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# taz.de -- Arbeitszeit in Schweden: Sechs Stunden am Tag sind genug
> Schweden verkürzt im Gesundheits- und Sozialsektor den Arbeitstag bei
> gleichem Lohn. Qualität und Produktivität steigen, der Krankenstand
> sinkt.
Bild: Die Arbeitsbedingungen in Schweden könnten für alle besser werden
Die deutschen „Wirtschaftsweisen“ halten ihn für „veraltet“, bei den
Sondierungsgesprächen für „Jamaika“ wird er debattiert: der traditionelle
Arbeitstag, acht Stunden lang. Für alle könnte ein Blick nach Schweden
nicht schaden. Hier gilt der Achtstundentag schon länger nicht mehr als der
Weisheit letzter Schluss. Man hält auch nichts von einer
„Flexibilisierung“, die die tägliche Arbeitszeit faktisch nur ausweiten
würde. Allerdings haben die Skandinavier gute Erfahrungen mit dem
Sechsstundentag bei gleichem Lohn gemacht.
„Der war für uns zunächst gar kein Thema“, erinnert sich Anders Hyltander,
Abteilungsleiter am Sahlgrenska-Uni-Krankenhaus in Göteborg: „Wir waren ja
davon ausgegangen, dass ein Achtstundentag optimal ist. Aber dann mussten
wir etwas Neues ausprobieren.“
Der Grund: 2014 musste ein Operationssaal der Orthopädie im Sahlgrenska
geschlossen werden, weil kein Personal zu finden war. Krankenstand und
Fluktuation waren hoch, neues Personal trotz zusätzlicher Lohnanreize
schwer zu rekrutieren.
Allerdings gab es da dieses Toyota-Autohaus gleich um die Ecke, das für
seine Angestellten schon vor Jahren die Arbeitszeit gekürzt und dann
gemerkt hatte, dass in sechs Stunden genauso viel gearbeitet wurde wie
vorher in acht Stunden – und eher sogar mehr.
## Vorteile für alle
Ein zunächst auf ein Jahr angelegter Versuch mit dem Sechsstundentag wurde
zwischenzeitlich mehrfach verlängert – und wird nun vermutlich
Dauerzustand. Mit einem Sechstel mehr an Personal – das wurde plötzlich
gefunden – konnte die Produktivität sogar erhöht werden: Die Orthopäden
schaffen jetzt ein Fünftel mehr an Operationen. Die Wartezeiten für
PatientInnen sind gesunken, und die Wirtschaftlichkeit der Klinik hat sich
verbessert. „Es ist herrlich“, erzählt Operationsschwester Gabriele Tikman
in Vårdförbundet, der Zeitschrift der Pflegegewerkschaft: Ihr Arbeitstag
sei jetzt um 13 Uhr zu Ende. Was bedeute, „den ganzen Nachmittag freihaben,
Zeit für den Garten, ohne Stress einkaufen, zu Hause sein, wenn die Tochter
von der Schule kommt“.
Derzeit laufen überall in Schweden – vorwiegend in Krankenhäusern und im
Sozialsektor – Versuche mit dem Sechsstundentag. So bis Ende vergangenen
Jahres für 70 Beschäftigte eines kommunalen Altenheims in Göteborg. Der
Krankenstand sank dort um ein Fünftel, während er in vergleichbaren
Einrichtungen im gleichen Zeitraum um 10 Prozent anstieg. Die Angestellten
beschrieben sich als zufriedener, ausgeruhter, weniger gestresst. Die
AltenheimbewohnerInnen teilten diese Einschätzung: Sie fühlten sich besser
versorgt, das Personal habe nun mehr Zeit für Aktivitäten im Freien – oder
für ein Schwätzchen.
Der Versuch wurde abgebrochen, weil sich in der rot-grünen
Kommunalkoalition die Sozialdemokraten durchsetzten. Ihnen waren die
Zusatzkosten, etwa 80.000 Euro im Jahr, zu hoch. Dieses Geld sei aber nur
ein Teil der Rechnung, kritisierten Experten. Eine Stressstudie der
Universität Stockholm, die Erfahrungen von 600 Angestellten an 33
Arbeitsplätzen mit einem Sechsstundentag bei gleichem Lohn [1][auswertete],
bestätigt dies: Zwar verursache die Reform zunächst höhere Kosten, könne
langfristig aber Gewinn abwerfen. Einem aufgrund reduzierter Arbeitszeit
nicht so gestresstem Personal unterliefen weniger Fehler, es verursache
weniger Schäden. Schwedens Linkspartei fordert nun Sechsstunden-Tests in
allen Kommunen, um mehr Erfahrungen sammeln zu können.
13 Nov 2017
## LINKS
[1] http://www.sjweh.fi/show_abstract.php?abstract_id=3610
## AUTOREN
Reinhard Wolff
## TAGS
Schweden
Arbeitszeit
Arbeitsbedingungen
Schwerpunkt Coronavirus
Lesestück Meinung und Analyse
Arbeitszeit
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