# taz.de -- Plädoyer der Nebenklage im NSU-Prozess: „Seien Sie unbequem!“ | |
> Der NSU-Prozess neigt sich dem Ende zu: Die Anwälte der Opferangehörigen | |
> üben harte Kritik an den Anklägern und an Beate Zschäpe. | |
Bild: Der Tatort in der Probsteigasse: Dort explodierte 2001 ein Brandsatz in e… | |
MÜNCHEN taz | Es war früh am Morgen des 19. Januar 2001, als Mashia M. die | |
Dose mit dem Weihnachtsstollen öffnete. Nur Sekunden dauerte es, dann | |
explodierte Schwarzpulver. Es verbrannte der 19-jährigen Deutschiranerin | |
das Gesicht, Splitter bohrten sich in ihren Körper. Vier Wochen lag Mashia | |
M. im Koma. Zehn Jahre waren die Ermittler ratlos, dann wurde klar: Die Tat | |
beging der „Nationalsozialistische Untergrund“. | |
Am Mittwoch nun ergriff Edith Lunnebach, die Anwältin von Mashia M., im | |
Münchner Oberlandesgericht das Wort, am Tag 387 des NSU-Prozesses. Und sie | |
attackierte die Bundesanwaltschaft schwer. Es sei für die Familie von | |
Mashia M. „nicht akzeptabel“, dass die Ankläger den NSU bis heute als | |
isolierte Dreierzelle sähen. Allein für den Kölner Tatort gebe es | |
„überwältigende Fakten“ für weitere Mittäter. Die Familie lebe mit der | |
Vorstellung, dass diese „als ständige Gefahr im Hintergrund lauern“. | |
Lunnebachs Worte markierten den Auftakt der Plädoyers der Nebenkläger, der | |
Opfer und ihrer Angehörigen. Viereinhalb Jahre wurde über die zehn Morde | |
des NSU, die zwei Anschläge und 15 Raubüberfälle verhandelt. Bereits im | |
September hatte die Bundesanwaltschaft ihr Plädoyer beendet und lebenslange | |
Haft plus Sicherungsverwahrung für die Hauptangeklagte Beate Zschäpe | |
gefordert. Die vier Mitangeklagten sollen bis zu zwölf Jahre hinter Gitter. | |
Seitdem war der Prozess wegen Befangenheitsanträgen der Verteidiger | |
lahmgelegt. | |
Bis heute seien die Narben von Mashia M. nicht verheilt, physisch wie | |
psychisch, sagte nun Lunnebach. Sie verwies auf die vielen | |
Ermittlungsfehler nach dem Anschlag. Es sei „unerträglich“ für die Famili… | |
dass so die Chance vertan wurde, die weitere NSU-Serie zu verhindern. | |
## Der unbekannte Mittäter | |
Auch müsse nicht das Trio, sondern ein [1][„unbekannter Mittäter“] den | |
abgelegenen Tatort ausgekundschaftet haben. Es sei „völlig ausgeschlossen“, | |
dass ein Ortsunkundiger auf den „Getränkeshop Gerd Simon“ gekommen wäre, … | |
Lunnebach. Zschäpe selbst habe nie berichtet, dass es bis dahin einen | |
Köln-Besuch des Trios gab. Auch habe der Mann, der die Stollendose in einem | |
Einkaufskorb abgestellt hatte, anders ausgesehen als Uwe Böhnhardt und Uwe | |
Mundlos. Lunnebach erneuerte den Verdacht, dass ein V-Mann des | |
NRW-Verfassungsschutzes der Täter gewesen sein könnte. Umso | |
unverständlicher sei die Trio-These der Bundesanwaltschaft und ihr | |
„selbstgerechtes“ Auftreten. Ihr Abtun offener Fragen als „Fliegengesumme… | |
sei „unverschämt“. | |
Auch Zschäpe ging Lunnebach hart an. Diese habe im Prozess ein | |
„menschenverachtendes Rührstück“ aufgeführt. Sie versuche „noch mit den | |
dreistesten Lügen durchzukommen“. | |
Am Nachmittag übte auch Mehmet Daimagüler, Anwalt der Familien der | |
Nürnberger NSU-Opfer Abdurrahim Özüdoğru und İsmail Yaşar, harsche Kritik. | |
Die Bundesanwaltschaft habe den Terror „nur so eng wie möglich“ aufgeklär… | |
sie versuche „mit aller Macht“ ihre Trio-These „als alleinige Wahrheit | |
durchzusetzen“. Bis heute sei kein einziger Beamter für das Aktenschreddern | |
des Verfassungsschutzes bestraft worden. Ein Staat aber, der nicht | |
umfassend aufkläre, nehme in Kauf, dass auch künftig Morde geschehen, so | |
Daimagüler. All das verunsichere die Familien, die bis heute keine Antwort | |
auf die Frage bekämen: Warum? | |
Am Donnerstag sollen die Plädoyers weitergehen. Lunnebach appellierte | |
bereits an die Richter: „Seien Sie unbequem!“ | |
15 Nov 2017 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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