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# taz.de -- Betroffene im NSU-Prozess: „Die Hoffnung gibt es nicht mehr“
> Vor Gericht übt Gamze Kubaşık, die Tochter des Dortmunder NSU-Opfers,
> harte Kritik an der Aufklärungsarbeit.
Bild: Gamze Kubaşık übt scharfe Kritik an den Ermittlungen
München taz | Gamze Kubaşık schaut allen fünf Angeklagten direkt ins
Gesicht, einem nach dem anderen. Beate Zschäpe blickt zurück, andere senken
den Blick, ein Mitangeklagter verschränkt demonstrativ die Arme. „Ich weiß
immer noch nicht, warum ausgerechnet mein Vater ausgewählt wurde“, sagt
Kubaşık. „Ich weiß immer noch nicht, wer noch beteiligt war. Ich verstehe
nicht, warum diese Menschen nicht gestoppt wurden.“ Das Einzige, was sie
wisse, sagt die 32-Jährige, sei, „dass diese fünf Menschen schuldig sind“.
Gamzes Vater Mehmet Kubaşık wurde am 4. April 2006 in Dortmund vom NSU
erschossen, er war das achte von zehn Mordopfern. Schon am Vortag hatte
ihre [1][Mutter] im Münchner NSU-Prozess geschildert, dass ihr Leben seit
diesem Tag zerstört ist. Am Mittwochnachmittag nun erhebt die Tochter im
Rahmen der Nebenklage-Plädoyers das Wort. Es wird einer der emotionalsten
Momente in diesem Verfahren.
Vor vier Jahren, sagt Kubaşık, ganz in Schwarz gekleidet, habe sie so viel
Hoffnung gehabt. Dass es endlich Gewissheit und Sicherheit für ihre Familie
gebe. Damals, zum Prozessbeginn. „Diese Hoffnung gibt es nicht mehr.“ Denn
nun, am Prozessende, blieben ihre Fragen immer noch offen. Und Kubaşık
benennt dafür Verantwortliche, spricht auch sie direkt an: die drei
Vertreter der Bundesanwaltschaft. „Ich glaube nicht, dass Sie noch jemanden
anklagen. Für Sie ist die Sache doch hier abgeschlossen.“ Sie selbst aber,
sagt Kubaşık, müsse nun mit den „quälenden Fragen“ weiterleben.
Auch jedem Angeklagten wendet sich Kubasik zu, zuletzt Zschäpe. „Für mich
ist sie genau so schuldig wie die, die mit eigener Hand auf meinen Vater
geschossen haben. Ich verstehe nicht, warum sie nicht zu den Taten steht.“
Schließlich habe Zschäpe doch die Bekenner-DVDs des NSU verschickt. „Wenn
sie sich wirklich für die Morde schämen würde, warum hilft sie uns dann
nicht? Warum sagt sie nicht, warum unbedingt mein Vater umgebracht werden
musste?“ Kubasik appelliert ganz direkt an die Angeklagte: „Frau Zschäpe,
wenn es Ihnen wirklich leid tut, dann antworten Sie.“ Zschäpe verzieht
keine Miene.
## Angebot an Zschäpe
Schon zuvor hatte Kubasiks Anwalt Sebastian Scharmer ein Angebot an Zschäpe
übermittelt. Wie es aussehe, werde die Angeklagte lebenslängliche Haft
erhalten, mit besonderer Schwere der Schuld, sagte er. Dann werde nach 13
Jahren Haft eine Mindestverbüßungsdauer festgelegt – die durchaus auch 30
Jahre betragen könne. Aber, so Scharmer: Nenne Zschäpe doch noch alle
Helfer, die heute noch auf der Anklagebank fehlten, dann werde sich Gamze
Kubasik persönlich für eine kürzere Haftstrafe einsetzen. „Frau Zschäpe,
Sie sollten diese Worte zumindest die nächsten sieben Jahre ihrer Haft
nicht vergessen“, appelliert Scharmer. „Überlegen Sie es sich gut.“
Auch Scharmer kritisiert die Aufklärung im Prozess scharf. „Es soll ein
Schlussstrich gezogen werden“, sagt er. Alle Ermittlungen zu Unterstützern
des Terrortrios würden seitens der Bundesanwaltschaft abgeblockt, V-Leute
nicht befragt, Akteneinsichten verweigert. „Die Sache stinkt, das kann
jeder riechen.“
Für Scharmer wurde das Andenken an Mehmet Kubasik „geschändet“, als dieser
nach seinem Tod von den Ermittler selbst verdächtigt und mit
Drogengeschäften in Verbindung gebracht wurde. Schuld sei eine
„rassistische Behördenmentalität“, die nie ernsthaft ein rechtsextremes
Motiv geprüft habe.
Die Bundesanwaltschaft wiederum, so Scharmer, setze eine „Käseglocke“ über
die fünf im NSU-Prozess Angeklagten – ohne ernsthaft nach weiteren Helfern
zu ermitteln. Auch hätten sich gleich neun V-Leute im direkten NSU-Umfeld
befunden. Scharmer zählt jeden einzelnen auf. Im Prozess aber hätten all
diese V-Leute kaum eine Rolle gespielt oder ihre Akten seien geschreddert
worden, klagt Scharmer.
Der Anwalt hat dafür eine Erklärung: Es gehe darum, am Ende dieses
Prozesses einen „Persilschein“ für die Polizei, den Verfassungsschutz und
die Bundesanwaltschaft selbst zu haben. Einen, dass man gegen die
isolierten Terroristen machtlos war. „Diesen Persilschein aber kann es
nicht geben“, ruft Scharmer in den Saal. Gamze Kubasik jedenfalls vertraue
den Ermittlungsbehörden nicht mehr. Die Familie werde nicht abschließen
können, bis alle offenen Fragen zum Mord an Mehmet Kubasik geklärt seien.
Auch Carsten Ilius, Anwalt der Witwe Elif Kubasik, kritisiert am Mittwoch
harsch, dass die Polizei damals nicht in der Neonazi-Szene Dortmunds
ermittelt habe – obwohl diese als äußerst gewaltbereit gegolten habe. Auch
Ilius begründet dies mit „strukturell rassistischen Ermittlungen“. Sein
Fazit: Der Staat „verleugne“ bis heute seine Verantwortung an der
NSU-Mordserie.
22 Nov 2017
## LINKS
[1] /Opferangehoerige-im-NSU-Prozess/!5461349
## AUTOREN
Konrad Litschko
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