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# taz.de -- Trockenklos für Berlin: Gespült wird nicht
> Die Firma EcoToiletten baut Kompostklos ohne Wasseranschluss. Das neue
> Toilettenkonzept des Senats hätte ihre große Chance sein können.
Bild: Die Holzoptik passt zum idyllischen Standort an der Rummelsburger Bucht �…
„Es gibt Leute, die sagen: Was ihr da macht, ist nicht modern. Ich dagegen
finde, Toiletten mit Wasserspülung sind nicht modern.“ Sven Riesbeck hat
klare Überzeugungen und ein Produkt, für das der Geschäftsführer der
[1][EcoToiletten GmbH] seine Hand ins Feuer legt – auch wenn das Bild nicht
so richtig passt: Schließlich geht es in seinem Metier um eher feuchtes
Material.
„Sehen Sie mal hier.“ Der schlaksige 27-Jährige schwenkt nonchalant den
Zeigefinger über der Kloschüssel eines seiner Toilettenhäuschen, das im
Lichtenberger Landschaftspark Herzberge steht – und man registriert
beruhigt, das die aus Lärchenholz gezimmerte Kabine zwar kein Waschbecken,
aber ein Hand-Desinfektionsmittel bereithält. „Der Füllstand ist demnächst
so hoch, dass unsere Servicekraft die Fäkaltonne auswechseln wird. Trotzdem
riechen Sie nichts, oder?“
Stimmt: Viel mehr als das Aroma der Sägespäne, die in einem Wandkasten
darauf warten, zum Aufsaugen der Flüssigkeiten in die Tonne gestreut zu
werden, liegt nicht in der Luft. Das war auch Riesbecks Erkenntnis, als er
sich vor fast zehn Jahren, im Rahmen seines Abiturs am Schliemann-Gymnasium
in Prenzlauer Berg, dem Thema Trockentoiletten widmete: Mit stinkenden
Latrinen, vor deren Betreten man die Luft anhält, hat diese Toilette nichts
zu tun.
Hier gärt und fault nichts, die menschlichen Abfallprodukte warten bloß
geduldig darauf, nach einigen Tagen einer Kompostieranlage zugeführt zu
werden, wo sie sich in nährstoffreiche Erde verwandeln. Wasser wird dabei
nicht verbraucht, ein Anschluss erübrigt sich. Für Riesbeck ist das
Nachhaltigkeit par excellence: „Das macht doch viel mehr Sinn, als das
kostbare Gut Trinkwasser mit Fäkalien in Verbindung zu bringen.“
Die Firma EcoToiletten mit Sitz in Rüdersdorf am Rand von Berlin gibt es
seit 2013. Hauptgeschäft sind bislang mobile Trockentoiletten, die vor
allem bei Großveranstaltungen zum Einsatz kommen. Bisheriger Höhepunkt: das
Festival „Plötzlich am Meer“ in Polen, wo für 10.000 BesucherInnen 100 Kl…
aufgebaut und gewartet wurden. Nach eigenen Angaben hat EcoToiletten im
Jahr 2016 über 100 Tonnen an Feststoffen in Kompostierungsanlagen abgegeben
und zur Einsparung von rund 2 Millionen Liter Trinkwasser beigetragen. Die
Zukunft des Unternehmens soll aber den stationären Modellen gehören: In
Berlin stehen bereits fünf Exemplare, alle geordert vom Bezirk Lichtenberg,
neben dem Landschaftspark Herzberge auch an der Rummelsburger Bucht.
## Neuer Betreiber gesucht
Gerade sah es so aus, als würde sich eine gewaltige Chance für EcoToiletten
auftun: Der Senat hat bekanntlich beschlossen, den langjährigen Vertrag mit
dem Stadtmöblierer Wall GmbH bis Ende 2018 auslaufen zu lassen. Wall
profitierte – wie sehr, weiß nur das Unternehmen selbst – von einer ganz
speziellen Kopplung: Die Pflicht, öffentliche Toiletten zu betreiben, wurde
mit dem Privileg entgolten, an strategischen Standorten Großwerbeflächen
aufzustellen und zu vermieten. Ab 2019 vermietet das Land die Werbeträger
selbst, muss dann aber auch einen neuen Klo-Betreiber finden und bezahlen.
Das „[2][Berliner Toilettenkonzept]“, das die Senatsverwaltung für Umwelt
im Juli präsentierte, sieht drei aufeinander aufbauende Szenarien vor: die
mehr oder weniger dem Status quo entsprechende „Grundversorgung“ mit rund
250 öffentlichen Toiletten, eine „verbesserte Versorgung“ ab dem Jahr 2021
mit 366 und irgendwann eine „erweiterte“ mit 447 Sanitärkabinen. An der
Ausschreibung für den 15-Jahres-Vertrag wollte die Wall GmbH sich dem
Vernehmen nach nicht beteiligen.
