
Gesellschaft ganz in sich, da lehnen sich die besseren Kreise relaxt | |
zurück. | |
Besonders tiefenentspannt: Jens Spahn von der CDU. „Der Davidstern brennt | |
250 m vom Bundestag entfernt. Wehret den Anfängen. Wir schauen importiertem | |
Antisemitismus aus falsch verstandener Toleranz schon viel zu lange | |
achselzuckend zu“, [3][twitterte er]. | |
Spahn hat ja recht: Es gibt importierten Antisemitismus, der unter anderem | |
über arabisches Satelliten-TV und Internet seinen Weg nach Deutschland | |
findet. Aber diejenigen, die ihn verinnerlicht haben, sind nur zum Teil | |
Geflüchtete, größtenteils sind sie hier geboren. Und richtig dumm an der | |
Sache ist, dass es diese Umfrage aus dem Jahr 2016 gibt. Damals | |
akzeptierten 40 Prozent der Befragten diese Aussage: „Bei der Politik, die | |
Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat.“ 24 | |
Prozent machten sich die schäbigste aller Relativierungen der | |
„Israelkritik“ zu eigen: „Was der Staat Israel heute mit den Palästinens… | |
macht, ist im Prinzip auch nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten | |
Reich mit den Juden gemacht haben.“ Wie viele von diesen 24 Prozent sind | |
Wähler der Christdemokraten? | |
Paul Ziemiak, Junge-Union-Bundesvorsitzender, meint: „Wer Israelfahnen | |
verbrennt, hat in Deutschland nichts verloren!“ Schön gesagt. Was hat er | |
wohl mit deutschen Antisemiten vor? Ausbürgern und mit dem nächsten | |
Nafri-Transport nach Afrika schicken? | |
17 Dec 2017 | |
## LINKS | |
[1] /Antisemitische-Demo-zu-Jerusalem-Streit/!5465120 | |
[2] /Neue-Definition-von-Antisemitismus/!5449345 | |
[3] https://twitter.com/jensspahn/status/939874125648138240 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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