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# taz.de -- City-Toiletten: Es droht ein Griff ins Klo
> Die Firma Wall profitierte von einem Werbedeal mit dem Senat – und
> Menschen mit Behinderung freuten sich über barrierefreie Toiletten. Das
> könnte sich ändern.
Bild: Ganz so schlimm wird es wohl auch nach dem Ausscheiden der Wall GmbH nich…
Mit einem dringenden Untenrumbedürfnis in der Stadt unterwegs zu sein, ist
keine angenehme Erfahrung. Gut, dass es in Berlin nicht nur öffentliche
Klos gibt, sondern auch unzählige gastronomische Einrichtungen, deren
Betreiber meist ein Einsehen mit der oder dem Notleidenden haben.
Menschen mit körperlichen Einschränkungen, die im Rollstuhl sitzen oder am
Rollator gehen, bleiben solche Alternativen oft verschlossen. Sie sind auf
die barrierefreien [1][„City-Toiletten“] angewiesen, die sie mit einem
Spezialschlüssel kostenlos benutzen können – und um deren Qualität sie
jetzt fürchten: VertreterInnen von Menschen mit Behinderung und Senioren
haben den Senat aufgefordert, Berlins Toilettenmodell nicht aufs Spiel zu
setzen. Jürgen Schneider, Landesbeauftragter für Menschen mit Behinderung,
spricht sogar von „Panik“ unter Betroffenen.
Berlins öffentliche Toiletten sind schon seit einem Vierteljahrhundert mit
dem Namen „Wall“ verbunden. Der [2][Stadtmöblierer] – lange bekannt als
Wall AG unter Firmengründer Hans Wall, inzwischen als Wall GmbH ein
Unternehmensteil des Werberiesen JCDecaux – hat Verträge mit Senat und
Bezirken, die den Klobetrieb über einen Umweg zu gutem Geld machen: An die
Bereitstellung der geräumigen Unisextoiletten ist die Lizenz zur
Außenwerbung geknüpft – und nicht nur an den Hightechhäuschen selbst,
sondern weiträumig über die Stadt verteilt, in beleuchteten
„Poster-Vitrinen“, auf großen „Billboards“ oder Litfaßsäulen.
## Zu gutes Geld für Wall?
Noch im rot-schwarzen Senat kam man darauf, dass das von Wall damit
verdiente Geld vielleicht ein bisschen zu gut sein könnte. Welchen Gewinn
das Unternehmen damit macht, teilt es nicht mit, für die Kritiker des
Modells sprach das Bände. Als Konsequenz wurde das Geflecht aus
Altverträgen zu Ende 2018 gekündigt, Klo und Kommerz wurden entflochten:
Der Senat verkauft fortan einerseits die Werberechte (von einem höheren
zweistelligen Millionenbetrag pro Jahr ist die Rede) und kauft andererseits
die Dienstleistung „öffentliche Toiletten“.
Die Ausschreibung der Außenwerberechte wurde im Oktober 2016
veröffentlicht. „Leistungen in Form der Errichtung und des Betriebs von
Brunnenanlagen, Toiletten u. ä. sind […] nicht zu erbringen“, heißt es
darin. Ob sich die Wall GmbH trotzdem bewirbt, verrät sie nicht – bei einer
Firma mit Sitz in Berlin und Produktionswerk in Velten ist aber davon
auszugehen.
Auch die Ausschreibung der Toiletten soll in Kürze erfolgen. Und hierüber
schlägt der Landesbehindertenbeauftragte die Hände über dem Kopf zusammen:
Dass der Senat ein gut eingespieltes System mit durchweg intakten und
hygienisch einwandfreien Anlagen aufs Spiel setze, sei nicht
nachvollziehbar, sagt Jürgen Schneider. In den 80er Jahren hätten wenige,
oft auch noch unbenutzbare Klos den Aktionsradius mobilitätseingeschränkter
Menschen stark eingeschränkt. Weil beim Modell „Wall“ die lukrative
Werbelizenz an die Toilettenqualität geknüpft wurde, sei alles anders
geworden: „Ich habe noch in keiner anderen Großstadt gesehen, dass das so
gut funktioniert“, so Schneider, „die Toiletten sind ein sichtbares
Beispiel für gelungene Inklusion. Wir hatten gehofft, dass das Thema damit
ein für allemal erledigt ist.“
## Schlechter und dazu noch weniger?
Hinzu kommt die Sorge, dass auch der Bestand von rund 170 City-Toiletten
schrumpft. Im Fall, dass die Wall GmbH sie ab 2019 nicht mehr betreibt, hat
das Land ein Vorkaufsrecht für die Anlagen. Allerdings hatte schon die
ehemalige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vor fast einem Jahr die
Bezirke aufgefordert, wenig genutzte und somit möglicherweise verzichtbare
Standorte zu benennen. Das Bezirksamt Mitte meldete prompt ein Dutzend
Wall-Toiletten. Heute ist die inzwischen zuständige grüne Stadträtin Sabine
Weißler gar nicht glücklich mit dieser Entscheidung. Die Diskussion sei für
sie noch nicht abgeschlossen, sagt sie gegenüber der taz: „Ich möchte diese
Infrastruktur sichern.“
Vor wenigen Tagen haben Jürgen Schneider und seine KollegInnen in den
Bezirken zusammen mit dem Landesbeirat für Menschen mit Behinderung, dem
Landesseniorenbeirat und der Landesseniorenvertretung einen [3][Appell an
den Senat] geschickt: Sie bitten um ein „mindestens 2-jähriges Moratorium“
bei den Ausschreibungen. Rechtlich sei das möglich. In der so gewonnenen
Zeit solle ein „unabhängiges Gutachten zur Koppelung von Werbung und
Toilettenbetrieb“ erstellt werden.
In der Senatsverwaltung verstehe man die Sorgen, versichert Sprecher
Matthias Tang. Deshalb würden Menschen mit Behinderung in die Erstellung
eines künftigen „Toilettenkonzepts“ einbezogen, erste Treffen hätten
stattgefunden. Am Ziel der Übung ändert das nichts: „Wir meinen, dass die
Standorte und die Ausstattung der Toiletten nicht länger von den Interessen
einer werbetreibenden Firma abhängig sein sollen, sondern von den
Bedürfnissen der Berlinerinnen und Berliner“, so Tang. Mit 130 Millionen
Euro im Nachtragshaushalt sei genügend Geld eingeplant – und zusätzlich
könnten „Einnahmen aus der Außenwerbung herangezogen“ werden.
24 Feb 2017
## LINKS
[1] https://www.berlin.de/tourismus/adressen/citytoilette/
[2] http://www.wall.de/de/street_furniture/products
[3] https://www.berlin.de/sen/ias/presse/pressemitteilungen/2017/pressemitteilu…
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Werbung
Barrierefreiheit
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Menschen mit Behinderung
Leben mit Behinderung
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