Riesbecks Hoffnung: Weil der Senat im Rahmen seines Konzepts auch
neuartige, nachhaltigere Technologien fördern will, könnte die
Ausschreibung nicht als Komplettvergabe, sondern in sogenannten Fachlosen
erfolgen, bei denen auch Nischenanbieter zum Zuge kommen. Das
Toilettenkonzept sieht schließlich explizit die Aufstellung von Trockenklos
vor – allerdings nur in naturnahen Randlagen und in sehr begrenztem Umfang.
Seit einigen Tagen steht die europaweite Ausschreibung im Netz: Gesucht
wird nun doch ein einzelner Anbieter, der die ganze Stadt mit Toiletten
versorgt. Das kann ein Start-up wie EcoToiletten beim besten Willen noch
nicht stemmen. Die einzige Möglichkeit wäre laut Riesbeck jetzt die
Gründung einer Arbeitsgemeinschaft mit einem großen Anbieter – besonders
optimistisch klingt er allerdings nicht. Dennoch könnten einzelne Bezirke
weitere Aufträge an EcoToiletten vergeben, so wie jetzt schon Lichtenberg.
Friedrichshain-Kreuzberg mit seiner Partymeile, auf der viel konsumiert und
auch viel ausgeschieden wird, soll Interesse bekundet haben.
## Unterentwickeltes Klo-Bewusstsein
Vermutlich ist in der Berliner Politik das Bewusstsein für die wasserlose
Technologie noch nicht weit genug entwickelt. Das würde auch fragwürdige
Argumentationslinien gegen die Kompostklos erklären.
Wie die in einer Antwort der Umweltverwaltung auf eine parlamentarische
Anfrage des Grünen-Abgordneten Georg Kössler: Eine
„Lebenszykluskostenanalyse“ ergebe „kaum ökonomische Vorteile von
Trockentoiletten gegenüber konventionellen Toiletten“, schrieb
Staatssekretär Stefan Tidow, „da Trockentoiletten zum einen mit 10 Jahren
eine deutliche kürzere Lebensdauer haben und zum anderen gleich hohe oder
sogar noch höhere Betriebskosten verursachen, sodass die vergleichsweise
günstigere Anschaffung auf längere Sicht kaum ins Gewicht fällt“.
Ein paar Absätze später entpuppt sich diese Rechnung als haltlos. Denn dort
schätzt die Senatsverwaltung den Anschaffungspreis einer Trockentoilette
auf „ein Sechstel bis ein Zehntel“ einer City Toilette – bei halber
Lebensdauer. Ergibt unterm Strich einen beachtlichen Preisvorteil.
Auch was die Betriebskosten angeht, lässt EcoToiletten-Chef Riesbeck den
Vergleich nicht gelten: „Selbst wenn wir eine unserer Toiletten jeden Tag
warten lassen, kommen wir nur auf 23.000 Euro im Jahr. Und Wall liegt bei
40.000 Euro.“ Im Übrigen können EcoToiletten ganz anders als nur rustikal.
In der Broschüre des Unternehmens findet sich längst ein citytaugliches,
vandalismusresistentes und natürlich barrierefreies Modell mit
Edelstahlbeplankung, bei dem das Fäkalfass mit einem Füllstandsensor
ausgestattet ist und die Sägespäne elektrisch hineingepustet werden –
„Streuspülung“ nennt sich das dann. Den Praxistest hat die
„Premium-BlackLine“ allerdings noch nicht bestehen müssen.
Es dürfte noch eine Weile dauern, bis sich der Igitt-Reflex bei diesem
Thema verflüchtigt. Bei Christian Gräff, dem baupolitischen Sprecher der
CDU-Fraktion, ist jedenfalls noch nicht angekommen, dass eine
Trockentoilette kein Donnerbalken ist: „Senat zieht Kompost-Plumpsklo den
City Toiletten vor“, schrieb er, als bekannt wurde, dass das
Toilettenkonzept auch ein paar wasserfreie Bedürfnisanstalten vorsieht.
„Die ganze Bandbreite der ideologischen Verbohrtheit des rot-rot-grünen
Senats“ offenbare sich in diesem „Bio-Pilotprojekt“, so Gräff, der die
Kündigung des fragwürdigen Wall-Kombivertrags für einen groben Fehler hält.
„Die Berliner möchten sicherlich nicht als Teilnehmer an einem Feldversuch
herhalten.“
Sven Riesbeck gefällt das alles natürlich nicht, aber es scheint, als
hätten er und seine MitstreiterInnen einen langen Atem. Mit ihrem
Non-Profit-Projekt Non Water Sanitation e. V. unterstützen sie den Bau von
Trockentoiletten in Dörfern und Schulen in Indien und Bangladesch, wo
Hunderte Millionen Menschen keinen Zugang zu Sanitäranlagen haben.
Für das Fundraising für dieses Projekt haben sie 2012 sogar eine Radtour
von Deutschland nach Indien gemacht. Wer das schafft, überzeugt –
vielleicht – irgendwann einmal auch naserümpfende Berliner Lokalpolitiker.
20 Nov 2017
## LINKS
[1] http://www.ecotoiletten.de/
[2] https://www.berlin.de/senuvk/verkehr/toilettenkonzept/
## AUTOREN
Claudius Prößer
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Toilette
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