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# taz.de -- Künstler als Katastrophentourist: Ästhetik der Gewalt
> Ist das noch Katastrophentourismus oder schon Kunst? Letzteres entschied
> die Jury des Kunstpreises der Stadt Wolfsburg, mit dem sie Julius von
> Bismarck auszeichnete
Bild: Donnerwetter: Für so ein Bild begibt sich der Künstler auch mal in Gefa…
WOLFSBURG taz | Unsere Vorfahren waren Jäger und Sammler, das wissen wir.
Der Künstler Julius von Bismarck jagt und sammelt heute noch. Er jagt
Stürmen, Waldbränden, Gewittern sowie anderen gewaltigen Naturphänomenen
hinterher, sammelt dabei visuelle, akustische oder fotogrammetrische
Aufzeichnungen und verarbeitet sie zu eindrucksvollen Bildern, Objekten,
Installationen und auch Performances. Nun hat er den immerhin national
renommierten Kunstpreis der Stadt Wolfsburg erhalten.
Dieser wird seit 1959 vergeben, nach einigen Zäsuren und inhaltlichen
Neuausrichtungen seit 1992 im stringenten Dreijahresrhythmus. Eine
unabhängige Jury würdigt auf Vorschlag der Städtischen Galerie Wolfsburg
damit eine Künstlerin oder einen Künstler in der Mitte der Karriere, sofern
das bisherige Schaffen überregionale Aufmerksamkeit erlangt hat. Mit einem
Preisgeld, einer umfangreichen Ausstellung in den Galerieräumen im
Wolfsburger Schloss, einer Publikation und einem Ankauf soll im Idealfall
ein weiterer Karriereschub initiiert werden.
Und Julius von Bismarck sei der erste Preisträger, um den Susanne Pfleger,
Leiterin der Städtischen Galerie, wirklich Angst habe. Denn natürlich
reiste Julius von Bismarck zum Hurrikan „Irma“, der in der ersten
Septemberhälfte in Florida wütete. Und verfolgte einen Monat später ein
ähnliches Naturschauspiel in Irland, den Hurrikan „Ophelia“. In Florida
fuhr Bismarck mit einem offensichtlich ausreichend schweren Geländewagen
bis ins Innere des Wirbelsturms, sein Kameramann und er filmten immer nur
für wenige Sekunden aus dem geöffneten Wagenfenster, den Apparat auf festem
Stativ montiert. Danach musste alles gesäubert und getrocknet werden, bis
es weitergehen konnte. Aus dem Material ist ein 40-minütiger
Schwarz-Weiß-Film entstanden, der mit extremem Zeitlupentempo die Gewalt
des Sturms in betörend schönen Sequenzen festhält.
Oder, um mit den Worten Bismarcks zu sprechen: Der Sturm tanzt geradezu um
die üppige Vegetation aus Palmen und exotischen Bäumen, der Naturgewalt ist
so eine höchste Ästhetik eigen. Ebenfalls verlangsamte Nachrichtensendungen
zum Hurrikan, die rund um die Uhr und überall zu hören waren, liefern den
Sound. Sie bilden das Grundrauschen in einem meditativen Gesamtwerk, das
als dramaturgischer Höhepunkt den letzten Raum der Wolfsburger Ausstellung
besetzt.
## Mit dem Zerstörerischen der Explosion gespielt
In Irland wiederum ließ Bismarck sturmgepeitschte Wellen unter einer
Steilküste fotogrammetrisch, also dreidimensional, vermessen. Die
Koordinaten einer Wellenspitze wurden anschließend in ein Polygonnetz
umgerechnet, eine Computergrafik eines Netzes, dessen Punkte verbunden
sind. 400 verformte und verschweißte Stäbe schweben als mächtiges Gitter im
Wolfsburger Schloss.
Der erste Raum der Werkschau zeigt eine Dokumentation verschiedener
Sprengungen eiszeitlicher Findlinge. Hier interessierte Bismarck der
winzige Moment kurz nach der zerstörerischen Explosion, das Aufbersten der
massiven Materie. Auch dies lässt sich nur in extremer Zeitlupe sichtbar
machen.
Julius von Bismarck, geboren 1983 in Breisach am Rhein, ein Nachfahre des
Reichskanzlers, hat 2013 sein Studium als Meisterschüler des
dänisch-isländischen Künstlers Olafur Eliasson an der Universität der
Künste in Berlin abgeschlossen. Ähnlich seinem Mentor scheint er
offenkundig von der experimentellen Wissenschaft, zumindest in einer
angewandten Form als Technik, fasziniert.
Er ließ schon mal Raketen ins Gewitter schießen, um Blitze zu provozieren,
seit vergangenem Sommer dokumentiert er kontinuierlich Waldbrände. Er
verwendet in der Forschung gebräuchliche Computerprogramme für eigene
bildgenerierende Zwecke. Auf der „Art Basel 2015“ setzte er sich aber auch
selbst in einer knapp zimmergroßen, rotierenden Parabolschüssel fast eine
Woche lang einer (maßvollen) Fliehkraft aus. Und er reist stetig um die
Welt, wohl kaum eine Region, die er nicht kennt: um mit künstlerischen
Mitteln zu forschen. Eine Ästhetik der Gewalt, wie er es nennt, soll sich
in Bildern und Formen wiederfinden statt in performativen Aktionen oder gar
dem Action-Epos à la Hollywood.
## Bleibt die Frage nach dem Sinn des Katastrophentourismus
Natürlich lässt sich fragen, welch tieferer Sinn denn nun zu derartigem
Natur- und Katastrophentourismus im Dienste ästhetischer Produktion
ermächtigt. Da bleibt Julius von Bismarck in seiner Antwort verhalten. „Wir
leben in einer Zeit, in der die Natur an die Stelle der Religion tritt“,
sagt er. „Naturgewalten haben also auch eine politische Dimension.“ Er will
aber keine anklagende Lesart nahelegen, den Klimawandel etwa politisch
aufladen. Auch der Ausstellungstitel „Gewaltenteilung“ soll interpretierbar
bleiben.
Animistischen Naturmythologien scheint Bismarck nicht ganz abgeneigt, er
erzählt etwa von speziellen Ritualen in der Antarktis, die verhindern
sollen, dass diese sensible Sphäre durch fremde Menschen angegriffen wird.
Vor allem aber geht es ihm um andere Arten der Wahrnehmung, auch Würdigung
der Natur.
Vielleicht ist Julius von Bismarck auch einfach nur ein moderner
Wiedergänger des Romantikers aus dem 18. Jahrhundert. Ihm verdankt die
Menschheit eigentlich viel, denn er öffnete die empfindsamen Seelen für
einen empathischen Widerhall der Natur. Das Erhabene wurde sein
ästhetischer Topos, der angenehme Schauer seine direkt erfahrene
Gefühlswelt, die sich bekanntermaßen bildmächtig in der Kunst, Literatur
oder Musik niederschlug.
Die Ausstellung ist bis 2.6.2018 in der Städtischen Galerie Wolfsburg zu
sehen.
13 Dec 2017
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
Hurrikan
Katastrophe
Explosion
Sprengung
USA
Hurrikan
Walter Benjamin
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