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# taz.de -- Zinnwerke ohne Zukunftskonzept: Stillstand am Kanal
> Die zukünftige Nutzung der Zinnwerke in Hamburg-Wilhelmsburg ist
> ungewiss. Von der großen Vision eines Kulturkanals ist Jahre später kaum
> etwas übrig.
Bild: Derzeit gibt es eine kulturelle Nutzung der Zinnwerke nur im kleinen Stil
Hamburg taz | Es ist ruhig am Kanal. Ein Hausboot schaukelt im Wasser,
irgendwo schnattern ein paar Enten, sonst ist es still. Ein paar Meter
weiter wird die Szenerie lebendiger: Die Zinnwerke, ein paar alte
Industriehallen am Veringkanal zwischen den beiden Elbarmen, sind quasi das
Zentrum des kulturellen Treibens im Wilhelmsburger Reiherstiegviertel.
Endlich, sagen jene, die den Kampf um das Gebäude in den letzten Jahren
mitverfolgt haben. Ausgerechnet, sagen andere. Doch der Reihe nach.
„Schau.Spiel.Platz“ steht in großen Lettern auf einem Schild am Eingang,
die Türen zur Halle sind weit geöffnet. Drinnen stehen in einer Ecke Sofas,
gegenüber eine selbst gezimmerte Bar, an der Wand hängt ein großer
Orientteppich. Junge Leute laufen geschäftig von A nach B, mittendrin:
Martha Starke und Beate Kapfenberger.
Die beiden Grafikdesignstudentinnen haben die Zinnwerke einen Monat lang in
einen Kulturspielplatz verwandelt. Ihre Idee war so simpel wie raffiniert:
Im Zentrum stand eine mobile Installation, zusammengebaut aus alten
Gerüsten einer Werft im Harburger Binnenhafen. Die Konstruktion wurde mal
zum Zuschauerraum, mal zur Bühne umgebaut, je nach Bedarf. „Wir wollten
diesem Ort etwas zurückgeben“, sagt Beate, die gemeinsam mit Martha eine
Designagentur in den Zinnwerken betreibt, „es ist schade, dass diese großen
Hallen leer stehen, da mussten wir einfach was machen.“
Marco Antonio Reyes Loredo, dessen Filmproduktionsfirma „Hirn und Wanst“
auch in den Zinnwerken sitzt, steht daneben und muss lachen. Nicht, weil
die beiden Unrecht hätten. Doch mit dem „einfach machen“ ist es eben nicht
so leicht am Kanal.
Nachdem die 1903 erbauten Zinnwerke lange leer standen, mieteten sich vor
ein paar Jahren Künstler und Kreative in einem Teil ein. Als die Gebäude
2013 einem Neubau des Opernfundus weichen sollten, regte sich Widerstand im
Stadtteil – die Stadt rückte von den Plänen ab, die Zinnwerke blieben
erhalten, vorerst. Es folgte die Zeit der „großen Hoffnungen“, wie Loredo
sagt: Hoffnungen auf einen kulturellen Aufbruch im stadtplanerisch lange
vernachlässigtem Wilhelmsburg. 2014 war das, kurz nachdem Andy Grote –
damals Leiter des Bezirks Mitte, heute Innensenator – recht großspurig die
Vision vom „Kulturkanal“ heraufbeschworen hatte: Ateliers, Kino,
Musikclubs, Bühnen sollten den Veringkanal säumen.
## Die Pläne einer Kulturmeile stagnieren
Die Kanalanrainer, darunter auch Unternehmen, muslimische Gemeinden, ein
Krankenhaus, kamen zu Gesprächen zusammen, formulierten Wünsche. Auch im
Koalitionsvertrag von SPD und Grünen findet sich die Idee vom Kulturkanal
wieder. Und heute? Die Pläne stagnieren. Und die Zukunft der Zinnwerke, die
mal der Kern der Kulturmeile sein sollten, ist ungewiss.
Nicht, dass sich am Kanal nichts tun würde: Da wären das Archipel, ein
schwimmender Ponton, der für Konzerte und Yogastunden genutzt wird, der
Musikclub Turtur oder das „Kultur-Floß“ „Schaluppe“, das hier hin und
wieder seine Bahnen zieht. Projekte, die von Anwohnern ins Leben gerufen
wurden. Solchen Aktionismus würden sich viele auch von der Stadt wünschen.
„Das Gebäude verfällt immer mehr und nichts passiert. Langsam haben wir es
satt, zu warten“, sagt Loredo, der Hauptmieter des Bürotraktes ist.
Über 50 Mieter arbeiten in den Zinnwerken, das Verhältnis zur Eigentümerin,
der städtischen Sprinkenhof GmbH, gilt als schwierig: „Wir haben den
schlechtesten Mietvertrag, den man sich vorstellen kann, Kommunikation
findet nicht statt“, sagt Loredo. Das heißt: Viele Pflichten, wenig Rechte.
