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# taz.de -- Neue Hörbücher von Elfriede Jelinek u.a.: Blenden, entwerfen und …
> Hörstoffe: Jelineks „Am Königsweg“ und die Rückkehr des gespenstischen
> Alten, Tocquevilles Reise nach Amerika und Sargnagels „Statusmeldungen“.
Bild: Mr. Trump auf den Zahn fühlen: Elfriede Jelinek
„Das Spektakel will es zu nichts bringen als zu sich selbst.“ Dieser Satz
von Guy Debord ist 50 Jahre alt, wirkt aber, als sei er gerade erst in
Bezug auf Donald Trump formuliert worden. Elfriede Jelinek begann „Am
Königsweg“ an dem Tag zu schreiben, als Trump zum 45. Präsidenten der USA
gewählt wurde. Das Stück, das zuerst als Hörspiel herauskam und letzten
Monat im Schauspielhaus Hamburg uraufgeführt wurde, ist in drei Teile
gegliedert. Im ersten Teil predigt die Nobelpreisträgerin kaum gefiltert zu
den Bekehrten.
Hörspiel-Regisseur Karl Bruckmaier fügt ihren Bewusstseinsstrom zu einer
unterhaltsamen Hörcollage, deren Dringlichkeit von den allgegenwärtigen
Percussions des Free-Jazz-Schlagzeugers Sven-Åke Johansson betont wird.
Bruckmaier nennt es ein „Kasperltheater, spezialisiert auf blutrünstige
Horrorstoffe“. Eine Stimme klingt nach Kermit, dem Frosch, Miss Piggy ist
als blinde Seherin zu hören, Jelinek kommt die Rolle des doppelten
Lottchens zu, oder wie sie es selbst nennt, der Blenderin.
Auch Trump, der „König“, balsabert debil im Pluralis Majestatis. Jelinek
schleudert ihre aphorismusartigen Erkenntnisse in Twittermanier heraus:
„Die Welt muss angeschaut werden, damit man eine Weltanschauung bekommen
kann.“ Bevor es der Wortklauberei zu viel wird, mischt sie sich selbst ein,
verweist auf die Wirkmacht von Sprache: „Wann werde ich mit dem Blödsinn
der Wörter aufhören?“
Der zweite Teil ist besonnener, der New Yorker Avantgarde-Gitarrist
Elliott Sharp zieht die Hörer*innen mittels Blues in die Eingeweide des
erschütterten amerikanischen Körpers. Im dritten Teil flankiert Bruckmaier
Jelineks Ausführungen über die Auswirkungen von Populismus sarkastisch mit
dem Chor „Long live the King“ von Georg Friedrich Händel.
## Lernen von Amerika
Der französische Adlige Alexis de Tocqueville reiste 1831 im Auftrag
seiner Regierung in die Vereinigten Staaten, um die Demokratie zu studieren
und speziell das US-Gefängnismodell auf seine Nachahmungswürdigkeit hin zu
überprüfen. Dementsprechend steht in seinen Überlegungen „Über die
Demokratie in Amerika“ nicht die exakte Abbildung der US-amerikanischen
Gesellschaft im Vordergrund als vielmehr der weiterspannende Entwurf für
die Umwandlung der französischen Staatsverfassung.
Auch wenn das von Tocqueville gezeichnete Gesellschaftsbild von der neueren
Sozialgeschichtsschreibung in vielen Punkten widerlegt wurde – die USA
waren zu keinem Zeitpunkt ein homogenes Land, weder ethnisch, religiös,
noch ökonomisch –, prägten seine Schriften das Bild der USA und haben seine
Betrachtungen über das Wesen der Demokratie bis heute Bestand.
Tocqueville bescheinigt den Amerikanern eine „unersättliche Leidenschaft“
für die Gleichheit, die allerdings die „Macht der öffentlichen Meinung“ u…
den Verlust der Individualität generiere, die schlussendlich in eine
Tyrannei der Mehrheit münde, eine der Hauptgefahren für die Demokratie.
Christian Brückner schlüpft für seine Lesung des gekürzten Textes in die
Rolle Tocquevilles, interpretiert ihn überaus engagiert. Stellenweise
allerdings, als sei der Franzose noch im Denkprozess verhaftet, was die
Aufmerksamkeit vom Gehalt des Textes unnötig ablenkt.
## Kalt erwischt
Das Vergehen von Zeit und die Wahrnehmung von Vergänglichkeit sind Themen
von Stefanie Sargnagels „Statusmeldungen“. Die Wiener Autorin verbindet in
ihren am 10. Juli 2015 beginnenden Internetposts sehr Persönliches mit dem
Lauf der gesellschaftlichen Dinge – und setzt sich damit einmal mehr als
kluge Kommentatorin des Zeitgeschehens in das ungemütliche Nest der
Wahrheit.
Geradezu altersmilde befasst sie sich mit ihrem 30. Geburtstag, wundert
sich fast, dass dieser Einschnitt für die Empfindungen folgenlos bleibt.
Ihren Job im Call-Center dokumentiert Sargnagel mit herzlich gemeiner
Leidenschaft, aber in Intervallen taucht auch die Angst auf, ob die
Kündigung des Brotjobs richtig war. Die Veränderungen, die ihr
schriftstellerischer Erfolg in ihr Leben bringt, kommentiert sie ohne
verklemmtes Taktgefühl, erzählt in wärmendem Wiener-Schmäh-Hochdeutsch, wie
der Buchvorschuss ihr Konto saniert und sie sich jetzt teurere Lebensmittel
leistet. Aber: „Mein Organismus wehrt sich gegen ein gutes Leben.“
Erlebnisse aus der Kindheit in der prolligen Vorstadt, differenziertes
Nazi-Bashing und herzlich ätzende Überlegungen zu Bio-Deutschen sind sehr
unterhaltsam, aber die vermeintlich launigen Abhandlungen über das
Abschwören vom Alkohol und Depressionen erwischen einen kalt.
Sie berichtet, wie sie Flüchtlinge über die Grenze schmuggelt, und stellt
fest, dass die Flüchtlingshilfe zur Routine verkommt. Damit lässt sie ganz
nebenbei die Frage mitschwingen, wer da eigentlich wem hilft – und hält der
Feelgood-Seite der Willkommenskultur einen Spiegel vor. Eine optische
Fortführung ihrer ironisch-hintersinnigen Texte sind ihre schnurpsigen
Comics, von denen vier das Booklet der CD schmücken – das Kunststudium bei
Daniel Richter hat sie dennoch zugunsten ihrer Schreibkarriere an den Nagel
gehängt. Im letzten Post vom 13. 2. 2017 – noch vor dem absurden
„Babykatzengate“, das sie nicht kommentiert – verirrt sich Sargnagel im
Wald und der Text bricht mitten im Wort ab. Hoffentlich nur ein
Cliffhanger.
1 Dec 2017
## AUTOREN
Sylvia Prahl
## TAGS
Elfriede Jelinek
Stefanie Sargnagel
Theater Osnabrück
LeFloid
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Hörbuch
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