# taz.de -- Forscherin über Arbeitzeitregelungen: „Wir haben genug Flexibili… | |
> Wirtschaftsweise und die FDP fordern mehr Spielraum für Betriebe bei den | |
> Arbeitszeiten. Arbeitsmarktforscherin Lott will, das Beschäftigte auch | |
> mal kürzer treten dürfen. | |
Bild: Überstunden gehören zum Alltag vieler Arbeitnehmer | |
taz: Frau Lott, der Sachverständigenrat für Wirtschaft empfiehlt flexiblere | |
Arbeitszeiten, die FDP will das auch. Der Acht-Stunden-Tag sei veraltet, | |
heißt es. Sehen Sie das auch so? | |
Yvonne Lott: Nein, wir brauchen definitiv keine weitere Flexibilisierung. | |
Das Arbeitszeitgesetz erlaubt bereits jetzt ausreichend Spielräume für | |
Arbeitgeber. Die Arbeitszeit kann von acht auf zehn Stunden erweitert | |
werden, wenn es dafür einen Ausgleich gibt. Auch die Ruhezeiten können in | |
manchen Arbeitsbereichen wie der Pflege gekürzt werden. Das ist alles schon | |
geregelt. Außerdem gibt es eine ganze Reihe Branchentarifverträge. Wir | |
haben also schon genug Flexibilität. | |
Sind es nicht ebendiese Branchenverträge, die bereits jetzt die | |
gesetzlichen Regelungen zur Arbeitszeit aushebeln? | |
Auch in den Tarifverträgen sind Ruhezeiten und der Ausgleich für | |
Überstunden und für die Kürzung von Ruhezeiten klar geregelt. In manchen | |
Branchen, wie zum Beispiel im Gesundheitswesen, ist die Arbeitsbelastung | |
aber sehr hoch, was zu Stress und Burn-out führt. Dies liegt vor allem an | |
den massiven Personaleinsparungen in den letzten Jahren, die das Abbauen | |
von Überstunden verhindern und die Arbeitsbelastung weiter erhöhen. | |
In der Praxis werden die „klaren Regeln“ also regelmäßig verletzt. Wie ka… | |
das verhindert werden? | |
Das ist eine gute Frage. Die Lücke zwischen dem, was gesetzlich | |
beziehungsweise tarifvertraglich geregelt ist, und dem, wie in der Praxis | |
tatsächlich gearbeitet wird, ist oft sehr groß. Da steht der Arbeits- und | |
Gesundheitsschutz vor großen Herausforderungen – vor allem in Hinblick auf | |
die Digitalisierung und mobile Arbeit. Die Forschung zeigt aber, dass da, | |
wo Betriebsräte sind, weniger Überstunden gearbeitet werden. Die Stärkung | |
der betrieblichen Mitbestimmung ist also wichtig. | |
Der Arbeitgeberverband wendet ein, dass die aktuellen Regelungen für | |
international operierende Unternehmen zu unflexibel seien. Wenn Teams über | |
mehrere Zeitzonen hinweg zusammenarbeiten, seien zu starre gesetzliche | |
Vorschriften ein Wettbewerbsnachteil. | |
Im Arbeitszeitgesetz ist nicht definiert, zu welchen Uhrzeiten Arbeitnehmer | |
anfangen und aufhören müssen. Nachtarbeit beginnt um 23 Uhr und endet um 5 | |
Uhr. Es sollte möglich sein, Konferenzen über verschiedene Zeitzonen hinweg | |
zu organisieren und dabei darauf zu achten, nicht in der Nacht zu arbeiten | |
und die vorgeschriebenen Ruhepausen einzuhalten. Das ist auch für die | |
Beschäftigten gesünder, denn kurze oder unterbrochene Erholungsphasen und | |
Arbeiten in der Nacht sind gesundheitlich sehr belastend. | |
In Schweden wird derzeit recht erfolgreich mit dem Sechs-Stunden-Tag | |
[1][experimentiert]. Wäre das nicht auch ein Modell für Deutschland? | |
Das Thema Arbeitszeitverkürzung wird ja hierzulande auch diskutiert. Ich | |
finde den jüngsten Vorschlag der IG Metall sinnvoll. Jeder Beschäftigte | |
soll demnach das Anrecht bekommen, seine Arbeitszeit für bis zu zwei Jahre | |
auf bis zu 28 Stunden zu verkürzen und danach in die Vollzeit | |
zurückzukehren. Auch das Konzept der Wahlarbeitszeiten, bei dem die | |
Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit verkürzen oder die Erwerbsarbeit unterbrechen | |
können, ist begrüßenswert. Arbeitszeiten sollten sich an Lebensphasen | |
orientieren. Eine generelle Verkürzung wäre insofern wünschenswert, als | |
dass Arbeitnehmer dann nicht mehr ständig am Limit arbeiten würden. | |
Wenn Mitarbeiter weniger arbeiten, erhöht das die Personalkosten der | |
Unternehmen. Was haben die Betriebe von einer Arbeitszeitverkürzung? | |
Arbeitgeber wollen gute Mitarbeiter gewinnen und im Unternehmen halten. Das | |
gelingt nur, wenn sie auch auf deren Bedürfnisse eingehen – und zum | |
Beispiel für ausreichend Personal sorgen. Es gibt einen Anstieg von | |
psychischen Erkrankungen und Arbeitsausfällen durch hohe Arbeitsbelastung. | |
Es liegt also auch im Interesse der Unternehmen, die Arbeit so zu | |
organisieren, dass Mitarbeiter nicht überfordert werden. Nur so bringen | |
Beschäftigte gute Leistung und sind motiviert, was wiederum gut fürs | |
Unternehmen ist. | |
17 Nov 2017 | |
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[1] /Arbeitszeit-in-Schweden/!5459426 | |
## AUTOREN | |
Jörg Wimalasena | |
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