| # taz.de -- Protest gegen Arbeitsbedingungen an Unis: Prekäres Kanonenfutter | |
| > Der Störung der Hochschulrektorenkonferenz in Potsdam zeigt: Die | |
| > Uni-Mittelbaubeschäftigten beginnen sich endlich gegen ihre unsichere | |
| > Lage aufzulehnen. | |
| Bild: Protest des Mittelbaus in Potsdam am Dienstag: „Die Stimme der Hochschu… | |
| BERLIN taz | Gegenwärtig regt sich Widerstand gegen die Arbeitsbedingungen | |
| an deutschen Hochschulen. Gruppen wie „Mittelbauinitiative Leipzig“, das | |
| „Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft“ (NGAWiss), die Gewerkschaft | |
| Bund demokratischer Wissenschaftler*innen (BdWi), aber auch studentische | |
| Initiativen wie „Holm bleibt“ prangern die prekären Arbeitsbedingungen und | |
| Ausbeutungsverhältnisse im Mittelbau der Uni an. | |
| So [1][stürmten am Dienstag Mittelbau-Aktivist*innen die bundesweite | |
| Hochschulrektorenkonferenz] in Potsdam. Sie protestieren besonders gegen | |
| das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Das Wortungetüm hat es in sich: Dieses | |
| Gesetz schreibt fest, wie lange wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und | |
| Doktorand*innen befristet an der Uni beschäftigt werden dürfen. In der | |
| Regel dürfen Wissenschaftliche bis zu je 6 Jahren vor und nach der | |
| Promotion befristet werden, sodenn diese Zeit zur akademischen | |
| Weiterqualifizierung genutzt wird. | |
| Ursprünglich war das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zum Schutz vor lang | |
| anhaltender befristeter Anstellung gedacht, die Auswirkung ist eine | |
| gegenteilige: Nach Beendigung befristeter Arbeitsverhältnisse gibt es keine | |
| Garantie auch weiter beschäftigt zu werden. | |
| ## „Wir sind die 93 Prozent!“ | |
| „93 Prozent der im Mittelbau vergebenen Arbeitsverträge sind befristet“, | |
| sagt NGAWiss-Aktivist Fabian Frenzel. „Das Sonderbefristungsrecht der | |
| Hochschulen, das im Wissenschaftszeitvertragsgesetz geregelt ist, wird | |
| missbraucht und muss abgeschafft werden. Es ist ein Unding, dass | |
| vollständig ausgebildete Wissenschaftler*innen befristet beschäftigt | |
| werden, wenn sie Daueraufgaben wahrnehmen.“ | |
| Im Grunde werden alle Wissenschaftler*innen unterhalb der Professur als | |
| „Nachwuchswissenschaftler*innen“ tituliert. Das einzig angestrebte, | |
| wirklich entfristete und sichere Ziel ist die Professur. Bis dahin ist es | |
| ein langer Weg: über Bachelor-Master-Promotion-Habilitation-Berufung. | |
| Außerdem gibt es vergleichweise wenig Professuren, auf eine Professur | |
| kommen in etwa 100 Bewerber*innen – ohne die, die vorher schon aufgegeben | |
| haben. Mit einigen wenigen Professor*innen lässt sich aber kein Unibetrieb | |
| und erst recht nicht die Lehre aufrechterhalten. | |
| ## Alles Nachwuchswissenschaftler? | |
| So kommt es, dass 400.000 befristete Mitarbeiter*innen einen Großteil des | |
| Betriebs schmeißen, darunter 145.000 Lehrbeauftragte, die nur | |
| Semesterverträge erhalten – und anstatt eines Lohns nur eine Art | |
| Aufwandsentschädigung. Das „Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft“ | |
| tritt dementsprechend mit dem Slogan an: „Wir sind die 93 Prozent | |
| befristeter Mittelbau!“ | |
| „Eine angemessene Entlohnung der Arbeit fehlt, aber auch die Anerkennung | |
| sieht dürftig aus. Wissenschaftler*innen unterhalb einer Professur werden | |
