# taz.de -- Unbekannte Orte" (Teil 11):: Mittagsandacht im Goldrausch | |
> Millionen Touristen waren schon drin, Millionen Berliner noch nie. Einer | |
> der standhaften Ignoranten gibt nach: Für die taz wagt er sich in die | |
> reich verzierte Höhle des Protestantismus | |
Bild: Protestantischer Prunkbau: der Berliner Dom | |
Was im Trend liegt oder konsumistisch von den Massen umschwärmt wird - wie | |
Führerbunker, Handys, McDonalds, Tattoos, Reichstagskuppel sowie | |
Blockbuster und Bestseller aller Art - geht mir am Arsch vorbei. Deswegen | |
war ich auch noch nie in der Top-Sehenswürdigkeit - dem "Publikumsmagneten" | |
- Berliner Dom. Aber nun musste es sein. Man hatte mir (Zeilen-) Geld dafür | |
versprochen. | |
Weil ich das Schild "Kasse" am Nebeneingang übersah, steuerte ich, ohne | |
Eintritt zu zahlen, auf den Haupteingang zu, wo mich ein livrierter | |
Domdiener fragte: "Wollen Sie zur Mittagsandacht?" Ich nickte, und der Mann | |
gab mir einen Liedtext mit Noten: "Herr, öff-ne mir die Her-zens-tür/ zieh | |
mein Herz durch dein Wort zu dir " | |
Das Wörtchen "Herr", das für mich mindestens so ekelhaft klingt wie | |
"Hirte", passte gut zu diesem Riesenkuppelbau, den man in Berlin auch | |
schlicht "Scheißhaufen" nennt. Er ist im Innern vollgestopft mit | |
neobarockem Goldmist, dazu stehen noch vier aufdringliche, ebenfalls | |
goldene Sarkophage von Angehörigen der einst verfluchten, inzwischen jedoch | |
völlig verblödeten Hohenzollern-Sippe in den Ecken, für die es dort | |
außerdem noch eine Gruft mit weiteren 95 Sarkophagen gibt. | |
Das wirklich Furchtbare am Berliner Dom ist jedoch, dass es ein | |
protestantischer sein soll - nicht ein von den Katholiken enteigneter, | |
sondern ein sozusagen selbst gebauter. Das heißt, die hochherrschaftlichen | |
Hohenzollern haben ihn höchstselbst dort hochziehen lassen - als "deutsches | |
Gegenstück zum Petersdom", halbwegs ebenbürtig neben dem protzigen | |
Stadtschloss. | |
Heute heißt es über den Dom nur lapidar bei "berlin.de": "Ein Muss für | |
Liebhaber von Gotteshäusern ist der Berliner Dom, die größte | |
protestantische Kirche Deutschlands. 1894 bis 1905 wurde er auf der | |
Spreeinsel nach Plänen von Julius Raschdorff als Hauptkirche des | |
preußischen Protestantismus und als Hofkirche der herrschenden Hohenzollern | |
errichtet." Jetzt, da man das Schloss vis-à-vis wieder errichten will - | |
allerdings ohne seine große Kuppel - wird jedoch kritisiert, dass der Dom | |
mit seiner im Zweiten Weltkrieg zerstörten und dann vereinfacht | |
wiederhergestellten Riesenkuppel das Schloss "völlig in den Schatten" | |
stellen wird. | |
Als Erstes wirkte im Dom der damalige Hofprediger und "Krawallantisemit" | |
Adolf Stoecker. 17 Jahre lang durfte er die Gläubigen verhetzen. Zwischen | |
1880 bis 1890 war er maßgeblich an der sogenannten Berliner Bewegung | |
beteiligt, nach den Worten von Reichskanzler Bismark war er damals sogar | |
der "bedeutendste Antisemit". | |
Diese präfaschistische Bewegung hat in Berlin begonnen und verbreitete sich | |
später im ganzen Land. Sie setzte sich vor allem aus benachteiligten | |
Schichten des Mittelstands, verarmten Handwerkern, Kaufleuten, Bauern und | |
Teilen der Intelligenz (Offiziere, Hochschulangehörige) zusammen. | |
Hunderttausende verlangten ein Verbot weiterer jüdischer Einwanderung, den | |
Ausschluss der Juden von allen obrigkeitlichen Ämtern und von der | |
Volksschullehrerschaft, ihre Beschränkung im Justizdienst, im höheren | |
Schulwesen und so weiter ("Berliner Petition" von 1881). 1883 sagte | |
Stoecker in einer Rede: "Wir bieten den Juden den Kampf an bis zum völligen | |
Siege und wollen nicht eher ruhen, als bis sie hier in Berlin von dem hohen | |
Postament, auf das sie sich gestellt haben, heruntergestürzt sind in den | |
Staub, wohin sie gehören." | |
Dieser ganze Mist wurde damals kiloschwer mit Domgold innen wie außen quasi | |
zugemüllt - "in Anlehnung an die italienische Hochrenaissance und den | |
Neobarock", wie Wikipedia weiß. Der potthässliche wilhelminische Dom war | |
neben der Zivilehe und dem Schulaufsichtsgesetz die positive Antwort auf | |
den preußischen beziehungsweise bismarckschen "Kulturkampf", der sich | |
zwischen 1871 und 1878 gegen die katholische Kirche richtete, wobei es um | |
die strikte Trennung von Kirche und Staat ging. | |
Absurderweise endete dieser "Clash of Culture" jedoch damit, dass der Dom | |
dann den Protestantismus als Staatskirche quasi krönte. Das macht seine | |
ganze Scheußlichkeit aus und führte im weiteren dazu, dass die Evangelen | |
schließlich im Gegensatz zu den Katholen besonders devote Gefolgsleute des | |
letzten deutschen Führers Adolf Hitler wurden. Man müsste dieses | |
"Wahrzeichen" also eigentlich - so wie es Hans Paasche schon für die | |
Siegessäule vorschlug - in die Luft sprengen. | |
Aber dann würde den ganzen geschmackssicheren Touristen, aus Spanien und | |
Italien zum Beispiel, etwas Wesentliches an Berlin fehlen, über das sie | |
sich daheim immer wieder gerne lustig machen. Auch das hohenzollernsche | |
Bibelwort über dem Eingangsportal wissen sie derart zu würdigen: "Unser | |
Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat." Dieser saudämliche | |
Spruch wurde dort nämlich zur selben Zeit eingemeißelt, als die hierzulande | |
Herrschenden sich anschickten, in Ost- und Westafrika über Millionen | |
Schwarze zu siegen - damit diese die Welt überwanden, und zwar ein für | |
allemal. | |
Nein, ich bleibe dabei, sagte ich mir im Hinausgehen: Der Berliner Dom ist | |
eine No-go-Area. Heute übrigens mit Gastpredigern aller Couleur, flankiert | |
von einem dicken Kulturprogramm. | |
17 Aug 2007 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
## TAGS | |
Hurrikan | |
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