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# taz.de -- Kolumne Gott und die Welt: Muslime, Juden und Israelkritiker
> Juden und Jüdinnen in der Diaspora sollen sich nicht zur aktuellen
> israelischen Politik äußern? Dieser Ratschlag des Historikers David Ranan
> ist problematisch.
Bild: Symbol des schwierigen Zusammenlebens von Juden und Muslimen in Israel: J…
Die brisante Frage, ob Antisemitismus unter Muslimen stärker verbreitet ist
als unter dem Rest der Bevölkerung, untersucht aktuell der Publizist und
Historiker David Ranan, der am Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung
wirkt. Sein soeben erschienenes Buch – so viel lässt sich prognostizieren –
wird nicht nur eines der wichtigen dieser Saison sein, sondern auch
innerhalb der jüdischen Gemeinschaft für heftige Diskussionen sorgen.
Unter dem Titel „Muslimischer Antisemitismus – eine Gefahr für den
gesellschaftlichen Frieden in Deutschland?“ greift Ranan eines der wohl
heißesten Eisen der gegenwärtigen Debatte auf. Tatsächlich werden
hierzulande jüdische Kinder auf Schulhöfen ihres Judentums wegen gemobbt.
Ernst zu nehmende Forscher sprechen von einem nicht nur unter Muslimen
verbreiteten „israelbezogenen“ Antisemitismus, also einer Form von
Judenfeindschaft, die sich „politisch korrekt“ nicht mehr gegen Juden,
sondern „nur“ noch gegen die Politik des jüdischen Staates richtet.
Ranans großes Verdienst ist es, dies methodisch gewitzt zu dekonstruieren,
entsprechende Schriften zu kritisieren und dabei in aufklärerischer Weise
auch fremdenfeindlichen und islamophoben Orientierungen entgegenzutreten.
Besonders beeindruckend aber sind die Passagen aus den über siebzig
Gesprächen, den qualitativen Interviews, die der Autor mit in Deutschland
lebenden, meist akademisch gebildeten jungen Muslimen (Frauen wie Männern)
geführt hat. Diesen Gesprächen entnimmt er, und das scheint zunächst
plausibel, dass es sich bei deren „israelbezogenem“ Antisemitismus um eine
missverständlich codierte Form des Protests gegen die israelische
Annektionspolitik seit 1948 handelt.
## Antisemitismusvorwurf zu einfach
Indes: Hier begibt sich Ranan auch aufs Glatteis, so er meint, dass
Kritiken wie die, dass ein israelisch-amerikanischer Unternehmer Hillary
Clintons größter Spender war, zu oft und zu „einfach mit dem
Antisemitismusvorwurf“ belegt würden. Noch problematischer wird seine
Deutung, so er behauptet, dass die Rede vom muslimischen Antisemitismus
„hysterisch“ sei und – mehr noch – Juden und jüdischen Institutionen g…
empfiehlt, sich erst gar nicht zu israelischer Politik zu äußern.
Sogar wenn dem Autor zuzustimmen ist, dass jüdische Diasporagemeinden nicht
die Aufgabe israelischer Botschaften wahrnehmen sollten, so kann es doch
nicht sein, dass jeder, der will – von Trump über Heiko Maas bis zu
Emmanuel Macron –, sich unterstützend zu Israel und seiner Politik äußern
darf – nur nicht die in der Diaspora lebenden Juden. Dem zu entsprechen
bedeutete nichts anderes, als aus Angst vor dem politischen Tod politischen
Selbstmord zu begehen.
Nein, wir selbstbewussten Jüdinnen und Juden der Diaspora lassen uns weder
von Vertretern der völkerrechtswidrigen israelischen Annexionspolitik den
Mund noch gar die Sorge darüber verbieten, dass die Politik der iranischen
Regierung und ihrer Hilfstruppen zur Zerstörung Israels und seiner
multikulturellen Bevölkerung führen könnte: ein geplanter nuklearer
Genozid, dem keineswegs nur Jüdinnen und Juden zum Opfer fallen würden.
Wie hieß es schon in Adornos „Minima Moralia“? „Die fast unlösbare Aufg…
besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen
Ohnmacht sich dumm machen zu lassen“ oder – so ließe sich das für uns
Diasporajuden zeitgemäß ergänzen: „den Mund verbieten zu lassen“.
4 Apr 2018
## AUTOREN
Micha Brumlik
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Antisemitismus
Judentum
Fremdenfeindlichkeit
Islamophobie
Muslime in Deutschland
Schwerpunkt Rassismus
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Antisemitismus
Jeremy Corbyn
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