| nicht ernst genommen und können nicht über die Verwendung von | |
| Forschungsgeldern mitbestimmen.“, sagt Sonja Staack, Gewerkschafterin beim | |
| BdWi. Darüber hinaus ist es schwierig, seriöse Publikationsmöglichkeiten zu | |
| finden. | |
| Für die Nachwuchswissenschaftler*innen ist deshalb die in §5 des | |
| Grundgesetzes garantierte „Freiheit der Forschung und Lehre“ nur für | |
| ordentliche Professor*innen gegeben: „Freiheit der Forschung und Lehre | |
| setzt eine gewisse ökonomische Sicherheit voraus, die Planbarkeit | |
| ermöglicht.“, sagt eine Aktivistin in Potsdam. Der positivistische Fetisch, | |
| möglichst brauchbaren „Output“ hervorzubringen, setze vor allem junge | |
| Wissenschaftler*innen zusätzlich unter Druck. Die Möglichkeit, frei eine | |
| Forschungsfrage zu formulieren, immer mit der Möglichkeit des Scheiterns im | |
| Rücken, sei auch aus ökonomischen Gründen stark eingeschränkt. | |
| ## Belastung, Angst, fehlende Anerkennung | |
| Die Kritik vieler Wissenschaftlicher Mitarbeiter*innen: Der | |
| Wissenschaftsbetrieb sei zum Wettbewerb geworden, der aussiebt, selektiert, | |
| Nutzen maximiert und in der Produktionweise kapitalistisch organisiert ist. | |
| Die Arbeit der befristet angestellten Wissenschaftler*innen, | |
| Doktorand*innen und Hilfskräfte wird sich durch den Wissenschaftsbetrieb | |
| und durch die Professor*innen angeeignet. Vom Mehrwert, vom Ertrag, von der | |
| Anerkennung und von der Wissenschaftsfreiheit kommt bei den 93 Prozent | |
| wenig bis nichts an. | |
| 93 Prozent, könnte man sagen, das ist ja die Mehrheit, warum können sie | |
| ihre Forderungen nach mehr Lohn und besseren Arbeitsverhältnissen nicht | |
| durchsetzen? Zum einen haben die Mittelbaubeauftragten an Unis wenig | |
| Einflussmöglichkeit und der Mittelbau somit keine Lobby. Zum anderen steht | |
| die neoliberal motivierte Nutzen- und Ertragsmaximierung, die Bund und | |
| Länder an den Hochschulen fordern und fördern, bei den Unis mehr und mehr | |
| im Zentrum. | |
| „Die unsicheren Arbeitsverhältnisse, in denen Jahresverträge zum Standard | |
| geworden sind, stellen eine enorme Belastung für die Beschäftigten dar.“, | |
| sagt auch Nicole Gohlke, wissenschaftspolitische Sprecherin der | |
| Linksfraktion im Bundestag. Was noch an Widerstandswillen übrig ist, wird | |
| von der Angst erstickt, in Ungnade zu fallen; was sich in einem System, in | |
| dem man Jahrzehnte, manchmal auch ein Leben lang von der Gunst einer | |
| Professor*in abhängig ist, fatal auswirken kann. | |
| ## Schluss mit der „Wettbewerbsideologie“ | |
| Auch die kurzzeitige Besetzung der Hochschulrektorenkonferenz ist ein | |
| Zeichen des sich regenden Widerstands gegen die Rationalisierung der | |
| deutschen Hochschulen und die Ausbeutung der 93 Prozent. Gegenwärtig sind | |
| sie noch bereit zur Kooperation, erwarten Handlungsbereitschaft von den | |
| Hochschulrektoren, wie sie in ihrer Ansprache formulieren. | |
| „Unser Aufruf an Sie lautet daher: Machen Sie uns nicht länger zum | |
| Kanonenfutter einer Wettbewerbsideologie, die mehr Karriereleichen | |
| produziert als Karrieristen.“ Fragt sich, wie lange der Mittelbau noch | |
| bereit ist, die Ausbeutungsverhältnisse und Degradierungen so höflich | |
| hinzunehmen. | |
| NaN NaN | |
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| ## AUTOREN | |
| Daphne Weber | |
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