# taz.de -- Miss Irak, Miss Israel und die Vertreibung: Wir bleiben Schwestern | |
> Zwei Frauen machen ein Selfie, worauf die eine mit dem Tod bedroht wird. | |
> Dahinter verbirgt sich die Geschichte der Vertreibung der arabischen | |
> Juden. | |
Bild: Miss Israel (links) und Miss Irak machten ein gemeinsames Selfie, das hat… | |
Es ist ein nettes Foto. Zwei junge Frauen, durch ihre Schärpen als | |
Schönheitsköniginnen zu erkennen, ein Selfie. Die Frauen heißen Sarah Idan | |
und Adar Gandelsman. Die eine der beiden trägt den Titel der Miss Universe | |
Irak, die andere darf sich Miss Universe Israel nennen, und eben das macht | |
das Bild zu einem Politikum für alle, die Israel für ein „zionistisches | |
Gebilde“ und koloniales Projekt halten. | |
Das Bild entstand in Las Vegas, wenige Tage vor dem Wettbewerb um den Titel | |
der Miss Universe. Irak und Israel unterhalten keine formalen | |
diplomatischen Beziehungen, was Sarah Idan nicht wusste. Die Frauen hatten | |
sich befreundet, Idan schlug vor: „Lass uns ein Foto machen, damit unsere | |
Völker sehen können, dass wir kein Problem miteinander haben und dass wir | |
Botschafterinnen des Friedens sind.“ Sie postete das Bild auf ihrem | |
Instagram-Account und schrieb drunter: „[1][Peace and Love from Miss Iraq | |
and Miss Israel.]“ | |
Man kann ihr gemeinsames Foto als gute Nachricht im Jahr 2017 lesen, das | |
auch ein Jahr des Antisemitismus war: Da gab es hetzerische Kundgebungen | |
wegen Trumps Jerusalem-Entscheidung und betrunkene Deutsche, die Reden wie | |
Goebbels halten und sich dabei filmen lassen. Einen absurden „Faktencheck“ | |
zu einer Doku über Antisemitismus im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und | |
Angriffe gegen Karl Lagerfeld bei RTL, weil dieser ein Handlanger des | |
jüdischen Unternehmens Chanel sei. Einen BDS-Boykottaufruf gegen das | |
Festival [2][Pop-Kultur] in Berlin und das Urteil eines deutschen Gerichts, | |
es sei korrekt, wenn Kuwait Airways keine Israelis transportiert. | |
## Öffentliche Feinde | |
Im Lutherjahr konnte man außerdem lernen, dass der Reformator seine | |
Judenfeindschaft als Vermächtnis hinterlassen wollte: „In seiner letzten | |
Predigt, so er zu Eisleben vor seinem Absterben gethan, beschließt er mit | |
einer ernstlichen Vermahnung, da die Juden sich nicht zu unserem Messias | |
bekehren, dass sie die Obrigkeit in ihren Landen nicht dulden solle als | |
öffentliche Feinde und Lästerer unsers Herren und gemeine Landschäden und | |
Flüche, darum Städte und Flecken und alle Juden würden endlich zu Grund und | |
Boden gehen müssen“, schrieb Zeitgenosse Mathesius. | |
Dass auch in der arabischen Welt die Ansicht verbreitet ist, die Juden | |
seien öffentliche Feinde, konnte man nun einmal mehr an den Beleidigungen | |
und Todesdrohungen ablesen, die Sarah Idan wegen ihres Foto erdulden | |
musste. Die Miss-Irak-Organisation rief an und drohte laut Idans Aussagen, | |
sie werde ihr den Titel entziehen, sollte sie das Foto nicht sofort | |
löschen. Man bekomme Druck von der Regierung. | |
## Das Pogrom von Bagdad | |
Doch Sarah Idan bekam auch über 10.000 Likes für ihr Instagram-Selfie. Ein | |
Nutzer namens Marhoun90 schrieb: „Der Rest des Iraks steht wohl auf dem | |
Standpunkt: ‚Wenn du keinen Hass im Herzen hast, gehörst du nicht hierher.‘ | |
Vielleicht haben die Iraker ihren von den Nazis inspirierten Pogrom von | |
1941 vergessen, bei dem viele irakische Juden getötet wurden.“ Dass es sich | |
wohl nicht um Vergesslichkeit handelt, zeigte sich im Oktober, als das | |
irakische Parlament beschlossen hat, das Zeigen „zionistischer Symbole in | |
jeder Form“ zu bestrafen, nachdem irakische Kurden bei Kundgebungen die | |
israelische Fahne gezeigt hatten. | |
Aber Marhoun90 machte deutlich, dass die Drohungen gegen Idan nur die | |
jüngsten Echos einer langen Geschichte sind, die sich anders abgespielt | |
hat, als „Israelkritiker“ und BDS-Propagandisten sie gern darstellen. Das | |
Pogrom in Bagdad von 1941 ist als „Farhud“ in die Geschichtsbücher | |
eingegangen. Mehr als 150 Juden, darunter Kleinkinder, wurden ermordet. | |
Das Foto der beiden Frauen verweist demnach auch auf eine Geschichte, der | |
in der ideologisch eingetrübten Betrachtung des Nahostkonflikts nur selten | |