Wenn etwas kaputt geht im Haus, müssen die Mieter selbst ran. Wie lange die
Kreativen bleiben dürfen, ist offen. Und während die Nachfrage nach
Büroräumen wächst, stehen nebenan die 2500 Quadratmeter großen Hallen leer,
nur einmal im Monat organisiert Loredo dort auf eigene Faust den
Anwohnerflohmarkt „Floh Zinn“.
## Für den Flohmarkt fehlt eigentlich der Brandschutz
Das allein ist schon ein Wagnis: Eigentlich ist der Markt, der hunderte
Besucher anlockt und ganz offiziell auf der Homepage der Stadt beworben
wird, gar nicht erlaubt. Die Bausubstanz der maroden Halle sei zu schlecht,
es fehle an Brandschutz, erklärt Egbert Rühl, Geschäftsführer der Kreativ
Gesellschaft, welche die nördliche Halle seit 2014 mietet. „Wenn beim
Flohmarkt ein Brand ausbricht, haften wir“, so Rühl. Toleriert wird der
Markt trotzdem von allen Beteiligten, wenn auch zähneknirschend.
Fraglich ist, wie lange sich dieser seltsame Zustand noch hält. Die Kreativ
Gesellschaft hat eine Nutzungsänderung beantragt, die Genehmigung ist seit
August da – doch um alle Auflagen zu erfüllen, müsste die Halle erst mal
saniert werden. „Wir schätzen die Kosten auf einen mittleren sechsstelligen
Betrag“, sagt Rühl. Zu teuer für die Kreativ Gesellschaft. Entweder ein
privater Investor steige ein oder die Stadt finanziere den Umbau. Das sei
aber nur wahrscheinlich, wenn „sich die Behörden klar zum Kulturkanal
bekennen“, so Rühl. Dass die Sanierung so viel kosten würde, ist indes
nicht neu, entsprechende Zahlen kursierten schon vor drei Jahren in den
Verhandlungen.
Fragt man beim Bezirk nach, lautet der Tenor in etwa so: Kultur am Kanal?
Klar, gerne – doch es ist kompliziert. „Mir gefällt es auch nicht, dass das
alles so lange dauert, doch ich stoße immer wieder an Grenzen“, sagt
Bezirksamtsleiter Falko Droßmann. Den Versuch, mithilfe der Kreativ
Gesellschaft eine kulturelle Nutzung zu etablieren, erklärt er für
gescheitert, der Zustand der Hallen sei schlimmer als gedacht.
Ein Abriss stehe erst mal nicht an, wie lange man die Gebäude noch erhalten
könne, wisse er aber nicht. Die Mieter seien „derzeit nicht bedroht“. Doch
wer einen Umbau finanzieren und wie die Industriebrache langfristig genutzt
werden soll: alles offen – obwohl Droßmann schon „viele Gespräche mit
Projekten und Stiftungen“ geführt, bundesweit nach Investoren gesucht habe,
wie er sagt.
Auch die Idee eines Kulturkanals sei noch nicht vom Tisch, heißt es. Die
Stadt hat zumindest schon eine „Lenkungsgruppe“ mit allen Grundeigentümern
ins Leben gerufen – denn die Besitzverhältnisse rund um den Kanal, an den
Gewerbe, Industrie und Wohnungen grenzen, sind kompliziert. Gerade werde
das Gelände auf Bodenbelastungen untersucht, in den kommenden Wochen sollen
Ergebnisse vorliegen. Bis dahin ließen sich keine Pläne schmieden.
Doch warum nichts gemeinsam mit den Anwohnern entwickeln? Da gäbe es noch
ein Problem: Für eine öffentliche Nutzung der Zinnwerke müssten erstmal
„glaubwürdige, verbindliche Protagonisten“ her, die ein langfristig
tragbares Konzept vorlegen könnten, meint Droßmann. Auch beim Kulturkanal
fehle sie noch, diese „brauchbare Idee“. Namen und Details will der
SPD-Politiker nicht nennen. Einen Austausch mit der kreativen Szene vor
Ort, um sich einer solchen Idee zumindest anzunähern, gab es in letzter
Zeit aber auch nicht.
Dabei wäre dieser Dialog dringend nötig: Für viele Wilhelmsburger ist der
Kulturkanal längst zu einem Gespenst geworden, über den Stand der Planungen
und Beteiligungsmöglichkeiten wissen nur die wenigsten Bescheid. Und
während es auf der einen Seite um Gutachten, Formulare und Geld geht,
wächst auf der anderen die Ungeduld. „Ich sehe so viel Potenzial auf dem
Gelände, da sind die Probleme lächerlich“, sagt Loredo. Sein Appell an die
Stadt: „Lasst uns wieder miteinander reden!“ Und was kommt, wenn das nicht
passiert? Loredo lächelt. »Warum nicht zwei Schritte weiterdenken? Wenn
hier nicht bald was passiert, rufen wir eben selbst den Kulturkanal aus und
bauen Bühnen ans Ufer.“
28 Nov 2017
## AUTOREN
Annika Lasarzik
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