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# taz.de -- Niemand fühlt sich zuständig: Denkmal wurde ein Haufen Schutt
> Gedenkplatte erinnerte an Klaus-Jürgen Rattay, einem Berliner
> Hausbesetzer, der vor 36 Jahren mit nur 18 Jahren von einem Bus
> überfahren wurde.
Bild: So sah das Denkmal für Klaus Jürgen Rattay einst aus (Ausschnitt)
Berlin taz | An der Ecke Potsdamer/Bülowstraße hetzen jeden Tag Tausende
von Menschen entlang, eilen in eines der Bürogebäude oder in die nahe
U-Bahn. Den wenigsten dürfte dabei bewusst sein, dass sie hier auch über
eine Gedenksteinplatte laufen – jedenfalls bis vor Kurzem gelaufen sind.
Vor der Commerzbank, ziemlich am Rande des Bürgersteigs, war sie in den
Boden eingelassen, ihre Inschrift lautete „Klaus Jürgen Rattay 22.9.1981.“
Nun ist sie verschwunden, in einem Haufen Schutt.
Klaus-Jürgen Rattay, dem die Erinnerung an dieser Stelle galt, war ein
Berliner Hausbesetzer, der mit 18 Jahren an ebenjenem 22. September vor 36
Jahren von einem Bus überfahren wurde – der einzige bekannte Todesfall am
Rande einer Hausbesetzung.
Warum er als Todesfall der Bewegung gilt, obwohl er überfahren wurde? Nun,
die Polizei trieb an ebenjenem Dienstag auf der Bülowstraße mit einer
Sitzblockade gegen eine Räumung demonstrierende Protestler auf die
vielbefahrene Potsdamer Straße. Der Verkehr lief noch etwas flüssiger als
heute, Rattay geriet vor einen BVG-Bus – das Weitere ist bekannt.
Die zweite Frage: Warum ist das Denkmal weg?
## Bauarbeiter rückten an
Zunächst muss betont werden, es handelte sich nicht um ein offizielles
Denkmal. Dennoch war es seit 1982 da – eingesetzt von Unbekannten –, bis
kürzlich ein paar Bauarbeiter anrückten, um am nahen Verteilerkasten von
Stromnetz Berlin zu arbeiten. Da einige Kabel unterirdisch verliefen und an
die nur durch Öffnen des Bodens heranzukommen war, wurde die Gedenkstätte
für Rattay, knapp gesagt, ausgehoben.
Bekannt wurde das Ganze durch einen aufmerksamen Passanten. Er läuft
täglich an dem Gedenkstein vorbei und wunderte sich, warum dort plötzlich
nur noch einige Absperrbanden und ein Loch waren, daneben ein Haufen
Steine.
Die zuständige Tiefbaufirma zeigte sich auf Nachfrage grundsätzlich bereit,
die Gedenksteine wieder einzusetzen. Das Problem ist allerdings, dass die
sich in einem Haufen Schutt befinden. Besagter Passant konnte einige Teile
zwar bergen, ein paar Teile fehlen aber noch. Außerdem sind die Steine nun
zerbrochen: Wie es aussieht, wenn sie wieder eingesetzt werden, ist nicht
ganz klar. Bezirk oder der Denkmalpflege sind bisher nicht in Erscheinung
getreten – es handelte sich ja um nichts Offizielles.
## Die Erinnerung verblasst
Auch wenn in dem Fall keine Absicht zugrunde liegt, muss man sich fragen:
Warum ist eigentlich keinem der Bauarbeiter aufgefallen, dass da etwas in
den Boden eingeschrieben war?
Die vergangenen rund 30 Jahre hat das Denkmal überstanden,
unwahrscheinlich, dass in den Jahren niemals jemand um den Verteilerkasten
arbeiten musste.
Des Weiteren kann man auch in diesem Beispiel eine Art Gentrifizierung
erkennen. Altes weicht dem Neuen – und niemanden stört es. In diesem Fall
fiel es nicht mal den Initiatoren auf – bisher hat sich auf jeden Fall noch
keiner gemeldet.
Und so ist bislang auch völlig unklar, wie es mit dem kaputten Gedenkstein
weitergeht. Wird er wieder eingesetzt? Kommt ein neues Denkmal? –
Unwahrscheinlich, zuständig scheint sich niemand zu fühlen. Und so ist
davon auszugehen, dass auch Klaus-Jürgen Rattay langsam in Vergessenheit
gerät oder schon geriet. Und mit ihm wieder ein kleines Stück der
Geschichte dieser Stadt.
29 Nov 2017
## AUTOREN
Sophie-Isabel Gunderlach
## TAGS
Denkmalschutz
Denkmal
Hausbesetzung
Erinnerungskultur
CDU Berlin
Hausbesetzer
Schwerpunkt AfD
Polizei Berlin
München
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