Rechnung getragen wird: Das ist die Geschichte der Vertreibung der | |
arabischen Juden aus ihren Heimatländern. | |
## Die Gesetze Kuwaits | |
Vor Kurzem gab ein Gericht in Frankfurt Kuwait Airways recht. Die Fluglinie | |
hatte ihre Weigerung, einen israelischen Passagier zu transportieren, mit | |
kuwaitischen Gesetzen begründet. Der Richter meinte also, an antisemitische | |
Gesetze anderer Länder müsse man sich auch in Deutschland halten. | |
Die Geschäftspolitik der Kuwaiter ist im Einklang mit dem Boykott Israels | |
durch Mitgliedsländer der Arabischen Liga, der 1948 ausgerufen wurde. In 16 | |
Ländern ist Israelis die Einreise untersagt, in acht Ländern wird auch | |
Bürgern anderer Staaten die Einreise verweigert, wenn sie israelische | |
Stempel im Pass haben. In vielen dieser Länder sind Geschäftsbeziehungen zu | |
Israel per Gesetz verboten. | |
Auch zu dieser Politik hatte Nutzer Marhoun90 etwas zu sagen: „70 Prozent | |
der israelischen Bevölkerung sind Juden aus dem Nahen Osten, die von den | |
Führern der arabischen Staaten vertrieben wurden.“ | |
## Historische Abbitte leisten | |
Nach dem 15. Mai 1948 wurden die Juden Iraks von Staats wegen systematisch | |
unterdrückt, enteignet, wegen Zionismus angeklagt und gefoltert. Als das | |
Militärregime ihnen 1950 erlaubte, auszureisen, dauerte es nur zwei Jahre, | |
bis geschätzte 90 Prozent der jüdischen Bevölkerung das Land verlassen | |
hatten. Ähnliches spielte sich in vielen arabischen Staaten ab. Vor der | |
Ausrufung des Staats Israel lebten mindestens 780.000 Juden in arabischen | |
Ländern. Heute sind es noch einige tausend. | |
Die Vertreibung der arabischen Juden aus ihren Heimatländern, in denen sie | |
über Hunderte von Jahren gelebt hatten, ist eine Geschichte, die nicht zur | |
Propagandaerzählung vom kolonialen Projekt Israel passt, weswegen sie gern | |
unterschlagen wird. | |
Doch auch in der arabischen Welt sind immer wieder Stimmen zu hören, die an | |
diese Geschichte erinnern. Der ägyptische Journalist Nabil Sharaf Eldin | |
etwa schrieb 2008: „Wir schulden es unseren ägyptischen jüdischen Brüdern, | |
eine historische Abbitte zu leisten für die Ungerechtigkeit, die wir ihnen | |
haben widerfahren lassen, indem wir das Verschwinden einer Gemeinschaft | |
verursacht haben, deren Wurzeln in Ägypten bis in die Zeit von Moses | |
zurückreichen.“ | |
## Boykotteure ohne Geschichtsbewusstein | |
Soviel Geschichtskenntnis hätte man auch den Künstlerinnen gewünscht, die | |
im Sommer dem BDS-Aufruf zum Boykott des Berliner Pop-Kultur Festivals | |
folgten. Unter ihnen war Emel Mathlouthi, die „Stimme der | |
Jasmin-Revolution“ in Tunesien. Mathlouthi ist eine tapfere feministische | |
Kämpferin für Frauenrechte und Demokratie in der arabischen Welt, hat aber | |
auch einen kitschigen Palästina-Song im Repertoire, den vor allem ihr | |
türkisches Publikum sehr gerne hört. | |
Mathlouthi war ironischerweise nicht die einzige Feministin, die ihre | |
Teilnahme an Pop-Kultur absagte, weil dort eine jüdische Popsängerin aus | |
Israel namens Riff Cohen auftrat. Die israelische Botschaft hatte Cohens | |
Flug nach Berlin mit 500 Euro unterstützt. Riff Cohens Familie stammt | |
mütterlicherseits aus Algerien. Ihr Vater ist der Spross einer jüdischen | |
Familie aus Tunesien, dem Land, aus dem auch Emel Mathlouthi stammt. | |
## Stereotype von gestern | |
Es mag sein, dass Miss Irak all diese Geschichten nicht kennt, aber wie | |
viele andere junge Araber ein Gespür dafür entwickelt hat, dass es an der | |
Zeit ist, die antisemitischen Stereotype hinter sich zu lassen, die man | |
jahrzehntelang an den Schulen des Irak, in Syrien und anderswo gelehrt hat. | |
Die Familie von Miss Irak hat das Land wegen der Todesdrohungen inzwischen | |
verlassen. Die Selfies mit Miss Israel stehen immer noch auf Sarah Idans | |
Seite. Ihre Haltung ist klar: „Negative Reaktionen werden uns nicht | |
umstimmen. Wir bleiben Schwestern. #adargandelsman.“ | |
5 Jan 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.instagram.com/p/Bbc-3FlH4LJ/?hl=de&taken-by=sarahidan | |
[2] /!5434798/ | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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